TAK Room ‒ Muschel-Schauder

Vor ein bis zwei Jahren las ich zum ersten Mal über das neue Fünfundzwanzig-Milliarden-Dollar-Immobilienprojekt Hudson Yards in Chelsea, Manhattan. Spektakuläre Architektur mit Beteiligten wie Stararchitekt Norman Foster und Designer Thomas Heatherwick bietet hier mit über einem Dutzend neuen Wolkenkratzern und einer Vessel genannten, begehbaren Struktur in Form einer Art offengelegten Treppenhauses Platz für Hunderte neuer Büros, Wohneinheiten und Geschäfte ‒ und natürlich für Gastronomie.

Stargastronomen wie Thomas Keller (French Laundry, Per Se, Bouchon u. v. m.) und José Andrés (minibar by José Andrés, Somni, Mercado Little Spain u. v. m.) kündigten schon früh an, das Projekt mit adäquater Gastronomie zu bestücken. Als ich das damals las, vermutete ich schon, dass man wohl eine ganze New-York-Reise ausschließlich diesen paar Wolkenkratzern widmen könnte, ohne gelangweilt, hungrig oder müde zu werden. Auch ein neues Design-Luxushotel ist Bestandteil des Komplexes.

Im fünften Stock des Gebäudes 20 Hudson Yards befindet sich der Eingang zu Thomas Kellers neuem Restaurant TAK Room. Eine moderne Interpretation von „kontinentaler“ Küche ist dort das Thema, das bedeutet Speisen wie Meeresfrüchteteller, Clam Chowder, Hummer Thermidor, Brathähnchen, Steaks und ähnliche Dinge, die das gehobenere Essen der USA Mitte des letzten Jahrhunderts prägte. Das hört sich zunächst so an wie das Konzept des glamourösen The Grill, doch im TAK Room geht es entspannter zu, ohne Geschäftsabschlusscharakter. Eher Country Club als Szenerestaurant, eher Ralph Lauren als Valentino.

Wer möchte, nimmt vorher einen Drink an einer der Bars. Die im Sinne eines Speakeasy hinter einer verschlossenen Tür untergebrachte Bar Bookbinders ist heute leider geschlossen, aber mein Old Fashioned schmeckt auch in der dem Restaurant vorgelagerten Bar sehr gut. Hier werden irgendwann auch schon die Appetizer aufgetischt, die sonst erst am Tisch serviert werden. Der Service funktioniert wie ein Uhrwerk, jeder hier ist freundlich, informiert, schnittig.

Deviled Eggs sind angenehm kühl, cremig und haben einen appetitanregenden Senfgeschmack (7/10); die aus Kartoffeln aus Maine frisch gebackenen, noch warmen Chips mit Zwiebeldip (6,5/10) sind auch eine gute Idee zum Aperitif. Ein feuchtes Tuch für die Hände wäre hiernach allerdings nicht schlecht.

Danach geht es rüber ins Restaurant. Gepolsterte Sitzbänke, Tischleuchten, dunkles Holz und (sehr) schummriges Licht schaffen Gemütlichkeit. Trotz der Dunkelheit im Saal sind die Tische jedoch individuell geschickt beleuchtet, sodass man die Speisekarte auch ohne Taschenlampe gut erkennen kann. Zweimal hinsehen muss man trotzdem manchmal; die Preise erreichen für diverse Speisen hohe zweistellige Bereiche. Dreistellig bepreiste Gerichte gibt es auch, sind aber in der Regel für zwei Personen gedacht.

Der Bereich des Restaurants, in dem mein Tisch steht, erschließt sich mir allerdings erst auf meinem kurzen Marsch dorthin. In diesem Areal des weitläufigen Restaurants hat man einen direkten Blick nach draußen, auf die atemberaubende Architektur der Hudson-Yards-Wolkenkratzer und das Vessel. Wer zum ersten Mal hier ist, sollte unbedingt dort reservieren.

Es kommt mir vor, als speiste ich auf einem anderen Planeten. Ich halte daher vergeblich Ausschau nach fliegenden Autos und fremdartigen Wesen, doch alles was ich finde, um meine These zu unterstützen, sind die Reflexionen einiger Lampen, die zufällig den Eindruck vermitteln, mehrere Monde stünden gerade am Himmel. Surreal und zutiefst beeindruckend.

Während ich noch in der Speisekarte stöbere, steht ein weiterer Snack auf dem Tisch, rohe Gemüse mit Gebäckstäbchen und einem Dip. Dass die Gemüse direkt in Eis stecken, sorgt für einen etwas plakativen Eindruck von knackiger Frische, aber qualitativ ist das alles durchaus so, dass man vor freudiger Überraschung die Augenbrauen hochzieht. (6,9/10)

In einem kurzweiligen Dialog mit der smarten Kellnerin stelle ich schließlich die Speiseauswahl zusammen. Was die Weinkarte betrifft, hatte ich meine Auswahl schon am Nachmittag etwas eingegrenzt. Die Karte ist sehr umfangreich und ist, wie oft in den USA, bequem online einsehbar, was ich mir bereits am Nachmittag zunutze gemacht hatte. Meine Auswahl fällt letztlich auf einen 2016er Duckhorn Merlot „Three Palms Vineyard“ aus dem Napa Valley ($ 265, ca. € 238).

Ich beginne mit Austern, drei Exemplare der Sorte Whaleback aus Maine, drei weitere aus Baja California in Mexiko (€ 23). Wenn Austern so dermaßen frisch sind wie hier, ist ihr Geschmack fast flüchtig. Jodig und nussig, aber nur angedeutet, so als verschluckte man sich leicht an etwas Meerwasser. Die Saucen dazu, eine klassische Essigsauce mit Schalotten und ein hausgemachtes Ketchup, bieten Variationsmöglichkeiten. Es sind mit die besten puren Austern, die ich in einem Restaurant probiert habe, mit einer leichten Präferenz für die mexikanischen. (7,5/10)

Clam Chowder, die bekannte Muschelsuppe der US-Ostküste, probiere ich als nächstes (€ 21). Der (heiße) Teller wird zunächst nur mit der Suppeneinlage präsentiert. Man findet darin Stückchen von Venusmuschel, Sellerie, geräuchertem Bauchspeck sowie kleine, zu Luftkissen verarbeitete Croutons ‒ alles erkennbar akkurat zubereitet. Die sämige Suppe selbst wird wenig später angegossen und setzt ein herzhaftes, „cremiges“ Aroma frei. Dass ein Spitzenkoch wie Thomas Keller hinter einem solchen ‒ im Kern sehr bürgerlichen ‒ Gericht steht, wird in allen Details offenkundig, die dieses Gericht so gut machen. Das präzise Raucharoma der Speckwürfel ist genauso betörend wie der sommerlich frische Sellerie und die selbst in der Suppe noch nicht aufgeweichten, ansprechend knusprigen Croutons. Die Suppe selbst ist heiß, herzhaft, salzig, samtig und sahnig und frappierend perfekt abgeschmeckt. Ein Schauder des Wohlgeschmacks durchströmt mich. (7,5/10)

Die Ochsenschwanzconsommé (€ 29), die folgt, ist dann sogar kurz vor sensationell. Heiß, von brillanter, dunkler Klarheit, mit kleingehacktem schwarzem Trüffel, der der würzigen Essenz etwas Ätherisches hinzufügt. Die Essenz ist im Grunde auf Drei-Sterne-Niveau, lediglich die Tatsache, dass die schmackhafte Suppe nicht stark an den Lippen klebt, ist ein Hinweis darauf, dass hier ein wenig Konzentration fehlt. Geschmacklich hat man diese offenbar mit dem Trüffel ausgeglichen. Es gibt schlechtere Ideen. Alles ist aber auf einem Niveau, das man nur den besten Köchen zuschreiben kann. (8,9/10)

Es wird aber holpriger.

Gebackene Cannelloni mit geschmortem Ochsenschwanz und (unerfreulich „gemicroplaneten“) Périgord-Trüffeln ‒ also in etwa die feste Variante der vorherigen Speise ‒ ist eines der von der Kellnerin angepriesenen Tagesgerichte und preislich mit € 67 selbstbewusst gekennzeichnet. Im Kopf hatte ich nun so etwas wie die Maccaroni im Epicure, aber was folgt, ist eine nahezu ungenießbare Masse aus übergartem, gummiartigem Nudelteig und ausgedörrter Fleischfarce. Ebenfalls ist das Gericht absolut überdimensioniert. Und wie man Schmorfleisch überhaupt so trocken bekommt, ist mir rätselhaft. Das Gericht muss leider zurück in die Küche. (5/10)

Man löst das Problem so, wie man in den USA üblicherweise Probleme löst: schnell, verständnisvoll und zur Zufriedenheit des Kunden. Denn wenig später, obwohl ich darauf hinwies, es könne gerne einfach mit dem nächsten Gang weitergehen, steht eine ausgleichende Portion Pasta mit Trüffeln vor mir.

Die hausgemachten Fettucine mit sämiger Sauce und frisch gehobelten Périgord-Trüffeln sind ein Gedicht. Nicht ohne Lapsus jedoch, denn die Sauce ist etwas zu dicklich geraten, möglicherweise durch zu viel Parmesan. Dennoch: süffig, al dente, heiß und wunderbar trüffelig. (7/10)

Dass ich nun eigentlich schon ziemlich gesättigt bin, ist kein gutes Vorzeichen für den Hauptgang. Das New York Strip Steak für umgerechnet € 144 stammt vom Lieferanten Snake River Farms aus Idaho und stammt von eine Hybriden aus japanischen Wagyu- und amerikanischen Black-Angus-Rindern. Das Fleisch kommt aufgeschnitten an den Tisch, präsentiert sich heiß und mit homogener, dunkler Kruste. Die „Garprobe“ mit der Messerspitze offenbart bereits buttrige Zartheit und ein attraktives, wenn auch verhaltenes, Knuspergeräusch.

Beim Kauen tritt eine Menge integriertes Fett aus, da der Marmorierungsgrad (BMS 9+) sehr hoch ist. Das ist fast schon zu buttrig für eine Anrichtweise als klassisches Steak, aber gleichwohl ein eindrucksvolles Erlebnis. Schmeckt man genau hin, steht hier aber Textur vor Geschmack, denn trotz des hohen Fettgehalts fehlt es dem Fleisch etwas an Ausdruckskraft. Dazu probiere ich etwas Blattspinat (€ 13), der einwandfrei auf den Punkt gegart ist, sowie verschiedene Saucen. Die Béarnaise (€ 5) ist leider inakzeptabel gestockt, eine klassische Steak Sauce (€ 5) wieder deutlich besser und eine Sauce Périgourdine (€ 11) sogar auf Weltklasse-Niveau. Die handwerklichen Diskrepanzen einiger Zubereitungen irritieren hier ein wenig. Alles in allem ist dieser Fleischgang aber deutlich mehr als zufriedenstellend. (7/10)

Für ein Dessert reicht es danach leider nicht mehr. Es erwarten einen hier Dinge wie Champagner-, Schokolade- und Zitronen-Meringue-Tarte, New York Cheesecake, diverse Eisspezialitäten und mehr. Das nächste Mal dann.

Ein Essen TAK Room ist teuer, auf hohem Niveau etwas schwankend in der Ausführung, aber vom Erlebnis her ein hochgradig kurzweiliges und inspirierendes Spektakel. Ein Hoch auf New York!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: TAK Room (→ Website)
Chef de Cuisine: Jarrod Huth
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 30.12.2019
Guide Michelin (NYC 2020): Empfehlung
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