Caprice – keine Ansage

Auf meiner im April unternommenen Tour durch Hongkongs kulinarische Sternelandschaft durfte das Caprice nicht fehlen. Das liegt nicht nur daran, dass sich das Restaurant praktischerweise in meinem Hotel befindet, sondern auch daran, dass es fünf Jahre lang drei Sterne hielt. Diese erkochte von 2009 bis 2014 Vincent Thierry, der vorher als Sous-Chef im Pariser Le Cinq wirkte, bevor er es dann in Hongkong zu noch höheren Weihen schaffte.

Im letzten Jahr übernahm dann ein anderer Franzose, Fabrice Vuilin, das Zepter im Caprice und rutsche mit dem Restaurant erst einmal einen Stern nach unten. Das muss man ihm gar nicht verübeln, denn drei Sterne zu „halten“ heißt nichts anders als auf allerhöchstem Niveau zu kochen – und das kann eben nicht jeder.

Wie die Küche hier zu Drei-Sterne-Zeiten, also noch vor einem Jahr, aussah, weiß ich nicht, aber wie sie heute sein wird, werde ich bei diesem Mittagessen herausfinden. Ich gehe in die Vollen und bestelle das Chef’s Signature Menu (ca. € 270), das sechs Gänge vor Käse und Desserts auflistet. Die Karte atmet durch und durch französische Spitzenküche: Bouchot-Muscheln, Wolfsbarsch, Hummer, Taube … nur Letztere tausche ich mit der Option auf japanisches Wagyu-Rind.

Den Start des Essens markieren zwei Kleinigkeiten um das Thema Fenchel, zunächst als Amuse-Bouche mit einem angenehmeren Texturspiel und knackiger Säure. Danach, in Form des ersten offiziellen Gangs, folgt Royale de Moules de Bouchot, Bouchot-Muscheln mit Fenchelmousse. Das Ganze ist etwas einheitlich cremig und bietet wenig texturelle Spannung, ist aber als Komposition sehr gut. So kann man beginnen.

Gang zwei des Menüs ist mit Loup de Méditerranée betitelt, doch den findet man hier lediglich als Carpaccio, das sich wiederum auf einem kalten Risotto befindet. Schneekrabbenfleisch und „Kristal Caviar“ buhlen auch noch um Aufmerksamkeit in diesem hübsch anzusehenden, aber dekadenten Arrangement, das man offenbar mit Blinis zu sich nehmen soll. Die Portion ist zu groß, zu kalt, zu konstruiert. Viel Lärm um nichts.

Gang zwei, Le Foie Gras d’Alsace au Naturel, verzehre ich ebenfalls weder ganz noch mit Begeisterung. Eine derartige Menge Foie-Gras-Terrine finde ich monoton, unnötig sättigend und fast schon abstoßend maßlos. Dabei habe ich gegen Maßlosigkeit nichts, wenn sie z. B. so zelebriert wird wie bei Pierre Gagnaire. Aber der braucht dazu auch keine paar Hundert Gramm Foie Gras. Ich esse nur selten Foie Gras, da ich dem Produkt inzwischen nicht mehr viel abgewinnen kann. Gerade als Terrine ist sie schwer und viel zu sättigend, um sie als Zwischengang einzusetzen. Mit der regelmäßig kolportierten Tierquälerei in Zusammenhang mit Stopfleber hat mein Verzicht indes nichts zu tun. Tierhaltungsprobleme sehe ich an ganz anderen Stellen. So lange es noch Radiowerbung für Schweinenackensteaks für 99 Cent gibt – und Leute, die so etwas kaufen –, mache ich mir um ein paar freilaufende Enten, die ab und zu einen Schlauch schlucken müssen, nur wenig Sorgen. Ich bin mir über mögliche Aufschreie bezüglich dieser Aussage bewusst, doch ich bleibe dabei: es gibt ganz andere Baustellen. In jedem Fall könnte ich mühelos auf dieses Produkt verzichten, lasse mich jedoch hin und wieder – z. B. in Degustationsmenüs wie diesem – darauf ein. Und wenn es dann schon mal vor mir steht, wünsche ich mir eine möglichst respektvoll zubereitete, schmackhafte Speise. Dieser Teller bietet jedoch außer einer handwerklich akzeptablen Zubereitung überhaupt keine Höhepunkte und abermals zu viel Masse statt Klasse.

Es wird etwas spannender. Ein Hummerraviolo, Le Homard Bleu en Ravioli, ist mit Gemüsen und Kräutern bedeckt und liegt in einem bemerkenswerten Sud, der von einer hocharomatischen Zitrusfrische lebt. Ich glaube, es ist eine Emulsion mit Olivenöl. Dazu passt auch der Balsamessig, der in Verbindung mit der Emulsion einer Vinaigrette ähnelt. Darin wälzt man dann auch das Gemüsepotpourri und das Hummerfleisch aus dem Raviolo. Das Gericht ist auf den Punkt, richtig portioniert und schmeckt hervorragend. Vom Geschmacksprofil erinnert mich das Ganze entfernt an die geniale Ausführung von Claire Smyths Poached Scottish lobster im Londoner Restaurant Gordon Ramsay, wenngleich das Gericht dort – neben einer ohnehin ganz anderen Zusammensetzung und Präsentation – erheblich produktorientierter ist und damit schließlich auch drei Sterne rechtfertigen kann.

Es geht weiter mit Le Bar de Ligne comme on l‘aime sur la Riviera, also „geangelter Wolfsbarsch wie man ihn am Mittelmeer mag“. Diese Bezeichnung ist amüsant, denn einmal wird hier der Angelfang des Fischs thematisiert (Bar de Ligne bezeichnet denselben Fisch wie Loup de Mer, nur dass bei einem noch die Angelrute, die ligne, mit dabei ist), sodass sich die Frage stellt, wie der Fisch für das Carpaccio zu Beginn des Menüs denn aus dem Wasser gekommen ist. Zum anderen mag man den Fisch am Mittelmeer natürlich so wie er sich am besten präsentieren kann: pur und ganz natürlich, am besten mit ein paar Gemüsen oder Salat. Und genauso kommt der Fisch hier dann auch auf den Teller: als saftiges, auf der Haut gebratenes Filet auf einem Melange von Pancetta, kleinen Artischockenherzen, konfierten Tomaten und Basilikum. Ein paar junge Bohnen und Erbsen finde ich auch noch auf diesem Teller, an den ich Liebhaber der Mittelmeerküche nur das Attribut hervorragend heften kann.

Mit Rind geht es weiter, genauer mit Wagyu Japonais, das mit Artischocken, Pommes Soufflées und einer „Dolce-Forte-Sauce“ serviert wird. Das Fleisch ist extrem fettreich und zergeht auf der Zunge – eigentlich eine gute Sache, aber in diesem Moment gerade etwas zu viel des Guten. Die Sauce ist exzellent, aber die weiteren Komponenten tragen wenig zum Genuss bei. Das Gericht ist weder besonders gut, noch besonders schlecht und damit wie viele der vorherigen Speisen.

Der Käsegang (Sélection de Fromages Affinés) könnte dagegen fast eine eigene Reise wert sein, denn in einem separat begehbaren Kühlraum kann man sich hier selbst die Sorten aussuchen, die allesamt vom berühmten Maître Antony stammen. Wer einmal in den Genuss seiner perfekt gereiften Käse gekommen ist, weiß um deren unvergleichliche Qualität.

Ich lasse mir eine nicht allzu kleine Auswahl zusammenstellen, die mit zu den besten zählt, die mir in einem Restaurant je angeboten wurden. Es ist das erste Mal, dass mich während dieses Essens etwas begeistert. Nur stammt es nicht einmal aus dieser Küche.

Nach ein paar Süßigkeiten, die zwischen hervorragend und mäßig rangieren, wird es Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang, denn heute Abend steht ein weiteres umfangreiches Menü auf meiner Agenda. Im Bo Innovation wird es sicherlich nicht so brav zugehen. Alvin Leungs experimentelle „Drachenküche“ wird mir entweder richtig gut oder richtig schlecht gefallen. Beides wäre eine klare Ansage – und die hat mir im Caprice gefehlt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Caprice (→ Website)
Chef de Cuisine: Fabrice Vuilin
Ort: Hongkong, China
Datum dieses Besuchs: 04.04.2015
Guide Michelin (HK/MAC 2015): **
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)