Jacobs Restaurant – wo alles begann

Ins beste Restaurant der Stadt wollte ich damals gehen. Einmal wissen, wie das ist. Zweifel, welches Restaurant das sein sollte, hatte es keine gegeben, lediglich ein paar Berührungsängste. Mit den pikfeinen Hanseaten an der Elbchaussee hatte ich schließlich nicht viel am Hut. Das ist jetzt über zehn Jahre her.

Und es traf mich mit voller Wucht. Mit meinem ersten Besuch im Jacobs Restaurant – von Blogs noch keine Spur – habe ich eine Tür geöffnet, die ich hinter mir geschlossen habe. Diese Tür führte in das Universum des guten Essens.

Ich hatte damals gerade damit begonnen, selbst gut zu kochen – im Gegensatz zu dem, was man als Student sonst so zubereitet – und röstete in meinem bescheidenen Ofen regelmäßig Knochen zwecks aufwändiger Zubereitung von Fonds und Saucen. Im Jacobs hatte ich zum ersten Mal (bewusst) erlebt, wie das alles schmeckt, wenn so etwas von Profis zubereitet wird. Thomas Martin kochte damals sehr klassisch (französisch), und die Qualität der Zutaten, das Handwerk, der Geschmack – all das brannte sich in mein Gedächtnis ein. Es gab kein Zurück mehr.

Ich habe das Jacobs seitdem wieder und wieder besucht: geschäftlich und privat; mittags und abends; zu Kaffee und Kuchen; zu Wein und Champagner; wurde zu Festen eingeladen oder lud selber ein. Auch meine Weinleidenschaft ist dort entstanden. Freundschaften ebenso. Symbolträchtiger könnte ein Ort also kaum sein.

In all den Jahren habe ich die Entwicklung des Hauses und der Küche Martins mitverfolgt. Es gab große Momente und dann wieder bescheidenere. Besonders die zwei, drei Jahre, bevor das Restaurant den zweiten Michelin-Stern erhielt (2011) hatte die Küche für mich einige der Qualitäten über Bord geworfen, die ich damals so zu schätzen gelernt hatte. Die Küche suchte etwas zu verkrampft nach neuen Ideen, um das Restaurant für eine jüngere, ideenhungrige Klientel attraktiv zu gestalten, und verlor sich dabei in Moden. Ein etwas weit zugedrehter Geldhahn, so hörte ich es munkeln, machte es der Küche und dem Service zusätzlich schwer.

Und gerade dann, als das Jacobs etwas aus meinem Fokus rückte, manövrierte sich das Haus aus der Krise. Die Räumlichkeiten wurden entschlackt, die Karte moderner, und die Küche wurde mit einem zweiten Stern ausgezeichnet. Ein paar Tage später machte ich mir ein Bild des „neuen Jacobs“. Ich war durchaus angetan, vermisste aber Martins bewährte Handschrift. Es war ein sehr gutes, aber völlig neues Restaurant.

Heute Abend sind weitere eineinhalb Jahre vergangen. Zeit für mich, mal wieder nach dem Rechten zu sehen.

Gegen kurz vor acht werde ich zu meinem Tisch geführt. Das Team ist von Beginn an freundlich und souverän. Mir fällt auf, dass der Speisesaal noch etwas schlichter und geradliniger geworden ist, was die Eleganz dieses schönen Saals noch weiter unterstreicht. Nobel und gemütlich.

Aus den verschiedenen Menüs entscheide ich mich für das „zeitgenössische“ (6 Gänge, € 135) sowie einen zusätzlichen Gang aus dem „natürlichen“ (vegatarischen) Menü.

Es geht los mit den ersten Amuse-Bouches, einer Zusammenstellung von fünf minutiös zubereiteten Fingersnacks. Ohne mich in den Details der Zutaten zu verlieren: hier sitzt jeder Bissen! Die Miniaturgerichte sind allesamt fein, schmackhaft und wohlüberlegt; auf keines würde ich verzichten wollen. Ein sehr gelungener Start.

Ein weiteres Amuse setzt noch einen drauf: Eine um Zwiebel, Senf und Spinat orchestrierte Komposition streicht meine Geschmacksnerven in einem besonders stimmigen Akkord. Das gesamte Ensemble spielt keck mit Säure, Textur und Zwiebelaromen und erinnert dabei ein wenig an Hotdog, nur viel feiner. Ein solch stimmiges und dabei spannendes Gericht ist mir seit längerem nicht unters Messer gekommen. Und dieser Zwiebelsud! Thomas Martin würde sich an jedem Tatort mit einem solchen Elixier verraten.

Das eigentliche Menü beginnt dann mit Gelbschwanzmakrele & Kalbszunge, dazu kandierte Gurke und Zitronenverbene. Auch hier steht ein ausgeklügeltes Säurespiel im Vordergrund, aber richtig fesseln möchte mich dieser etwas zu „gebastelte“ Teller nicht.

Doch ich hätte ich auch vier Teller des vorherigen Gangs verspeist, wenn das die Bedingung für das Servieren des nächsten Gangs, Rotes Thaicurry, gewesen wäre. Das beste Gericht dieser Art, das ich je probiert habe, bringt die Aromen der thailändischen Küche so vorzüglich zur Geltung, dass meine Antwort auf die Frage, wo man in Hamburg am besten thailändisch essen kann, ab sofort eindeutig – und für die meisten wohl überraschend – ausfällt.

Die kleinen Gemüse hier – Mais, grüner Spargel, Aubergine, Enoki-Pilze u. a. – sind knackig auf den Punkt gegart, während ein weiteres Elixier aus der Küche Martins Schärfe, ätherische Noten und dieses ganz spezielle „Thai-Aroma“ konzentriert auf den Punkt bringt. Das gegrillte Stubenküken dazu ist ebenfalls sehr gut, wäre aber sogar entbehrlich gewesen. In Summe ganz hervorragend!

Nicht nur hervorragend, sondern regelrecht grandios ist dann der aus dem anderen Menü eingeschobene Gang, Zitronen-Gnocchi mit Parmesan und Distelöl. Dieses betörende kleine Gericht ist süffig, elegant säurebetont, bietet ein abwechslungsreiches Texturspiel und ist von oben bis unten auf Wohlgeschmack getrimmt. Auch, wenn die Kreation noch von ein paar Millilitern einer Sauce profitiert hätte, ist der Teller ganz einfach wunderbar und vermutlich das beste Gericht aus diesem Hause, das ich je gegessen habe.

Das Niveau bleibt hoch mit dem gebratenen Glattbutt mit „norddeutscher Bouillabaisse“, Büsumer Krabben und Dill. Wenngleich mir der Fisch einen Hauch zu trocken erscheint (das mag aber an meiner Präferenz für saftig gegarten Fisch im Gegensatz zu gebratenem liegen), macht er in Verbindung mit der erneut exzellenten Sauce eine sehr gute Figur.

Entgegen meiner Vermutung löst dann das Juvenil-Ferkel, das mit Hamburger Senf, Kohl und einem Röllchen mit Apfel serviert wird, weniger Begeisterung bei mir aus. Zwar ist das Apfelaroma überraschend passend und der Sud aromatisch, letzterer ist aber etwas dünn. Und auch ein solches Stück Ferkel habe ich schon mal saftiger und zarter genossen. Doch, wie immer, wenn alles Vorherige so gut war, gibt es keinen Grund zur Enttäuschung.

Das Salzwiesenlamm mit fermentiertem Knoblauch, Spinat und Kartoffeln überzeugt dann wieder mit einem makellosen Produkt und einer fantastischen Sauce, in deren Butterglanz sich mein zufriedenes Gesicht spiegelt.

Obwohl die Portionen bisher sehr großzügig waren, ist mir noch nach einer Käseauswahl, die ich ohne jegliche Vorgaben vom Christofle-Wagen zusammenstellen lasse. Alle sind hervorragend.

Das Pré-Dessert mit Panna Cotta, Mandarine und Nashi ist zwar hübsch angerichtet, aber darüber hinaus kein Favorit, da es aus einem sich mir nicht erschließenden Grund salzig schmeckt. Als Überleitung zu den Aromen des folgenden Desserts ergibt das zwar durchaus Sinn, ändert aber nichts an meiner Empfindung.

Es folgt Käsekuchen, neu interpretiert. Da ist zunächst ein herrlicher, säuerlich-süßer Käsekuchen mit buttrigem, knusprigem Boden; dann unterschiedliche Zubereitungen mit Zitrusfrüchten, deren Säure eine perfekte Harmonie mit dem Kuchen eingehen.  Seit geraumer Zeit bevorzuge ich ohnehin zitrusbasierte – oder eher: fruchtsaure – Desserts gegenüber solchen, die auf Schokolade basieren. Ein so hervorragendes Dessert wie dieses untermauert diese Präferenz.

Zu Ende geht ein fast vierstündiges Mahl, das mich in Hamburg so begeistert hat wie schon länger keines mehr. Es gefällt mir wieder sehr, das Jacobs, das es trotz aller Veränderungen geschafft hat, seine bewährten Stärken an Bord zu behalten. Volle Fahrt voraus für Jacobs Restaurant!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Jacobs Restaurant (→ Website)
Chef de Cuisine: Thomas Martin
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 20.03.2013
Guide Michelin (D 2013): **
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)