Tourniert: Verve by Sven, Bad Ragaz

Das Verve by Sven ist eines der drei besternten Restaurants innerhalb des Grand Resort Bad Ragaz. Das kulinarische Konzept wird von Sven Wassmer verantwortet, der hier im Hotel auch das dreifach besternte Memories betreibt. Das denkwürdige Essen dort am gestrigen Abend sorgt auch heute noch für Kopfkino bei mir, und dafür benötige ich etwas Energie.

Im Erdgeschoss des weitläufigen Hotels, gleich hinter der Rezeption, ist das Verve by Sven nicht zu übersehen. Trotz des ungezwungenen Konzepts – hier wird auch das Frühstück serviert – beeindruckt der offene Eingangsbereich mit einem raumhohen, begehbaren Weinschrank aus Glas und Edelstahl. Darin lagern einige bemerkenswerte Bouteillen bis zum Musigny Grand Cru. Dass der Herr vor mir, der gerade ins Restaurant eintritt, mit dem Personal ausgerechnet über den italienischen Solaia fabuliert, passt irgendwie hierher. Ich hätte fast »typisch deutsch« gedacht, aber solche Themen sind in der Schweiz wohl ähnlich gelagert. Nichts gegen Solaia.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Hotelrestaurant, das sieben Tage die Woche Frühstück, Mittag- und Abendessen anbietet, mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist. Nicht selten geht ein solcher Output zu Lasten der Qualität. Auch das Speiseangebot ist erstaunlich umfangreich. Die um das Credo »saisonal, authentisch und naturverbunden« konzipierte Speisekarte bietet ein Menü in fünf Gängen zu 139 CHF (ca. 139 €) an, alternativ eine Auswahl à la carte mit fünf Rubriken, die jeweils um die sechs Gerichte beinhalten, davon sogar eine Rubrik speziell für Kinder.

Ich möchte an diesem Mittag nur ein paar Kleinigkeiten probieren. Zu einem Glas 2019er Puligny-Montrachet von der Domaine François Carillon (ca. 35 €) von der einwandfreien glasweisen Weinauswahl probiere ich frittierte Austernpilze in »Buttermilchknusper« mit Tannen-Mayonnaise (ca. 21 €). Die Mayonnaise ist sehr gut, weil das ätherische Tannenaroma gekonnt integriert ist; nicht ganz so erfreuen können mich die Pilze an sich, die zwar aromatisch und saftig sind, aber mit ihrer fast erkalteten Panierung nicht von größter Zuwendung zeugen. Dennoch snacke ich die Pilze einen nach dem anderen weg. (6,5/10)

Die Angelegenheit wird irgendwann etwas monoton. Ich hatte insgeheim gehofft, dass man schon einfach den nächsten Gang dazu auftischt, um etwas Abwechslung zu bieten. Explizit kommuniziert habe ich das zwar nicht, aber in einigen Restaurants springt der »Geist der Bestellung« auch schon mal ohne Absprache über. Ich teile dem freundlichen Service daher kurz mit, dass es gerne schon weitergehen darf und habe sogar noch einige Pilze im Schälchen, als der nächste Gang kommt. (Sie bleiben aber drin.)

Es gibt Blumenkohl »mal anders« mit Tanne und Wiesenkräutern (ca. 19 €) sowie einem optionalen Add-on in Form eines Tatars vom Angus-Rind (zzgl. ca. 20 €). Bemerkenswert an dem Gericht ist vor allem, wie das kurzweilige Texturerlebnis durch den minutiös zerkleinerten sowie hauchdünn geschnittenen Blumenkohl mit dem Aroma des kühlen Blumenkohljus Hand in Hand geht. Etwas Tannenöl fügt dabei noch eine wohlschmeckende ätherische Komponente hinzu. Ich bereue nur fast meine Wahl des Tatars, weil das Gericht dadurch Leichtigkeit einbüßt; zudem ist das Fleisch kaum gewürzt. Ohne diese größere Fleischportion wäre das über jeden Zweifel erhaben, in dieser »Add-on-Version« sind die Proportionen nicht optimal. (6,9/10)

Ich hatte zudem offenbar die Portionsgrößen etwas falsch eingeschätzt und muss von meinem Plan, diverse Kleinigkeiten zu verkosten, Abstand nehmen. Kein Beinbruch, ein Gericht geht auch noch.

Es gibt ein Bio-Stundenei mit Buchweizen, fermentiertem Lauch, Kartoffelschaum und Trüffel (ca. 24 €). Das Gericht wird von Haus aus mit »Burgundertrüffel«, also Sommer-Trüffel, serviert, wobei die Option besteht, auf Périgord-Trüffel upzugraden. Letzteres erhöht den Gerichtspreis auf 49 € und ist insoweit etwas seltsam, als die Wahl zwischen Sommer- und Périgord-Trüffel keine Geschmacks-, sondern ausschließlich eine Qualitätsfrage ist, die man bei anderen Zutaten ja auch nicht stellt. Die von mir mit Périgord-Trüffel gewählte Version erfüllt alle Hoffnungen auf ein Potpourri von füreinander prädestinierten Aromen: leicht süßlicher Kartoffelschaum spielt mit appetitlich säurebetontem Lauch, während das cremige Ei dem ätherischen Périgord-Trüffel eine große Bühne bietet. Irgendwann bleibt mir ein bisschen zu viel »Glibber« auf dem Teller (bedingt durch sehr viel weiches Eiweiß), was ein Gegenlenken mit etwas Brot erfordert. Sehr gut ist jedenfalls die Entscheidung, den Trüffel auf das Gericht zu hobeln und nicht zu reiben, wobei etwas dickere (und dann ggf. weniger) Scheiben sogar noch vorzuziehen wären, um mit der leicht knackigen Textur des Trüffels für ein paar Kontraste zu sorgen. Sehr gut, aber erneut recht massig. (7/10)

Im Glas klingt noch ein 2019er Gantenbein Pinot Noir (ca. 42 €) aus. Der beflügelt meine Idee, heute Abend – nach einer Reservierung im asiatischen Namun, ein weiteres Hotelrestaurant – noch einmal ins Memories einzukehren, für zwei, drei Kleinigkeiten am Tresen. Von Sven Wassmers Küche bekomme ich in diesen Tagen den Mund nicht voll, könnte man sagen.

Informationen zu diesen Besuchen
Restaurant: Verve by Sven (→ Website)
Chef de Cuisine: Sebastian Titz
Ort: Bad Ragaz, Schweiz
Datum dieses Besuchs: 05.01.2023
Guide Michelin (CH 2022): *
Meine Bewertungen dieses Essens: 6,9 (Was bedeutet das?)
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