Gedanken zu Corona III ‒ der Wind, der Wind

Herbst und Winter werden uns alle in dieser Pandemie auf eine harte Probe stellen. Je mehr Menschen sich in geschlossene Räume begeben, umso schneller wird sich das Virus weiter ausbreiten. Ausgerechnet auf geselliges Zusammensein, auf Ausgelassenheit, heitere Diskussion und Freude hat es der Erreger abgesehen. Diese Geduldprobe ist schwierig auszuhalten. Die gesetzlichen Regeln geben uns dabei nur einen Rahmen an die Hand. Ob man nun mit fünfzig oder zwanzig Leuten feiern darf: wen interessiert das, wenn die zwei Falschen dabei sind?

Die gebeutelte Gastronomie tut viel dafür, um Wirtschaftlichkeit und Hygieneauflagen in Einklang zu bringen. Wie man in vielen vollen Restaurants beobachten kann, sind die meisten Gäste damit zufrieden. Mir persönlich reicht das nicht. Wenn in kleinen Restaurants ein Dutzend Freunde an einer langen Tafel sitzen und ausgelassen feiern ‒ das ist erlaubt ‒ und ich am nächsten ‒ ordnungsgemäß eineinhalb Meter entfernten ‒ Tisch sitze und neben Heiterkeit und Wortfetzen stundenlang auch deren Aerosole abbekomme, hilft es mir nicht, wenn die Bedienung eine Maske trägt, meine Adresse erfasst wurde und die Speisekarte desinfiziert ist. Wirkungsvolle Belüftungskonzepte sind viel wichtiger und hätten längst Teil von behördlichen Auflagen und/oder Förderprogrammen sein müssen.

Wer etwas differenzierter auf die USA blickt, kann sich von der dort behutsam vortastenden Gastronomie vorbildlichste Konzepte abgucken. Das New Yorker Drei-Sterne-Restaurant Le Bernardin eröffnete jüngst mit einem Empfangsbereich mit Temperaturmessung, speziellem Einlasskonzept und der Installation eines OP-Saal-tauglichen Luftfiltersystems. Das kann sich nicht jeder leisten, aber selbst regelmäßiges Stoßlüften würde hierzulande zumindest zeigen, dass die Gastronomie das Thema Aerosole ernst nimmt und nicht erst auf den nächsten Lockdown wartet. Mir persönlich ist das bloße Einhalten der behördlichen Auflagen zu lax.

Ich begegne der unbefriedigenden Situation daher derzeit mit einer Vermeidung von Restaurantbesuchen in geschlossenen Räumen. In meiner Nachbarschaft hat sich die Gastronomie von Cornelia Poletto zu meinem „Pandemie-Hotspot“ entwickelt. Der charmante Außenbereich mit Infrarot-Heizstrahlern und wetterfesten Markisen ermöglicht unkomplizierten Genuss selbst bei Hamburger Schietwetter.

Die Küche hier musste sich ohnehin noch nie verstecken. Das Küchenteam ist jung und ambitioniert, das saftige halbe Rotisserie-Huhn mit Parmigiana di Melanzane ist das beste seiner Art in der Stadt, und auch am sous-vide gegarten Kinn vom Iberico-Schwein mit Gurke, schwarzem Knoblauch und viel Umami komme ich genauso wenig vorbei wie an der im Ganzen gekochten und in zwei Gängen servierten Artischocke mit würzigen Dips. Den in einem italienischen Restaurant nachvollziehbaren Mangel der Karte an französischen Weinen gleiche ich hin und wieder mit etwas Mitgebrachtem aus, sogar meinen Korkenzieher habe ich dann dabei. Natürlich nicht, dass ich das müsste. Aber mein kleines Picknick im Freien macht richtig Laune, kommt Wind, kommt Regen.

Wenn bei sinkenden Temperaturen auch die Außengastronomie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen wird, werde ich mich verstärkt dem Thema Private Dining zuwenden. Einige Pläne sind schon geschmiedet. Ich werde berichten.