Restaurant Gordon Ramsay – Leuchten im Gesicht

„Restaurant Gordon Ramsay, please!“ wird keinem Taxifahrer in London ausreichen, um einen zum gewünschten Ziel zu bringen. Zwar gibt es nur ein Restaurant mit diesem Namen, doch das ist eine Spitzfindigkeit, auf die sich kein Fahrer einlassen würde. Gordon Ramsay betreibt immerhin neun Gaststätten in dieser Stadt. Selbst die Angabe der Straße ist nicht eindeutig, denn auch dort gibt es zwei seiner Restaurants. „His three-star one!“, konkretisiere ich und schiebe hinterher, was wahrscheinlich von Anfang an das Einfachste gewesen wäre: „68 Royal Hospital Road”. Das Taxi fährt los.

Der Empfang im Restaurant ist herzlich und unkompliziert. Unser mittiger Tisch am Fenster ist einer der besten im ohnehin schon angenehmen, schlichten, unerwartet kleinen Speisesaal. Schnell macht sich Entspannung breit, die ich gerne noch mit einem Glas Jacquesson Millésime 2002 vertiefe.

Auf der Speisekarte findet man ein „Menu Prestige“ (£125) mit vorwiegend Klassikern des Hauses sowie die „Seasonal Inspiration“ (£185), eine siebengängige Auswahl mit saisonalem Fokus, die mich ein wenig mehr anspricht. Der herzliche Maître d‘ Jean-Claude Breton nimmt die Bestellung mit einem Ausdruck von Freude und Hochachtung entgegen, als hätte man gerade selber das Menü kreiert.

Nach ein paar überwiegend exzellenten Snacks (elegant: ein Cornetto mit Hummer, geräuchertem Lachs, Avocado und Ceasar-Dressing; würzig: ein hauchdünnes Gebäck mit Paprika und Salami; etwas salzlos: ein frittiertes Wachtelei), geht es noch mit einem fein abgeschmeckten Süppchen weiter, dessen Zutaten ich leider nicht notiert habe. Jan Konetzki, der sympathische und kompetente Sommelier, dekantiert inzwischen eine weiße Rarität aus Korsika (Jean-Charles Abbatucci „Géneral de la Révolution“ 2008, £138). Eine vortreffliche Empfehlung!

Der Auftakt des Menüs ist mediterran, sommerlich, dennoch zeitlos, und schon nach dem ersten Bissen unvergesslich. Der Poached Scottish lobster tail with lardo di colonnata, vegetable à la grecque and coral vinaigrette ist so frisch, so authentisch und durch ein hinreißendes Säurespiel mit der Vinaigrette so ungemein schmackhaft, dass ich mir vorstellen könnte, es einfach noch weitere sieben, acht Mal zu essen und dann glücklich das Restaurant zu verlassen. Es ist wirklich so gut! Mehr muss man dazu nicht sagen.

Zweiter Gang ist Poached hen’s egg, smoked potato ravioli with parmesan emulsion and shaved white truffle, eine bewährte Kombination harmonierender Zutaten (Ei/Trüffel/Parmesan), doch auch diesem Ei (hier im Raviolo) fehlt etwas Salz.

Mit einem gefüllten Schweinsfuß geht es weiter – obwohl das Gericht deutlich anmutiger aussieht. Pig’s trotter ist gefüllt mit Kalbsbries, Petersilie, Dijon-Senf und wird mit einer warmen Apfelsauce und einem kleinen Waldorf-Salat serviert. Ein handwerklich und aromatisch hervorragendes, nahezu perfektes Gericht von grundehrlichem Wohlgeschmack.

Das Menü sieht vor dem Käsegang jetzt nur noch ein weiteres Gericht vor. Da der Spaß für mich jedoch gerade erst beginnt – intensives Training mit erheblich umfangreicheren Menüs sei Dank –, bitte ich um ein zusätzliches Gericht nach Wahl des Hauses zu einem beliebigen Zeitpunkt.

Nach kurzer Rücksprache mit der Küche wird das Gericht jetzt, also noch vor dem eigentlichen Hauptgang, eingeschoben. Das soll mir recht sein. Serviert wird gebratener Steinbutt mit Topinamburpüree, Pancetta, krossem Wirsing und Geflügeljus (Roasted fillet of Cornish turbot with Jerusalem artichoke, pancetta, savoy cabbage and chicken jus, £20). Ebenfalls auf dem Teller findet man einige sehr aromatische Trompetenpilze. Das ist alles sehr gut zu genießen, doch irgendwie auch etwas inspirationslos. Ein objektiv sehr gut umgesetztes (und auch durchaus schmackhaftes) Gericht, das mich jedoch wenig berührt.

Der eigentliche Hauptgang des Menüs folgt, und Sommelier Konetzki empfiehlt treffsicher ein begleitendes Glas Coudoulet de Beaucastel 2004 (£12). Ein hervorragender Côtes du Rhône, der sogar noch mehr Freude bereitet als Roasted loin of wild Highland venison with Périgord truffle, braised celery and Williams pear. Das Reh ist von makelloser Qualität, und die Kombination mit Birne originell und passend, doch wird das Gericht von einer starken Salzigkeit des (im Titel nicht auftauchenden) Bauchspecks dominiert. Auch der Jus steht aromatisch etwas im Hintergrund, anstatt zu unterstützen. Etwas unausgewogen.

Natürlich hat man als Gast immer gut reden. Zehrt man jedoch von einem Erfahrungsschatz, der Vergleiche zu grandiosen Wildgerichten wie beispielsweise die von Thomas Bühner oder Sven Elverfeld erlaubt, liegen die Unterschiede der kulinarischen Möglichkeiten eines solchen Gerichts auf der Hand.

Beim Käsegang, Warm Vacherin Mont d’Or baked with white wine, rosemary, thyme and garlic, – ein Klassiker – werde ich etwas stutzig. Was vermutlich in die Rubrik „simpel aber gut“ fallen soll, empfinde ich leider als ausgesprochen schwach. Der Käse ist langweilig wie bei einem Raclette, das Toast schmeckt wie Zwieback, und auch die Kartoffeln dazu beleben diesen schweren Gang in keiner Weise. Ein Ausrutscher, aber kein Drama. Sichtlich bestürzt wird mein halbvoller Teller abgeräumt.

Doch dann kommt das Sorbet. Green apple and lime sorbet with shiso, avocado and eucalyptus. Hätte ich zwei von den Käsegängen essen müssen, um das zu bekommen – ich hätte es getan. Wie soll man es beschreiben? Es ist frisch, gurkig, ätherisch, knusprig, und mit Avocado als „zusammenhaltende“ Komponente einfach großartig! „We’re back on track!“ sagt der Maître d‘, der mir die Freude ansieht.

Es folgt White truffle, white chocolate and hazelnut mille-feuille with milk ice cream. Welch ausgefeilte, raffinierte Kreation! Die frische (gerade richtig gereifte, so wird uns erklärt) Haselnuss geht eine mir bis zu diesem Abend unbekannte Harmonie mit den weißen Trüffeln ein und begeistert ungemein. Zusammen mit der kühlen Cremigkeit des an „Mini-Milk“ erinnernden Eises und den hauchdünnen krossen Schichten des Mille-Feuille ist das ein perfektes Dessert.

Zum Abschluss werden ein paar Pralinen gereicht, und außer gutem Handwerk hätte ich jetzt nicht zwingend Großartiges erwartet, doch es kommt ganz anders. Die am wenigsten spannend aussehende Süßigkeit – ein mattweißer Geleewürfel, der mit Rose aromatisiert ist – entfacht ein Feuerwerk im Kopf. Bilder erscheinen, von einer alten Villa am Mittelmeer mit Marmorboden, Gerüchen von edler Seife und einem verwunschenen Rosengarten. Ganz stark – und so unvergesslich wie ein Dessert mit Tanneneis im L’Arnsbourg vor vielen Jahren.

Clare Smyth, eine der wenigen weiblichen Küchenchefs, die auf diesem Niveau kochen, gelingen an diesem Abend (aber wahrscheinlich auch an vielen anderen) einige wahrhaftige Meisterwerke, von denen ich lange zehren werde. Allein das Hummergericht habe ich schon (einigermaßen erfolgreich) mehrfach zu Hause zubereitet – nur aus der Erinnerung, weil es so unglaublich eingängig ist!

Ja, es gab Schwächen. Ja, man muss auf die Atmosphäre von klassischem fine dining Lust haben. Man muss Lust haben auf einen gediegenen Rahmen, auf Tafelsilber, auf Personal, das Brotkrumen von der Tischdecke entfernt und einem den Stuhl zurechtrückt. Doch von Zeit zu Zeit stehen da Gerichte auf dem Tisch und zaubern mir ein Leuchten ins Gesicht. Das sind die großartigen und seltenen Momente des Essensglücks, für die es sich zu reisen lohnt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Restaurant Gordon Ramsay (→ Website)
Chef de Cuisine: Clare Smyth
Ort: London, Vereinigtes Königreich
Datum dieses Besuchs: 29.12.2011
Guide Michelin (GB/IRL 2012): ***
Meine Bewertung dieses Essens 9 (Was bedeutet das?)