Sukiyabashi Jiro (Roppongi) – im Namen des Vaters

Am neunten Tag meiner diesjährigen Reise nach Japan habe ich zwölf umfangreiche Essen hinter mir, darunter Kurioses, Ekelhaftes, Genussreiches und Denkwürdiges. Fast alles davon ist unvergesslich – und prägt und bereichert mich in seiner Vielfalt und Perfektion. Erst gestern noch erlebte ich eines der besten Essen meines Lebens beim genialen Sushi-Meister Takashi Saito; ein paar Stunden zuvor stattete ich dem alten Jiro Ono und seinem älteren Sohn Yoshikazu einen zweiten Besuch ab, der noch hektischer ablief als mein erstes Mal dort.

Heute Mittag bin ich bei Onos zweitem Sohn, Takashi, der ein Sushi-Restaurant in Roppongi, einem wohlhabenden Teil des Tokioter Bezirks Minato, betreibt. Das Restaurant heißt genauso wie das berühmte Restaurant seines Vaters; es kommt hier auch tatsächlich hin und wieder zu Verwechslungen.

Um die Filiale in Roppongi hält sich die Aufregung im Vergleich zum Laden (die Japaner verwenden im Englischen tatsächlich den Begriff shop für Restaurant) des Vaters in Grenzen. Zu den höchsten Michelin-Weihen fehlt Takashi ein Stern, und ich bin gespannt, die Unterschiede an diesem Mittag auszukundschaften.

Takashi lächelt höflich als ich zusammen mit weiteren Gästen eintrete. Man wird zunächst für ein paar Minuten an eine Art Wartetisch gesetzt, fünf Minuten später geht’s an den Tresen. In dieser kurzen Zeit hatte ich gestern beim Vater schon acht Nigiri-Teile intus, was mich irgendwie an diese Steckstifte mit verschiedenen Farbminen erinnert, die man früher als Kind im Flugzeug bekommen hat.

Weitere Minuten vergehen, in denen schon mal ein kühles Bier gut tut. Von Hektik ist hier – vergleichsweise – nichts zu spüren.

Das recht kostspielige Menü (ca. € 220) beginnt mit jungem Brokkoli mit Sojasauce. Schlicht und erfrischend wird der Gaumen schon mal auf umami kalibriert.

Takashi beobachte ich derweil beim präparieren verschiedener Zutaten. Er sieht dabei sehr sicher aus, gleichwohl nicht so faszinierend hypnotisch wie Sushi-Gottheit Saito und auch nicht so todernst wie sein Vater. Das Englisch des Chefs ist auch akzeptabel, sodass man auch ein paar Sätze austauschen kann.

Vor der klassisch servierten Abfolge an Nigiri gibt es etwas Sashimi: Oktopus, sehr zart, und gut mit dem separat servierten Salz zu genießen, sowie Makrele, die durch Marinieren eine mürbe Textur aufweist und die man mit den dazu gereichten Schalottenstreifen isst. Beides von ausgezeichneter Qualität.

Das Nigiri-Sushi folgt und beginnt mit Flunder. Wie immer bei Sushi-Restaurants ist das erste Stück eines der spannendsten, da man den individuellen Stil des Meisters zum ersten Mal wahrnehmen kann. Takashi formt ähnlich große Nigirs wie sein Vater und verwendet beim Reis eine prononcierte Säure. Die Körnung ist gut herausgearbeitet, dabei nicht zu luftig, die Temperatur ist perfekt auf den Gaumen abgestimmt. Die vielen Stellschrauben dieser unscheinbaren Speise sind hier zweifellos auf ein hohes Niveau justiert.

Der Tintenfisch ist nicht eingeschnitten, das ist eine Stilfrage des Chefs. Ich persönlich mag es etwas lieber, wenn das Fleisch mancher Fische (und eben auch Tintenfisch) etwas eingeschnitten ist. Dennoch ist das hier ein hervorragendes Stück Sushi.

Hornhecht (needlefish) folgt …

sowie das Stück einer riesigen Jakobsmuschel, das ich allerdings als etwas trocken empfinde.

Mit Thunfisch geht es weiter, einmal Akami, der etwas magerere, aber dennoch köstliche Teil des Tiers, danach Chutoro, etwas fettiger und meist noch schmeichelhafter. Sehr gute Qualitäten, aber keine Referenzen.

Gizzard Shad, eine Heringsart, folgt, auch hier nicht, wie sonst oft, eingeschnitten. Dennoch kommt die Qualität gut zum Vorschein.

Das Tempo ist angenehm. Zwischen jedem Stück sind ungefähr drei Minuten Pause, was die Angelegenheit sehr entspannt macht. Ein zweites Bier ist fällig, und meine Laune ist – trotz der bevorstehenden Abreise morgen – gut.

Ein Gunkan-Maki mit Reis und Lachsrogen ist exzellent, die großen Körner platzen im Mund auf und geben angenehmen Salzgeschmack und Jodaromen frei.

Kuruma-Garnele kommt als nächstes. Der Chef weist darauf hin, dass man das Stück mit dem Schwanzteil als erstes verzehren soll, weil es einen stärkeren Geschmack aufweist. Sein Wort in meinem Gaumen stelle ich dabei allenfalls eine Nuance fest, aber darum geht es eben: Nuancen auf einem Niveau, an dem es – im Vergleich zum Rest der Welt – ohnehin nichts zu nörgeln gibt.

So sind die Gonaden vom Seeigel ebenfalls exzellent, wie auch die Makrele (Aji), …

… der immer etwas an Marzipan erinnernde gekochte Aal und noch ein Stück Otorovom gehaltvollsten Teil des Thunfischbauchs, bei dem die Grenzen zwischen Fisch und Fleisch verschmelzen.

Tamagoyaki, das berühmte japanische süße Omelette, schließt ein gelungenes Essen ab, das sich in der Bewertung des Guide Michelin fair widerspiegelt. Zu einer Perfektion eines Saito oder anderen Meistern wie Mizutani oder Yoshitake und vielen weiteren ist die Distanz aber noch erheblich größer als es scheint; auch das Sushi des Vaters ist – trotz der Hatz – spürbar besser. Doch es aß sich sehr entspannt hier heute Mittag. Und obwohl es sicherlich die größte Ehre ist, dass das Restaurant des Sohnes den Namen des Vaters trägt, hätte Takashis Restaurants wahrlich einen eigenen Namen verdient.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Sukiyabashi Jiro (Roppongi)
Chef de Cuisine: Takashi Ono
Ort: Tokio, Japan
Datum dieses Besuchs: 14.03.2017
Guide Michelin (TYO 2017): **
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)
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