Tantris, erneut besucht

Wenn ich es nicht besser wüsste, wähnte ich mich hier draußen im Hinterhof einer biederen Gaststätte, auf ein Stück Streuselkuchen mit Sprühsahne wartend. Pastellgelbe Tischdecken und der Blick auf die seitliche Fassade eines Hochhauses beherrschen die Atmosphäre. Taghell ist es an diesem Abend gegen acht Uhr auch noch.

Den Champagner bestelle ich noch schnell (Bollinger Grande Année 1999), dann halte ich die beklemmende Atmosphäre dieser Hinterhoftristesse nicht mehr aus, nicht einmal für ein Foto reicht es noch. Auch diese Terrasse stammt ganz offensichtlich noch aus den Siebzigern, gehört allerdings zu dem eher weniger bewahrenswerten Erbe dieses geschichtsträchtigen Hauses.

Ich möchte jetzt bitte hinein, nach innen, ins eigentliche Tantris, in dieses unvergleichliche Ambiente, das entweder aus „Raumschiff Enterprise“ oder einem David-Lynch-Film entsprungen sein könnte, je nachdem wo man hinsieht. Doch daraus wird nichts. Man hat sich heute entschieden, gar nicht im so genannten Hauptraum zu servieren. Als Kompromiss arrangiert man uns einen Tisch in einem Vorraum, dem „Gartensalon“. Immerhin kann man jetzt in den „Hauptraum“ blicken. Etwas betrüblich ist das dennoch. Die untherapierbare Zwangsstörung der deutschen Gesellschaft, bei jedem Sonnenstrahl oder Anflug von Hitze unter allen Umständen draußen sitzen zu müssen, hat auch vorm Tantris keinen Halt gemacht. Ich nehme an, es ist im Sinn der meisten Gäste hier.

Sei es drum, wir sind ja schließlich auch wegen des Essens hier. Dieses habe ich von meinem letzten Besuch in 2008 (kein Bericht) zwar nicht in glanzvollster Erinnerung, doch ein solides Urteil hatte ich mir damals noch nicht erlaubt zu bilden. Es war also Zeit für eine Rückkehr.

Am Tisch fällt die Entscheidung schnell auf Hans Haas’ „Großes Abendmenü“ (8 Gänge, € 160). Der Chef sei heute auch im Haus, lässt man uns wissen.

Als Gruß serviert man ein kleines Rindertartar mit Wachteleisalat, beides gut und würzig abgeschmeckt, lediglich dem Tartar hätte eine gröbere Struktur gutgetan. Ein sehr bodenständiger, aber schmackhafter Auftakt, zu dem auch gut meine erste Flaschenwahl passt – ein 2005er Chassagne-Montrachet 1er Cru „Les Caillerets“ von Bernard Morey.

Erster Gang des Menüs – es standen Entenleber oder Rotbarbe zur Auswahl – ist bei mir dann die Rotbarbe mit marinierten Herbstpfifferlingen. Obwohl ich von Rotbarbe selten angetan bin, fällt meine Wahl hin und wieder auf diesen Fisch, in der Hoffnung, hierbei einmal besonders positiv überrascht zu werden. Dieses Konzept geht heute Abend auf! Die Rotbarbe kann durch die exzellente Zubereitung ihre ganze Frische zur Schau stellen. Besonders zu Gute kommt ihr dabei die schonende Garung, im Gegensatz zum gerade bei diesem Fisch häufig vorgefundenen Braten auf der Haut. Knusprige Textur gibt es dennoch in Form von krosser Fischhaut, die separat obenauf angerichtet ist. Zusammen mit der leicht säuerlichen Frische der Kräuter und Pfifferlinge ergibt das Ganze ein angenehmes, stimmiges Gericht.

Es folgt Ausgelöster Hummer mit Sepiagnocchi und Limonensauce. Abgesehen davon, dass man auf diesem Teller dieselbe krosse Fischhaut wie bei der Rotbarbe vorfindet, ist dieses Gericht ein kleines Highlight. Ein makelloses Stück Hummer findet sich dabei in einem schaumigen Sud wieder, der durch perfekt abgeschmeckte Aromen aus der thailändischen Küche begeistert. Das ist in diesem bisher erwartungsgemäß klassischen Rahmen durchaus überraschend. Eine sehr feine Kreation, die jedoch zugleich auch schon den Gipfel der heutigen Darbietungen repräsentieren soll.

Wunderbar dazu passt der mittlerweile sich im Glas befindende Rochioli Chardonnay 2008 aus dem Napa Valley, der auch in dieser „einfacheren“ Ausführung (im Gegensatz zu den Lagenweinen) nahezu immer eine verlässliche Wahl ist und mich auch dieses Mal mit dem für mich typischen Bouquet von frisch aufgeschnittenen weißen Champignons fasziniert.

Dem Hummergericht verwechselnd ähnlich sieht der gebratene Seeteufel mit Artischockenpüree und Auberginensud. Die Produktqualität und Garung des Fischs sind makellos, der Sud ist herzhaft abgeschmeckt, aber einen Hauch zu salzig. Geschmacklich dennoch gelungen, sonst wenig überraschend.

Die danach gereichte Ochsenschwanzessenz wird klassisch mit Gemüsen und Markklößchen serviert. Wer an heißen Sommerabenden heiße Essenzen mag, hätte jetzt sicherlich seine Freude.

Erneut muss die Weinkarte her, die auch jenseits der allseits bekannten Namen mit diversen Perlen aufwartet. Und wer sich nicht selbst zurechtfindet, dem steht der smarte Sommelier Justin Leone gerne zur Seite. Mein Interesse fällt jetzt auf einen 1995er Cabernet Sauvignon von Dunn Vineyards („it’s a bit nasty“, so Leone), ebenfallsaus dem Napa Valley – ein ganz hervorragender Tropfen.

Als Fleischgang folgt gratinierte Lammnuss mit Bohnen, Paprika, Fenchelgemüse und Kartoffeltarte. Ein durch und durch klassisches Gericht, wie ich es schon unzählige Male gesehen, verkostet und selber gekocht habe. Zu kritisieren habe ich an der hiesigen Ausführung in erster Linie den Sud. Ein derart traditionelles Gericht benötigt auch eine entsprechend traditionelle Sauce: dicht und konzentriert. Der hier gereichte Sud ist zwar aromatisch gelungen, passt jedoch in seiner sehr flüssigen Konsistenz nicht so recht zu dieser Art von Essen, da man mit dem Fleisch nur wenig von der Sauce aufnehmen kann. In diesem Sinn etwas enttäuschend, hätte die Küche gerade bei einem solchen Klassiker noch mal alle Register der klassischen französischen Kochkunst ziehen können.

Käsegang und Desserts sind dann eine einzige Tristesse. Auf eine nichtssagende Ziegentopfmousse mit Birne und geraspeltem Blauschimmelkäse folgt ein Mascarponesoufflé mit Himbeeren. Letztere schmecken wie in der Mikrowelle aufgetaute Tiefkühlexemplare in ihrem Saft, und auch das Soufflé ist belanglos. Mit anderen Worten: es schmeckt genauso, wie es aussieht. Zum Glück beschert uns derweil ein 1990er Lafaurie-Peyraguey aus Sauternes süße Freuden in flüssiger Form.

Auch das letzte Dessert, eine leicht gelierte Champagnersuppe mit Marillensorbet ist nicht nur bitter, sondern durch die schleimige Konsistenz äußerst unappetitlich. Ich lasse die sonderbare Masse nach ein paar Löffeln stehen. Schade, dass sich ein solches Restaurant derartige Missgeschicke erlauben möchte. Auch die Vielfalt der später gereichten Mignardises möchte nur darüber hinwegtäuschen, dass den einzelnen Teilen keine größtmögliche Sorgfalt gewidmet wurde. Ansonsten fällt mir nämlich kein Grund ein, warum ein Stück Kirschtarte kalt und trocken ist anstatt saftig und ofenfrisch.

Selten habe ich einen derart konsequenten Leistungsabfall vom Anfang zum Ende eines Menüs beobachtet. Von der zweifachen Verwendung der krossen Fischhaut bis hin zu den abschreckenden Desserts machte sich im Menü allmählich, aber sicher Nachlässigkeit breit. Eine Nachlässigkeit, die nicht nur bedauerlich ist, sondern verärgernd, da sie dem Gast Unmündigkeit unterstellt.

Doch all dem zum Trotz – am Tisch liegt zu diesem Zeitpunkt kein Ärger in der Luft. Dafür ist unsere Tischgesellschaft zu heiter, die Weine zu gut und die Bäuche trotz der beschriebenen Mäkel wohlig gefüllt. Und auch den exquisiten Service, uns später, nachdem das Taxi nicht kommt, im hauseigenen BMW 7er zurück ins Hotel zu fahren, möchte ich nicht unerwähnt lassen. Wahrlich kein Grund zur Klage. Doch auch kein triftiger Grund, der Küche wegen schnell wieder hier einzukehren.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Tantris (→ Website)
Chef de Cuisine: Hans Haas
Ort: München, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 18.08.2011
Guide Michelin (D 2011): **
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)