Mosu – Tag 1 von 366

Schon im Jahr 2015 machte das Restaurant Mosu von Koch und Gastronom Sung Anh von sich reden. Das schnell mit einem Stern ausgezeichnete Restaurant befand sich damals noch in San Francisco. Nur zwei Jahre später kehrte der bereits seit seiner Jugend in den USA lebende Küchenchef Kalifornien den Rücken zu und zog aus privaten Gründen nach Seoul, seinem Geburtsort. Hier eröffnete er das Mosu erneut, das dann rasant die Sterneleiter bis ganz nach oben erklomm. Seit kurzem gibt es auch eine Filiale in Hong Kong, die sicherlich auch bald mit Sternen dekoriert wird.

Am neunten Tag meiner umfangreichen Asien-Reise bin ich heute, am ersten Tag des Jahres, in Seoul gelandet, um das Restaurant zu besuchen. Nach einigen Tage in China fühlt es sich gut an, in der kreativen und designaffinen Metropole angekommen zu sein. Reservierungen im Mosu sind notorisch schwierig. Ich kam nur mit geduldigem E-Mail-Verkehr ans Ziel. Auch, dass das Restaurant heute überhaupt geöffnet hat, stand erst spät fest – da hätte ich meine Reisepläne kaum noch ändern können.

Das Mosu befindet sich in einem architektonisch markanten Haus im populären Stadtteil Itaewon im Zentrum von Seoul. Die schwarze Fassade ist großflächig verglast und bietet bereits von außen Einblicke in eine loftartige Atmosphäre auf mehreren Ebenen.

Das Interieur verrät etwas die ehemalige Heimat des Küchenchefs. Eine offene Feuerstelle aus Klinker, die in der Küche hängenden Kupfertöpfe, der schlichte Material- und Farbmix: Das wirkt alles sehr kalifornisch; Restaurants wie Angler und Saison lassen grüßen.

Am Tisch genieße ich den Ausblick auf die offene Küche und bestelle direkt eine Flasche Weißwein, einen 2020er Chardonnay des Weinguts Chateau Montelena (ca. 180 €). Auf Kalifornien, auf Seoul, und auf 2024!

Das Menü war bereits zum Zeitpunkt der Reservierung zu bezahlen (370 000 KRW, ca. 258 €) und liegt jetzt schon mal in gedruckter Form neben mir. Optionen gibt es keine; eventuelle Restriktionen wurden im Voraus abgefragt. Alles soweit gängig.

Ein kleiner Drink mit Jasmintee, Kräutern und etwas Alkohol (welchen, habe ich nicht notiert) markiert zusammen mit einer Tartelette mit Lachsrogen und Kartoffelcreme den Start ins Menü. Der gaumenfüllende Snack ist exzellent, mit einer rauchigen, fast flüssigen Kartoffelcreme, die zusammen mit dem Rogen aromatisch an Lagerfeuer erinnert. Umami, maritim, behutsam gesalzen, wunderbar. (8,9/10)

Der nächste Snack präsentiert ein Wachtelei in einem aufgeschäumten Sud aus Wintergemüsen mit Perillaöl. Im Vordergrund steht eine frische, florale Säure, die das Ei mit seinem üppigen Schmelz sehr leicht wirken lässt. Geschmacklich und handwerklich ist das erneut fantastisch. (8,9/10)

Eine mit Tintenfischtinte schwarz gefärbte Tartelette mit Tatar vom Hanwoo-Rind und Périgord-Trüffel begeistert danach mit Räucheraromen vom Rind, betörendem Schmelz und einer kühlen Temperatur, die alles etwas verschlankt. (8,9/10)

An einem kleinen Spieß folgt danach die nächste Kleinigkeit, die immer noch Teil der Amuse-Bouches ist. Diese nacheinander zu servieren – anstatt, wie man es auch oft erlebt, parallel – ist prinzipiell eine gute Idee, da man sich intensiver mit den einzelnen Speisen auseinandersetzt. Auf dem Spieß befinden sich Karotte, Tomate und Aubergine, jeweils gegrillt und mit einer »Olivenölpaste« bestrichen. Die Gemüse haben eine überraschend bissfeste Textur, beinahe wachsig; geschmacklich erinnert das Ganze angenehm an kalte Lasagnereste. (8,5/10)

Die nächste Einstimmung ist ein Taco, dessen Hülle aus knuspriger, gerösteter Milchhaut (Yuba) hergestellt ist. Er ist mit Abalone, Perilla und Gamtae-Alge gefüllt, einer raren Delikatesse. Eine Limette ist noch dabei, mit der man den Taco beträufelt. Der Snack ist angenehm warm und bietet mit der feinknusprigen Hülle und der bissfesten, aber zarten Abalone feine Kontraste. Dazu erinnern die milden Aromen von Alge und Meeresschnecke sehr deliziös an Ozean. Große Klasse. (9/10)

Von den »small bites«, der ersten Position des Menüs, geht es schließlich über zu einem weiteren Gang, der das Meeresthema fortsetzt. Eine Art Ball aus gegrilltem Sesam-Tofu ist mit Seeigel gefüllt, mit etwas Wasabi getoppt und in einem kühlen Kombu-Sardellen-Sud angerichtet. Zwei Spinatröllchen, wie alles andere kühl temperiert, bringen eine feine Herbheit ins Spiel. Der Wasabi in Kombination mit dem Seeigel ruft gleich ein ganzes Bouquet von Assoziationen zu Japan hervor, was schon großartig genug ist. Die sehr präzise Balance der Aromen und das bemerkenswerte Handwerk heben auch diese kleine Speise auf Weltklasseniveau. (9/10)

Als besonders kreative Interpretation eines »Brotgangs« folgt eine Kugel Sauerteig-Eis, das mit Essig und Olivenöl sowie etwas gerösteter Quinoa serviert wird. Das Eis schmeckt herzhaft und süß zugleich, wenn auch nicht unbedingt nach Teig – in jedem Fall aber hervorragend. Zu dem ambivalenten Geschmacksbild passen Essig und Öl sehr gut; die Quinoa liefert zu allem noch etwas Knusperspaß. In einem derart individuellen und kreativen Menü vermisse ich nicht unbedingt Brot, daher ist dieser exzellente Gang ein sehr gelungenes Intermezzo. (8,5/10)

Das Grillen über Holzkohle ist dem folgenden Stück Torpedobarsch (tilefish) anzusehen; die appetitliche Röstoptik steht dem Fisch gut. Das Stück ist in einer aufgeschäumten Paprikasauce angerichtet, und mehr benötigt ein solches Gericht auch nicht, um zu beeindrucken. In der Tat passen der saftige, gehaltvolle Fisch mit seiner knusprigen Haut und die fruchtig-rauchigen Aromen der Sauce perfekt zusammen. Wäre das Gericht heiß anstatt bloß warm, wäre es makellos. (8,9/10)

In Anlehnung an die amerikanische Muschelsuppe Clam Chowder, die auch in San Francisco populär ist, serviert Küchenchef Anh eine Version mit Jakobsmuschel, Kaviar und einer cremig-schaumigen, kühlen (!) Sauce, die an eine Beurre blanc erinnert. Die Zutaten sind an sich recht klassisch und könnten – bei gleicher Komposition – alle möglichen Ergebnisse von gut bis großartig hervorbringen. Dass dieser Teller zur letzten Kategorie gehört, ist vor allem der Qualität der Jakobsmuscheln und deren präziser Zubereitung zuzuschreiben, was genauso für die Beurre blanc gilt. Durch die optimalen Proportionen von süßer, zart-nussiger Jakobsmuschel, dem salzigen, reichhaltigen Kaviar und cremiger, leicht säuerlichen Sauce entsteht dabei ein besonders ausgewogenes und anspruchsvolles Geschmackserlebnis. (9/10)

Der nächste Gang des abwechslungsreichen Menüs ist eine Blätterteigtarte mit Klettenwurzel. Letztere findet man in gerösteter Form auf dem Kuchen wieder, was optisch entfernt an eine Zwiebeltarte erinnert, sowie als leicht klebrige Sauce in der Tellermitte. Am Gaumen präsentiert sich der kreative Kuchen irgendwo in der Mitte zwischen Zwiebel- und Apfelkuchen, zwischen süßlich und herb. Hervorragend, aber nicht mehr, ist das zweifellos. (8/10)

Der nächste Gang ist im Wesentlichen eine Trüffelpasta, und bei der kommt es, wie so oft, auf die Details an. Im schlechtesten Fall, der hier nicht erwartbar ist, bekommt man aneinander klebende Spaghetti mit jeder Menge Trüffel schlechter Qualität auf den Tisch. Im besten Fall ist die Pasta perfekt bissfest gekocht, in einer süffigen Parmesansauce angerichtet und, je nach Saison, großzügig mit weißem Alba- oder schwarzem Périgord-Trüffel garniert. Letzteres ist hier der Fall, mit einer feinen Nuance, denn die Nudeln sind aus geröstetem Eichelmehl hergestellt. Sie schmecken etwas rustikaler und unterstreichen die erdigen Aromen des französischen Trüffels. Ein absoluter Hochgenuss, besonders auch wegen der außerordentlichen Qualität des Trüffels. (9/10)

Der letzte herzhafte Gang präsentiert Hanwoo-Rind, Koreas begehrtes Spitzenrindfleisch, das nur wenig exportiert wird. Die gut erkennbaren Fetteinschlüsse, die gräulich-weiß aus dem über Holzkohle gegarten Stück hervorblitzen, enthalten in Rassen wie Hanwoo oder Wagyu einen höheren Anteil an ungesättigten Fettsäuren, weswegen der Schmelzpunkt geringer ist. Dadurch entsteht der üppige Schmelz am Gaumen. Das Stück ist mit einer kühlen, säurebetonten Zubereitung aus Kohl kombiniert (jedoch kein Kimchi, wie sonst in Korea oft zu finden). Ein klassischer Jus mit sehr aromatischem Pfeffer sowie, angenehm bodenständig, etwas Senf begleiten das Ganze. Das ist perfekter Fleischgenuss in Ausnahmequalität – ausreichend portioniert, um zu begeistern, aber etwas zu klein, um sich ganz entfalten zu können. (8,9/10)

Das Menü geht danach zum süßen Teil über. Ich bin nicht der größte Freund einer längeren Dessertfolge, besonders in kreativeren Restaurants. Zu oft wünscht man sich stattdessen einfach nur eine Tarte Tatin mit Vanilleeis.

Dessert Nummer eins ist ein Sorbet aus Apfel und Himbeere, das man an den Rand des Tellers platziert hat. Das schmeckt, wie so etwas schmeckt – kühl, »wässrig« und fruchtig –, aber hier sogar noch etwas besser, weil das Sorbet nicht zu säuerlich und auch leicht cremig ist. (7,5/10)

Einem mit Koji »infizierter« Reiskuchen kann ich dagegen wenig abgewinnen. Er ist fast geschmacksneutral und sehr kaubedürftig. Aufwändiges Handwerk allein sorgt nicht zwingend für Genuss. (6/10)

Ein Choux mit Alge und Grünkohl sieht ähnlich aus, ist aber völlig anders. Das innen sehr luftig gelassene Gebäckstück ist federleicht und pendelt geschmacklich ansprechend zwischen süß und salzig. Das ist eindrucksvoll gut. (8,5/10)

Sogar noch besser ist ein Karamelleis (was kann da schon schiefgehen?) mit Kaffeepulver und Krumen von verbranntem Lauch und Zwiebel. Gerade Letzteres passt hervorragend, da die Gemüse in dieser Form nur ihre herzhaften, süßlichen und verbrannten Aromen ausspielen und dem Ganzen den Eindruck von Salzkaramell verleihen. Exzellent. (8,5/10)

Eine Interpretation des traditionellen frittierten Honigkuchens Yakgwa ist danach überraschend fest, schmeckt nach Nuss und Karamell – recht gut, aber nichts zum Begeistern. (6,9/10)

Dass dies ein hervorragendes Mahl in einem angenehmen Ambiente war, steht außer Frage. Bewegt hat mich das Essen dennoch nicht. Mir fehlte vor allem eine kulinarische Klammer, ein roter Faden, sei es hinsichtlich der Positionierung der Speisen in eine bestimmte Herkunft, sei es hinsichtlich herausragender Produkte, sei es hinsichtlich besonderer Techniken. Hier schickte die Küche viele kleine, fast durchweg hervorragende, aber etwas zusammenhanglos scheinende Gerichte an den Tisch. Das reicht sicherlich als kulinarisch gelungener Jahresauftakt, es reicht aber nicht, um ins Schwärmen zu geraten. Immerhin bietet dieses Schaltjahr einen Tag mehr, um in dieser Hinsicht fündig zu werden.

[Anm.: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts ist die Restaurant-Website nicht mehr erreichbar. Der Guide Michelin erwähnt in seinem Eintrag für das Restaurant eine vorübergehende, umzugsbedingte Schließung, bestätigte jedoch gerade erst die drei Sterne.]

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Mosu
Chef de Cuisine: Sung Anh
Ort: Seoul, Südkorea
Datum dieses Besuchs: 01.01.2024
Guide Michelin (Seoul 2023): ***
Meine Bewertung dieses Essens: 8,5 (Was bedeutet das?)
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