China & Co. – 12 Tage, 30 000 km, 36 Sterne

Der rote Faden meiner Genusspassion waren von Beginn an die drei Michelin-Sterne. Wer meinen Blog kennt, weiß, dass es mir dabei um weit mehr geht als um das bloße Abhaken einer Liste. In den drei Sternen steckt nicht alles, aber dennoch mehr als manch einer glaubt. Sie sind ein Wegweiser, der mich an Orte führt, die ich sonst nie kennen lernen würde, der mich zu Gerichten weist, die ich sonst nie probieren und der mich mit Menschen zusammenbringt, die mir sonst nie begegnen würden – am Ziel, auf dem Weg dorthin und am Wegesrand.

Um den Jahreswechsel herum habe ich mir vorgenommen, den roten Faden auch mal roten Faden sein lassen zu dürfen. Meine Agenda enthält daher alle zehn von mir in Asien noch nicht besuchten Drei-Sterne-Restaurants, ausgenommen von Japan. Meine Ziele heißen: Hongkong, Taipeh, Macau, Shanghai, Peking, Seoul und Taichung, und zwar genau in dieser Reihenfolge und in nicht mehr als zwölf Tagen.

An diesem Plan waren zwei Dinge besonders herausfordernd. Einerseits die Reservierungen in Festland-China. Denn im Gegensatz zu Japan, wo zu ähnlichen Sprach- und Kommunikationsbarrieren oft noch das Thema einer besonderen Exklusivität und Ausländerskepsis besteht, verhält es sich in Festland-China oft so, dass man mit ausländischen Gästen schlicht nicht rechnet, in Peking noch weniger als in Shanghai. Es gibt oft nicht einmal eine Website. Andererseits musste ich die Reservierungen so versuchen zu koordinieren, dass die vielen verschiedenen Reiseziele möglichst effizient von mir abgeflogen werden können.

Die Restaurants zu kontaktieren, ließ sich mit den Concierge-Teams meiner Hotels sowie Kontakten vor Ort einigermaßen gut bewerkstelligen. Die meisten Reservierungen hatte ich auf diese Weise bereits Monate vor meinem Abflug im Kalender. Dennoch blieb einiges bis kurz vorher in der Schwebe. Gerade für die Feiertage und den Jahreswechsel, was beides wider mein Erwarten auch in China eine Rolle spielt, konnten einige Restaurants ihre Öffnungszeiten noch nicht allzu lange im Voraus festlegen oder behielten sich vor, auch noch kurzfristige Buyouts zu akzeptieren, also komplette Ausbuchungen mit privaten Feiern.

In den meisten Fällen konnte ich – unter Zuhilfenahme flexibler Hotel- und Flugbuchungen – alles so umsetzen wie geplant, doch ein Restaurant in Taipeh musste eine bereits zugesagte Reservierung für Anfang Januar aufgrund geänderter Öffnungszeiten dann tatsächlich wieder stornieren. Ich entschied mich dann kurzerhand, Taiwan zweimal in meinem Reiseplan unterzubringen – wenn ich schon mal »vor Ort« bin – und das Restaurant während meines Aufenthalts in Hongkong als Tagesausflug einzubauen. Das ist in etwa so, als würde man ein paar Tage in München verbringen und an einem der Tage für ein Mittagessen nach Marseille fliegen – und wieder zurück. Machbar, aber anstrengend. Meine Art von Abenteuerurlaub.

Und dann geht es auch schon los.

Erste Etappe: Hongkong, Taipeh, Macau

Ich komme am Nachmittag in Hongkong an. Wie bei meinen vorherigen Reisen hierhin, checke ich im Four Seasons Hotel ein, das hier in Hongkong für mich zu einem der besten urbanen Hotels überhaupt zählt. Gerade die Atmosphäre auf der Außenterrasse, mit Bar, Pool und atemberaubender Kulisse ist schon eine Reise wert, vom hochkarätigen gastronomischen Angebot des Hotels ganz zu schweigen.

Zwei Restaurants im Haus stehen auch auf meiner Agenda: das Tempura Uchitsu, ein Ableger des gleichnamigen renommierten Restaurants in Tokio, sowie das dreifach besternte Caprice, eines der besten französischen Fine-Dining-Restaurants überhaupt und für mich stets ein Pflichtbesuch.

Aber es bleibt nur wenig Zeit zum Auffrischen. Um acht Uhr habe ich schon eine Reservierung im Forum, einem dreifach besternten Traditions-Restaurant mit kantonesischer Küche. Das Restaurant befindet sich in einem Einkaufszentrum, das ich mit dem Taxi erreiche.

Mein Essen wird ein kulinarisches Highlight, das ich so nicht erwartet hätte. Tatsächlich habe ich an einige der Restaurants auf dieser Reise keine allzu hohen Erwartungen, was daran liegt, dass der Guide Michelin sich mit einigen Auszeichnungen in Asien in der Vergangenheit etwas vergriffen hat.

Aber heute Abend gibt es Seegurke und Abalone zum Träumen, Bratreis zum Staunen und XO-Sauce zum reichlich Nachnehmen (hier der Bericht). Der einzige Wermutstropfen ist, dass mein Wecker morgen früh um fünf Uhr klingelt. Kaum Zeit, entspannt anzukommen, und auch keine Zeit für Jetlag.


Der kommende Tag markiert dann eines der kühnsten Unterfangen meiner Reise. Ich habe eine 8-Uhr-Maschine nach Taipeh gebucht, um eine 12-Uhr-Reservierung im jüngst mit drei Sternen ausgezeichneten Restaurant Taïrroir wahrzunehmen.

Der Plan bietet keinen Spielraum für größere Verzögerungen, aber in Asien nimmt man Abflug- und Boardingzeiten in der Regel sehr genau. Man fragt sich immer, warum so etwas bei uns nie funktioniert.

Mit einer so langen Wartezeit bei der Grenzkontrolle in Taipeh hätte ich dann zwar nicht gerechnet, aber es klappt alles, und ein Taxi bringt mich – immer noch deutlich zu früh – zum Restaurant.

In angenehmer Atmosphäre gibt es hier ein Tasting Menu mit moderner französischer Ausrichtung. Einige Gerichte sind großartig, andere enttäuschen. Dass man hier kürzlich auf drei Sterne aufgewertet hat, überrascht. (Hier der Bericht.)

Nach der Rückreise nach Hongkong lasse ich den Abend an der atmosphärischen Argo-Bar im Four Seasons ausklingen. Ein paar unkomplizierte Snacks bereiten mir gerade mehr Freude als das Menü heute Mittag.


Dann wird es etwas entspannter. Mein »Frühstück« ist ein Mittagessen im Tempura Uchitsu. Hierzu muss ich im Fahrstuhl nur auf die »42« drücken. In dieser Etage verbirgt sich neben dem Tempura-Restaurant auch noch das exklusive Sushi Saito. Beide Restaurants gehören nicht direkt zum Four Seasons, sondern werden von der Firma GlobalLink betrieben, über die man auch die Reservierung tätigt – sehr umständlich per Anzahlung mittels Banküberweisung.

Ich staune nicht schlecht, dass ich an diesem Mittag der einzige Gast bin. Offenbar kam es nach den weihnachtlichen Festivitäten gestern niemandem in den Sinn, am Folgetag gleich ein Mittagessen zu reservieren.

Das Restaurant ist schon deshalb großartig, weil ich mich sofort nach Japan katapultiert fühle. Japanisches Personal, japanische Zutaten, japanisches Essen, japanische Gerüche. Wegen der ganzen ästhetischen Details läuft mir sofort ein wohliger Schauder über den Rücken.

Das Essen selbst ist auch fantastisch. Es geht zwar alles etwas schnell, aber das ist mir recht. Ich brauche jetzt ohnehin etwas Zeit, um mir Appetit aufs Ta Vie zu machen, das sich heute Abend in fußläufiger Entfernung zum Hotel befindet.

Im Ta Vie kocht ein japanischer Küchenchef gehobene französische Küche. Dass das eigentlich immer eine gute Kombination ist (Neige d’Été, Kei, L’Effervescence, Florilège u. v. m.), beweist dann auch dieser Abend.


Am nächsten Tag heißt es wieder aufbrechen. Mein Mittagessen ist im Jade Dragon reserviert. Das Drei-Sterne-Restaurant befindet sich in Macau. Der skurrile Ort, den ich eigentlich nicht vorhatte, jemals wieder zu besuchen, befindet sich eine langweilige Stunde mit der Fähre von Hongkong entfernt, inklusive Einreiseformalitäten und penibler Grenzkontrolle.

Theoretisch hätte ich genug Zeit, um von dem Fähranleger zum Restaurant zu spazieren. Doch es gibt schlicht keine Fußgängerwege. Mit meiner Suche danach vertrödele ich etwas zu viel Zeit und schnappe mir schließlich doch ein Taxi zur City of Dreams, dem Konsum- und Hotelkomplex, in dem sich das Restaurant befinden soll.

Das Jade Dragon selbst ist ein modern gestaltetes Restaurant mit kantonesischer Küche. Die mondäne Atmosphäre ist sehr angenehm, der Service ausgesprochen freundlich, und das Essen wird schlicht fabelhaft. Von sehr feinen Dim Sum über eine pikante Suppe mit Krebs bis zu einem grandiosen Gericht mit südafrikanischer Abalone ist das Jade Dragon ein Restaurant, in das ich jederzeit gerne zurückkehren würde – wäre es nicht in Macau. (Hier der Bericht.)

Ich nehme gleichen Weg zurück, den ich gekommen bin, und reise am vierten Tag meiner Reise nun bereits zum dritten Mal offiziell in Hongkong ein.

Meinen letzten Abend verbringe ich im Hotelrestaurant Caprice, wo der französische Küchenchef Guillaume Galliot ein wie gewohnt großartiges Menü mit Weltklassezutaten auftischt.

Das Caprice bietet klassisches Fine Dining auf höchstem internationalem Niveau, in angenehmem Ambiente, mit grandioser Weinkarte, souveränem, nettem Service und einem Ausblick auf die Lichter dieser faszinierenden Metropole. Zàijiàn, Hongkong, auf Wiedersehen. Morgen früh klingelt schon wieder der Wecker.

Zweite Etappe: Shanghai

Die glamouröse Metropole am Huangpu-Fluss erreiche ich an diesem Donnerstag gegen Mittag. Die Einreise ist unkompliziert. Ein Visum habe ich zwar, doch die Visumspflicht für Festland-China wurde gerade erst für deutsche Staatsbürger aufgehoben. Dass mich der Abholservice meines Hotels direkt von der Flugzeugtür abholt, entspannt und beschleunigt die Einreisesituation zusätzlich.

Ich staune bei meiner Ankunft zunächst über das brandneue Bulgari-Hotel. Das Gebäude ist ein architektonisches und gestalterisches Juwel, der Service – mit eigenem Ansprechpartner per WhatsApp – ist persönlich und diskret, die Zimmer haben einen atemberaubenden Ausblick.

Am Abend fahre ich mit besonders großer Spannung ins Taian Table. Hier kocht ein deutscher Küchenchef, Stefan Stiller, um einen Tresen herum, wie man ihn sich in Deutschland nur wünschen könnte: mit feinsten Zutaten aus Japan und China, in einer lässigen, quirligen Atmosphäre und mit einer Coolness, für die man weit reisen muss, um so etwas zu erleben. (Hier der gesamte Bericht.)


Mein Mittagessen am nächsten Tag verbringe ich im Da Vittorio, einem Ableger des italienischen Drei-Sterne-Restaurants. Die Filiale hier in Shanghai ist mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet und bietet eine naturgemäß einfache, aber luxuriöse italienische Küche. Auch die berühmte Paccheri-Pasta wird hier auf gleichem Niveau zubereitet wie im tausende Kilometer entfernten Brusaporto.

Das Schlemmfest eskaliert ein wenig, sodass ich heute Abend meine Reservierung im Hotelrestaurant Il Ristorante von Niko Romito kurzerhand stornieren muss – auch so etwas passiert mir. In weiser Voraussicht war das keine unverzichtbare Reservierung. Denn für den nächsten Morgen aktiviere ich wieder den Fünf-Uhr-Wecker, der mich auf dieser Reise regelmäßig aus der Nacht rüttelt.

Dritte Etappe: Peking

Mein nächstes Ziel heißt Peking.

Mir bleiben nicht einmal 48 Stunden in der Hauptstadt Chinas, um ein spontanes Lunch nach der Ankunft, drei Reservierungen und eine kleine Stadtführung unterzubringen. Eine vom Hotel (ebenfalls dem Bulgari) organisierte private Tour ermöglicht es mir immerhin, einige wichtige Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Auch eine kleine Teeverkostung in einem Hutong ist Teil des spannenden Programms.

Ohne erneute Rückkehr zum Hotel setzt mich das Auto am frühen Abend im King’s Joy ab, Pekings erstem Drei-Sterne-Restaurant. Das ebenerdige Anwesen ist beeindruckend gestaltet, weitläufig und geschmackvoll luxuriös. Die rein vegetarische Küche des erst 34-Jährigen Gary Yin ist ein Hochgenuss und eine große Bereicherung. (Hier geht es zum Bericht.)


Meine Agenda für den letzten Tag des Jahres ist noch einmal straff und heißt »zwei Mal drei Sterne«. Mittags geht es ins Chao Shang Chao, ein völlig skurril in einem gigantischen, aber scheinbar völlig leeren Hochhaus versteckten Restaurant.

In einem privaten, sehr stillen Raum mit Blick auf die bemerkenswerte Architektur der Umgebung, präsentiert man hier hochfeine – und seit Neuestem mit drei Michelin-Sternen geadelte – Gerichte der Chaozhou-Küche. In dem hauptsächlich auf Geschäftskunden der Umgebung spezialisierten Restaurant bin ich als ausländischer Essenstourist ein Kuriosum. Hervorragend ist es ungeachtet dessen. (Hier der Bericht.)

Am frühen Abend heißt meine Strategie wieder: in Hotelnähe bleiben und den ungeliebten Wecker anstellen. Das Xin Rong Ji, ebenfalls dreifach besternt, befindet sich direkt neben meinem Hotel. In einem sehr stimmungsvollen Ambiente – mit diversen ineinander übergehenden Essbereichen und mehreren offenen Küchen – genieße ich zum ersten Mal Peking-Ente in Peking. Als Zwischengang eines umfangreichen Menüs. Es gibt so viel (Gutes), dass ich das Menü irgendwann abbrechen muss. (Hier der Bericht.)

Vierte Etappe: Seoul

So eindrucksvoll und kulinarisch ergiebig es in China war, fühlt es sich gut an, jetzt nach Seoul zu reisen. Die offene und designaffine Metropole bereitete mir schon vor einigen Jahren viel Freude; nun haben mich die drei Sterne des Restaurants Mosu erneut hierher gelockt.

Auch das Mosu ist ein atmosphärisches Juwel, mit typisch koreanischem Design, das mit seiner Schlichtheit und Formsprache viele Ähnlichkeiten mit skandinavischem Design hat. Küchenchef Sung Anh, der das Mosu einst in San Francisco eröffnete und vor einigen Jahren hierher nach Seoul umzog, serviert aus einer offenen Küche ein minimalistisches Tasting-Menü, das zwischen moderner kalifornischer und koreanischer Küche schwenkt. (Hier der Bericht.)


Am nächsten Tag habe ich nichts im Kalender. In gastronomischer Hinsicht bin ich am Mittag voll und ganz mit einem Burger in der angenehmen Hotel-Lobby zufrieden. Keine Reservierungen zu haben, aber viele Möglichkeiten – immerhin wartet das Four Seasons in Seoul mit einem sehr attraktiven Gastronomie-Angebot auf –, ist genau der richtige Plan nach neun intensiven Tagen.

Eine spontane Einkehr am Abend im Hotelrestaurant Akira Back mit einer Art asiatischen Trendküche ist dann kulinarisch zwar kein Highlight, dafür aber umso mehr atmosphärisch. Moderne, urbane Restaurants mit herausragendem Design genieße ich genauso wie manch hervorragenden Gang.

Und dann ist er wieder fällig, mein gefürchteter Wecker, für die letzte Etappe, die ähnlich kühn ist wie mein Tagestrip nach Taipeh.

Fünfte Etappe: Taichung

Und mein Ziel heißt tatsächlich schon wieder Taipeh. Wieder ein One-Way-Flug, wieder eine andere Zeitzone, und wieder heißt das Ziel »drei Sterne«, genauer JL Studio in Taichung, Taiwans zweitgrößter Stadt.

Nach dem dreistündigen Flug von Seoul und einer abermals anstrengend langen Einreiseprozedur sind es noch einmal knapp zwei Stunden Autofahrt bis nach Taichung. Auch hier habe ich den Transfer von meinem Hotel organisieren lassen.

Viel Zeit für Sightseeing bleibt abermals nicht, aber bei einem ausgedehnten Spaziergang staune ich über eine Architektur, die mich etwas an New York erinnert. Seltsam nur, dass hier kaum Menschen auf den Straßen sind.

Am Abend, eine Viertelstunde Fahrt mit einem Uber entfernt, erreiche ich das JL Studio. Die Initialen stehen für Küchenchef und Inhaber Jimmy Lim, der hier eine kreative Küche aus seiner Heimat Singapur auftischt. Ob der Guide Michelin dafür einen Ess-Enthusiasten ausgerechnet nach Taichung locken muss, folgt dann, wie alles weitere, in dem Einzelbericht.


Am nächsten Tag geht es zurück. Von Taichung nach Taipeh über Dubai nach Hamburg. 36 Michelin-Sterne, knapp 30 000 Reisekilometer und weit über hundert Gerichte liegen hinter mir. Satt bin ich immer noch nicht, nach neuen Eindrücken, neuen Genüssen und neuen Orten – und werde es nie sein.