Corton – die Ersten werden die Letzten sein

Der heutige Dienstag ist für mich schon über vierundzwanzig Stunden alt, einer Atlantiküberquerung sei Dank. Meine innere Uhr kann ich dennoch davon überzeugen, die Reservierung im Corton in Tribeca, New York, wahrzunehmen. In einer ursprünglichen Planungsphase dieser Reise säße ich jetzt eigentlich entspannt im heimeligen Hotel und würde den ersten Abend mit einem ehrlichen Burger ausklingen lassen, für den in letzter Instanz immerhin Jean-Georges Vongerichten verantwortlich zeichnet. Doch das Corton ist fußläufig erreichbar und immerhin mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet, die ich nur ungern unausgekundschaftet in meiner Nähe weiß.

Dass ich meinen sternelosen Ursprungsplan lieber in die Tat hätte umsetzen sollen, weiß ich natürlich noch nicht. Jetzt trete ich erst einmal ein ins Corton. Karge weiße Wände, kühle Fliesen und weißes Licht giften mich an. Speist man zu zweit, muss einer mit dem Rücken zum Saal sitzen. Wohlfühlfaktor: Fehlanzeige. Eigentlich will ich gleich wieder gehen und lieber in den lauschigen Sofas der Hotel-Lobby bei einem Brooklyn Lager das kosmopolitische Treiben beobachten.

Ich ringe mich dennoch durch zum Tasting Menu ($155). Ein paar rauchige, gewürzbetonte und durchaus interessante Snacks markieren dessen Anfang.

Es folgen zwei Amuses: eine Topinamburcreme mit „Schwarze-Trüffel-Gel“ und „gepufftem Buchweizen“ (sowie einem belanglosen Tupfer Blattgold), die angenehm leicht und mit einem klassischen Flan vergleichbar ist; dann folgt ein kleiner Happen mit Thunfisch auf Quittenpüree mit Koriander und Limone. Beides ganz gut.

Der erste Gang des Menüs, Madai (was auch immer das bedeuten mag), ist irgendein fast roher Fisch mit Ossietra-Kaviar, Heidelbeerpüree und einer „Zitrus-Koriander-Essenz“. Das ist objektiv ebenfalls ganz gut gelungen, hinterlässt jedoch keinerlei emotionale Regung bei mir.

Der fast maschinell arbeitende Service spult unterdessen sein Programm ab. Unterbezahlte Hilfskellner südamerikanischer oder indischer Herkunft servieren völlig demotiviert und mit starkem Akzent das jeweils nächste Gericht. Gelächelt wird hier nur manchmal und auch nur der guten Ordnung halber. Von Lockerheit und Herzlichkeit keine Spur.

Ein mit Crab titulierter Gang beinhaltet irgendetwas Schleimiges mit Eierstich (Chawanmushi), das ich einfach stehen lasse, weil es so widerwärtig ist.

Es folgt „Tête de Cochon“, bei dem kein Schwein erkennbar ist, stattdessen jedoch ein sinnbefreiter gelierter „Ananasstab“ und dehydrierte Anchovis in Form einer pappigen weißen Schnecke. Ein halber Milliliter Sauce sowie schwarzes Pulver (Aktivkohle gegen Darmbeschwerden?) begleiten diese kulinarische Tristesse. Wie soll man an so etwas Gefallen finden?

Glücklicherweise hilft uns der von meinem önologisch äußerst versierten Freund treffsicher ausgewählte 2009 Sancerre „Clos La Néore“ von der Domaine Vatan ($125) über die Runden.

„Spirit of Winter“ ist dann im Wesentlichen ein Gericht mit Beetegemüsen in verschiedenen Texturen, das mir eigentlich ganz gut  gefällt. Zwar erinnert es durch eine etwas zu präsente Süße beinahe schon an ein Dessert, aber es lässt sich ganz gut essen.

Ein nur der Optik wegen auf einer halben Limone angerichtetes Sorbet „Apple | Wasabi 2012“ ist nicht weiter erwähnenswert – trotz des erneut vorzufindenden Blattgoldes on top.

Der Gang John Dory besteht aus einer kaum mehr als walnussgroßen Kreation von Petersfisch, Mango, Sesam und einer Scheibe schwarzen Trüffels. Das ist genauso langweilig wie das meiste zuvor.

Als grässlicher „Käsegang“ ist dann Papillon Roquefort. Hier findet meine eine Art Quittencreme mit Käsegeschmack auf dem Teller. Mit Blattgold natürlich. Nicht essbar.

Sehr gut ist dann das erste Dessert, Rosé Grapefruit, doch das ist zu diesem Zeitpunkt bereits unerheblich. Das nächste Dessert, Vanilla | Brown Cardamom Fudge ist dann auch wieder belanglos.

Das Essen am heutigen Abend – völlig unabhängig von der unterkühlten Atmosphäre dieses emotionslosen Restaurants – war gekünstelt, unverständlich und rückwärtsgewandt, die modernen Techniken nur Maskerade. Dafür gab es Blattgold en masse. Willkommen in den Achtzigern!

Ganz gleich, ob einzelne Gerichte akzeptabel oder sogar gut waren, fiele mir nicht ein einziger Grund ein, für dieses Restaurant eine Empfehlung auszusprechen. Das Essen, der Service, die Atmosphäre – alles war beklemmend. Ein ernüchterndes Resümee – für sechshundert Dollar. Zum Glück wird diese erste gastronomische Station dieser kolossalen New-York-Reise sogleich die letzte sein, die enttäuscht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Corton (→ Website)
Chef de Cuisine: Paul Liebrandt
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 24.01.2012
Guide Michelin (NYC 2012): **
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)