Grill, Grill Royal – Hamburg grillt

Rechtes Alsterufer gegen Linkes Alsterufer heißt eines der größten Schachturniere der Welt, das jährlich in Hamburg ausgetragen wird. Seit dem Sommer findet man eine ähnliche Situation auf gastronomischer Seite vor, denn an der Binnenalster stehen sich jetzt zwei neue Restaurants mit ähnlichem kulinarischen Konzept gegenüber. Um die Verwirrung noch größer zu machen, heißen beide auch noch fast identisch.

Die Rede ist vom Grill im Hotel Vier Jahreszeiten auf der einen Seite und dem Grill Royal Hamburg (im Folgenden kurz: Grill Royal) auf der anderen. Ausgerechnet hat man Ersterem auch noch das präzisierende »Jahreszeiten« aus dem Namen gestrichen. Vermutlich nicht aus Kostengründen, denn die monatelange Rundumerneuerung inklusive handgemaltem Wandfresko und individuell gestaltetem Dibbern-Geschirr dürfte mühelos ein siebenstelliges Budget verschlungen haben.

Für den Grill Royal dürfte Ähnliches gelten. In einem ehemaligen Mercedes-Benz-Showroom findet man jetzt ein tausend Quadratmeter großes Restaurant mit 170 Sitzplätzen auf mehreren Ebenen; hinzu kommen noch Plätze an einer langen Bar, Private Dining und ein Außenbereich. Dass Hamburg diesen Bedarf hat, wage ich zu bezweifeln, aber es ist eine Bereicherung für das östliche Filetstück der Binnenalster, das seltsamerweise bisher kaum etwas Nennenswertes zu bieten hat. Hinter dem Grill Royal in Hamburg steckt neben dem Berliner Gastro-Urgestein und auch dort Grill Royal-Mitbesitzer Stephan Landwehr Ex-DFB-Präsident, Winzer und Schwarzer Adler-Betreiber Fritz Keller.

Was den Grill im ohnehin schon mit hervorragender Gastronomie ausgestattetem Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten betrifft (Haerlin, Nikkei Nine), habe ich der angekündigten Wiedereröffnung mit großer Freude entgegengesehen. Ich hatte mir einen solchen Neustart insgeheim schon länger gewünscht, denn die sehr »traditionsbewusste« Ausrichtung des vorherigen Jahreszeiten Grill in Kombination mit einer preislich souveränen, aber kulinarisch wenig eindrucksvollen Küche, haben mich nie überzeugt. Ein moderneres und gleichzeitig zum Haus passendes mondänes Konzept mit qualitativ exzellenter Grillküche à la carte wäre genau das, was dem Hotel und der Stadt fehlt. (Dem Theo’s im Hotel Grand Elysee, dem einzigen weiteren qualitativ ernstzunehmenden Steakhaus der Stadt, fehlt es zwar nicht an einem guten Grill, dafür aber an Grandeur.)

Im Grill Royal geht es schon los, als man gegenüber noch im Baustaub steht. Im Erdgeschoss sitzt man vor einer riesigen Fensterfront mit Blick auf Binnenalster, Ballindamm und Sonnenuntergang. Die Weinkarte ist nicht so umfangreich wie die in Berlin, aber für eine Neueröffnung in Hamburg ist die Auswahl beachtlich. Ich starte meinen ersten Abend hier mit einem 2018er Vosne-Romanée 1er Cru »Les Beaux Monts« von der Domaine Bertagna (275 €).

Die Speisekarte ist so aufgebaut, wie man es von einem Grill-Restaurant erwartet: verschiedene fischlastige Vorspeisen, eine Auswahl unterschiedlicher Rindfleisch-Sorten und -Cuts, Fisch und Meeresfrüchte, Beilagen. Im Grill Royal gibt es deutsches und US-amerikanisches Rind; das Omaha-Beef aus Nebraska ist derzeit ohnehin in aller Munde.

Ein kühles Ceviche (18 €) mit roh mariniertem Kabeljau und einem authentisch säurebetonten Sud mit Limette, Chili, etwas Knoblauch und Dill macht eine ziemlich gute Figur (6,9/10); ein zu kompakt geschnittenes und hier nun mit zu wenig Säure und Senf ausgestattetes Tatar vom Weideochsen (22 €) erfreut dagegen etwas weniger und riecht auch etwas muffig (6,5/10). Schade auch, dass man das Tatar nicht direkt am Tisch zubereitet.

Das amerikanische dry-aged Porterhouse (900 Gramm für 139 €) bestelle ich mit sehr guten hausgemachten Pommes frites (7,50 €), ebenso guten Saucen (je 4,50 €), etwas wässerig geratenem Blattspinat (7 €) und eher trivialen Karotten mit kaum auszumachendem Piment d’Espelette und Petersilie (7 €).

Das Fleisch ist gut. Sehr gut ist es nicht, weil die äußere Fettschicht hart und ungenießbar, die Kruste etwas zu grau und kein bisschen knusprig ist, und heiß ist auch nichts mehr, nicht einmal die Schieferplatte, auf der man das Fleisch serviert. Dafür ist das Aroma nussig und das Fleisch insgesamt saftig und gut gegart. Als auch nur ansatzweise bemerkenswertes Steak wird das nicht in meiner Erinnerung bleiben, aber die Zeichen stehen eher auf einer unterbrechungsfreien Fortsetzung des Abends. Dennoch geht Omaha-Porterhouse-Steak üblicherweise mit mehr Freude einher als hier. (6,5/10)

Was dem Grill Royal neben einem königlichen Grill derzeit noch fehlt, ist irgendeine greifbare Ausstrahlung. Der bohemian vibe der Berliner Dependance schwingt hier jedenfalls nicht mit. Klar, man muss erst mal loslegen, aber nicht einmal die Zielgruppe scheint hier klar abgesteckt zu sein. Ich sitze heute Abend zwischen Gästen, die aussehen als würden sie gerade von einem Dschungel Camp-Dreh eine Pause einlegen und Unternehmensberatern. Das ist natürlich nur anekdotisch; die Frage ist eher, in welche Richtung sich das langfristig entwickelt.


Das verhält sich im Grill des Grandhotels, der in Eigenschreibweise ganz in Versalien steht, so diametral anders wie dessen Positionierung am gegenüberliegenden Ufer. Im Vier Jahreszeiten liebt man Extravaganz. Wenn man hier irgendetwas erneuert, und sei es nur ein Stuhlbein, ist das immer vom Allerfeinsten. Das Hotel hat längst sämtliches andere Gastgewerbe der Hansestadt hinter sich gelassen, wenn es um Luxus, Glanz und Glamour geht.

Der Grill trifft daher mit seinem neuen Ambiente genau den richtigen Ton. Vom alten Restaurant sind auf den ersten Blick nur noch die Galerieetage, die edlen Holzwände und das Schachbrettmuster des Fußbodens übriggeblieben. Ansonsten gibt es viel neue Dekoration. Alles glänzt und leuchtet, es ist recht eng, man weiß kaum, wohin man blicken soll. Aber der Rahmen ist unmissverständlich: festlich, luxuriös, eklektisch. Fehlt eigentlich nur noch gutes Essen.

Die Karte bietet Fisch und Meeresfrüchte von einer Schau-Bar, Vorspeisen, Salate, Suppen, Pasta, Risotto und Fleischspezialitäten, vor allem, aber nicht ausschließlich, vom Nebraska-Rind. Da ist man sich mit den grillenden Kollegen von gegenüber einig.

Ich probiere zuerst ein paar Lobster Rolls mit sehr guter, leicht knuspriger und sehr buttriger Brioche und einer appetitlich säuerlich akzentuierten Hummerfüllung (2 Stück 28 €). (7/10)

Die Weinkarte ist im Wesentlichen dieselbe wie die im Haerlin – man teilt sich ohnehin denselben Keller. Es gibt aber noch eine »Vorauswahl« speziell für den Grill mit eher voluminöseren Weinen wie Condrieu, Palladius und kalifornischen Cabernets. Ich starte mit einem 2014er Aligoté von der Domaine Roulot, ein rarer Fund für faire 135 €. Der Wein passt gut zu angenehm kleinen, aber mich qualitativ nicht so sehr vom Hocker reißenden Gillardeau-Austern »No. 2« (Stück 4 €), die man mit etwas optionaler Zitrone und Essigschalotten serviert.

Weitere Vorspeisen erreichen den Tisch. Es gibt King Prawns mit »Cocktail-Sauce, Spargel und Avocado« (20 €), so steht es erst einmal unauffällig in der Karte. Dass es sich dabei um eine fast schon unanständig groß portionierte, zimmerwarme Avocadocreme handelt, auf die man befremdlich übertötete Garnelen und etwas grünen Spargel platziert hat, schockiert dann sogar noch im Nachhinein. Eine separat servierte, gut gewürzte Cocktail-Sauce hilft dem desolaten Allerlei zumindest noch so auf die Sprünge, dass man nicht alles stehen lassen muss. (5/10)

Auf Masse statt Klasse setzt man auch bei einem Lachstartar, bei dem man erneut die Avocadocreme zum Einsatz bringt (das hätte ich bei der Bestellung natürlich erkennen können – aber nicht müssen) sowie Dill, Zitrone und Lachsrogen. Das Problem hier ist erneut ein massiges, unangenehmes Mundgefühl, das insbesondere durch die zu warme Serviertemperatur noch verstärkt wird. Ebenfalls fehlt es dem Gericht an Säure sowie, viel entscheidender, abermals an irgendeiner begeisterungswürdigen Zutat. (6/10)

Ich möchte das bei dieser Gelegenheit auch noch mal verdeutlichen (auch, wenn der Grill nicht unbedingt stellvertretend dafür ist, aber immerhin ein Trigger): In einem guten Restaurant muss man als Gast davon ausgehen dürfen, dass man auch mit guten Zutaten konfrontiert wird. Und zwar in einer Weise, bei der man als Esser die positiven Attribute dieser Zutaten ausmachen und benennen kann. Entfällt diese Möglichkeit – durch unauffällige Produktqualität oder handwerkliches Missgeschick –, sollte man als Esser aufhorchen. (Was ja auch ein großes Problem der frühen spanischen Avantgarde-Küche war. Dort hat man zwar gute Produkte verwendet, sie aber oft so stark verarbeitet, dass ihre Güte kaum noch erkennbar war. Ich konnte dem nie viel abgewinnen. Als diese Experimente dann auch noch etwas »tiefer« bis hin zum Lieblingsitaliener um die Ecke durchgesickert sind – dann mit trivialen Rohstoffen und ohne Konzept –, wurde es schnell katastrophal. Aber das nur am Rande, es hat mit dem Grill nicht viel zu tun.)

Ein Büsumer-Krabben-Cocktail mit Frisée-Salat und Cocktail-Sauce (28 €) ist dann deutlich besser: kühl, mit saftigen Krabben, gut abgeschmeckter Vinaigrette mit knackiger Säure, schlicht, aber fokussiert angerichtet. Das ist das Niveau, das ich mir in einem guten »Grill« wünsche. (6,9/10)

Zum Hauptgang ist jetzt eine weitere Flasche offen, ein 2013er Crozes-Hermitage »La Guiraude« vom Weingut Alain Graillot (135 €), ein ansprechender Fund in der umfangreichen Karte.

Das Tomahawak-Steak vom »GOP US Beef Gold Label« aus Omaha, Nebraska, kostet bei ca. 1,1 kg Gewicht 165 € und ist für vier Personen am Tisch, zusammen mit den weiteren Speisen, eine passende Menge. Zu dem Fleisch gibt es klassische Beilagen wie Kartoffelgratin, glasierte Karotten, Pfifferlinge, Sauce Béarnaise & Co. Alle sind sehr gut.

Nur das Fleisch, der Hauptdarsteller, schwächelt. Genau dieses Rindfleisch ist mir gut bekannt; ich bestelle selbst gern GOP-US-Beef, vermutlich sogar vom selben Lieferanten. Es zeichnet sich durch einen hohen Marmorierungsgrad aus, also einen hohen Eigenfettanteil, der das Fleisch buttrig und saftig macht und angenehm nussig schmecken lässt. Ein Southbend-Infrarotgrill, mit dem hier im Grill geworben wird, bringt diese Eigenschaften wegen seiner sehr heißen Temperatur und entsprechend kurzer Garzeit in der Regel ideal zur Geltung, mit knuspriger Kruste und viel Maillard-Reaktion.

Man kann erkennen, dass das oben Beschriebene sich nicht auf diesem Teller wiederfindet. Das Fleisch hat keinen Fettglanz, sondern einen etwas wässrigen Schimmer; das Fett befindet sich nur (in harter Form) am Rand anstatt im Fleisch selbst, und eine Sehne durchzieht einen Teil. Am Gaumen bestätigt sich alles Beobachtete. Die Konsistenz ist zwar »saftig zart«, aber eher wie ein mageres deutsches Filet als ein Rind aus Nebraska. Der leicht säuerliche Geschmack hat mit dem angebotenen Tier ebenfalls nichts am Hut. Ich würde mich fast so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass es sich hierbei nicht um ein »GOP US Beef Gold Label« handelt, aber eine solche Annahme wäre vermessen. Die andere Möglichkeit ist sehr seltenes Pech beim Einkauf in Kombination mit einer ganz offensichtlich noch übungsbedürftigen Bedienung des Infrarotgrills – den hat dieses Fleisch sicherlich nicht von innen gesehen. (6,5/10)

Schlecht ist das alles nicht. Die Beilagen sind das Beste am Essen, und auch das Fleisch ist annehmbar – aber eben längst nicht so gut wie es eigentlich sein müsste. Wer sich ein Bild davon in Erinnerung rufen möchte, wie gut gegrilltes Fleisch aussieht, empfehle ich die Bilder zu Restaurants wie Born & Bred, Etxebarri oder TAK Room.

Crêpes Suzette machen zum Schluss noch etwas Laune, weil sie am Tisch flambiert werden, aber ein etwas zu dicker Teig, der von der Konsistenz eher an Pasta erinnert, und eine fast nur nach warmem Orangensaft schmeckende Flambierflüssigkeit stellen den Dessertklassiker nicht ins beste Licht. (6,5/10)

Dass der Grill ein bisschen New York nach Hamburg bringt, hatte ich insgeheim gehofft. Die neue Atmosphäre gäbe das her – und von dem, wie immer in diesem Hause, bestens gelaunten, souveränen und weltläufigen Service habe ich noch gar nicht gesprochen. Aber bis man New York an der Alster findet, wird es wohl noch dauern.

Informationen zu diesen Besuchen
Restaurant: Grill Royal Hamburg (→ Website)
Chef de Cuisine: Oliver Pfahler
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 09.08.2023
Meine Bewertung dieses Essens: 6,5 (Was bedeutet das?)
Restaurant: Grill (→ Website)
Chef de Cuisine: Anton Reichert
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 16.09.2023
Meine Bewertung dieses Essens: 6
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