Pastorale – Mittag in Azur

Seit über zwanzig Jahren schon führt Bart de Poorter mit seiner Frau das Restaurant Pastorale nahe Antwerpen. Die jetzige Wirkstätte war früher ein Pfarrhaus, doch heutzutage lädt man hier zum reuelosen Genuss ein. Beichten nicht erforderlich.

Wirklich auf dem Radar hatte ich dieses zweifach besternte Restaurant nicht, doch wer zufällig zwischen zwei Abendessen im In de Wulf und Hertog Jan noch eine Möglichkeit zum Mittagessen sucht – so wie ich –, dem legt der Guide Michelin diesen Umweg ans Herz.

Vor dem Eingang der weißen Stadtvilla empfängt einen eine (hörbar!) lachende Skulptur in Form eines Mannes, der ein Buch (die Bibel?) in der Hand hält. Bevor ich mich länger mit der Sinnhaftigkeit dieses Kunstwerks aufhalte, trete ich ein.

Das Haus ist modern eingerichtet. Die größte Auffälligkeit ist eine baumartige Holzinstallation, die wie Geäst in den Speisesaal hineinrankt. Ich nehme zunächst draußen im Garten Platz und wähle das Menü désir (€ 115). Eine unerwartet heiße Oktobersonne lässt mich nach den Amuse-Bouches allerdings rasch wieder Zuflucht in der kühleren Villa suchen.

Die ersten Amuses und kleinen Gänge, deren genaue Zutaten aus der Speisekarte nicht ersichtlich sind, gefallen mir gut und steigern die Spannung, wohin diese kulinarische Reise führt.

Sie führt zunächst zu einem kleinen Schälchen mit gehäuteten Tomaten, die in einer exzellenten Kombination mit Sauerampfer, Olivenöleis und gereiftem, gehobeltem Comté serviert werden. A part steht eine etwas angedickte Essenz aus Tomaten. In Summe frisch, würzig, wunderbar aromatisch – und perfekt zur Mittagssonne passend.

Ich hatte es schon bei den Tomaten gedacht, aber spätestens dieser Gang teleportiert mich ans Mittelmeer. Wo auch sonst würde man mild geräucherte, marinierte Sardinen mit Limette und Aubergine bekommen? In derart grandioser Qualität und lässig-eleganter Komposition? In … wo bin ich hier noch mal? … Reet ganz offenkundig. Ein wunderbares Gericht, voller Gedanken an in der Sonne funkelndes Meer, Salz auf der Haut und luftige weiße Hemden.

Und wer glaubt, ich wäre mit meinen mediterranen Assoziationen auf der falschen Fährte, der sei mit dieser Bouillabaisse endgültig bekehrt. Diese hier ist fast genauso gut wie das legendäre Pendant bei Gérald Passédat in Marseille (Le Petit Nice). Unglaublich, dass man so etwas außerhalb Frankreichs serviert bekommt. Eine „schnöde Fischsuppe“ mit Tintenfischringen und Krabben, dazu etwas Focaccia mit Sauce Rouille. So etwas würden sich deutsche Spitzenköche doch kaum trauen zu servieren: das Publikum möchte schließlich was fürs Geld, und das ist garantiert keine Suppe. In jedem Fall: sensationell!

Weiter geht die azurblaue Reise mit Wolfsbarschà la plancha mit jungem Launch, Soja, weißen Rübchen und Kartoffeln. Der Wolfsbarsch ist eines der am perfektesten gebratenen Exemplare, die mir je unters Messer gekommen sind. Knusprig und goldbraun die Haut, das Fleisch schneeweiß, innen saftig und auch noch richtig heiß, besser geht’s in dieser Machart nicht. Lediglich das Gemüse ist nicht optimal. Dabei ist es keinesfalls dessen Schlichtheit, die ich hier kritisiere, sondern die etwas zu sättigenden Kartoffeln, die gegen den Fisch ziemlich plump wirken. Mehr Grünes hätte hier ruhig die Oberhand gewinnen dürfen. Dank des exzellenten Protagonisten jedoch ein hervorragender Teller!

Das Dessert, Fruits Jaunes, mit Wolfsbeere (Goji) und „Gebirgstee“ ist eine elegante Kombination mit leichten, floralen, geradezu flüchtigen Aromen – so flüchtig allerdings, dass das Ganze fast schon etwas zu neutral schmeckt. Es ist ein wenig so als äße man sich durch einen Berliner und stellt erst später fest, dass er ohne Füllung war. Kein Drama, aber nicht wiederholungsbedürftig.

Die Pralinen sowie ein kleines Eis mit Früchtekompott zum Kaffee sind alle sehr gut. Auf diese Art gestärkt kann es dann gemütlich weitergehen in Richtung Éghezée, wo in ein paar Stunden ein Abendessen im L’Air du Temps auf mich wartet.

Das Essen im Pastorale hat mich sehr beeindruckt. Mit einem derart produktorientierten, qualitätsbewussten und mediterranen Küchenstil hat man es bei mir nicht schwer, doch das ist ganz sicher kein Laster. Und solange das Mittelmeer weiter entfernt ist, ist das Pastorale ohne Zweifel einen Umweg wert. Einen großen sogar!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Pastorale (→ Website)
Chef de Cuisine: Bart de Poorter
Ort: Reet, Belgien
Datum dieses Besuchs: 03.10.2014
Guide Michelin (BE/LUX 2014): **
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)