Hyotei – vier Jahrhunderte Kaiseki

Vor über vierhundert Jahren stand dieses Haus schon hier. Es war zu dieser Zeit ein Teehaus für Pilger auf dem Weg zum Nanzenji-Tempel. Zum Tee wurden irgendwann Speisen serviert, bis über die Jahrhunderte die Teezeremonie in den Hintergrund rückte. Ein klassischer Werdegang eines Kaiseki-Restaurants.

Inzwischen leuchten drei Michelin-Sterne über diesem Restaurant, doch man darf bezweifeln, ob es den Inhaber in vierzehnter Generation besonders interessiert, was ein französischer Reifenhersteller über sein Restaurant denkt. Doch immerhin bringt die Auszeichnung auch eine neue Art von Pilgern in das Restaurant, mich, zum Beispiel, an diesem frühen Mittag.

Wenn man vor einem Restaurant wie diesem steht, ist das immer ein kurioser, spannender Moment. Man fragt sich: Bin ich hier richtig? Muss ich anklopfen? Ist hier überhaupt jemand? Ich schleiche etwas am Haus vorbei, blicke mich um, und auf einmal erscheint eine Dame und bittet mich hinein.

Das Restaurant besteht aus mehreren kleinen Holzhäusern, die teilweise über kleine Stege miteinander verbunden sind. Eine üppige Vegetation ist Bestandteil dieses verwunschenen Ortes.

Ich werde in einen winzigen Raum geführt. Die Deckenhöhe ist kaum größer als 1,80 m, Tisch und Stühle sind „halbhoch“, die Wände bestehen aus Holz und Papier und lassen etwas Licht hinein. Es fühlt sich surreal an.

Die Dame, die mich vorhin hineinführte, ist wieder weg. Ich warte fast eine Viertelstunde, bis sie wiederkommt.

Sie bringt eine Schale mit grünem Tee, der so viel Koffein enthält, dass ich aufschrecke wie eine überraschte Eidechse. Eine englische Fassung des Menüs (¥ 23.000, ca. € 200) wird ebenfalls gereicht – eine hilfreiche Geste für Fremde.

Die erste Speise ist ein Arrangement mit, unter anderem, Garnelen, Kartoffelblüte und einem frittierten Staudengewächs (Aster yomena). Ebenfalls darin finde ich Muscheln und eine süßlich-herzhafte Creme. Meine wesentlichen Wahrnehmungen dieser Komposition sind eine kühle Frische, verschiedene ansprechende Texturen und ein geheimnisvolles, blumiges Aroma, das an Condrieu-Wein erinnert. Ein exzellenter Start! (8,9/10)

Es geht weiter mit einer Suppe mitweißem Miso (das schmeckt immer ein bisschen wie Senf), darin einen Reiskuchen mit Beifuß sowie eine Wurzel von der Zimmeraralie, die ein würzig-holziges Aroma beisteuert. Diesen klebrigen Reiskuchen kann ich grundsätzlich wenig abgewinnen, aber das Gericht ist aromatisch sehr spannend und handwerklich exzellent. (7/10)

Es folgt Sashimi von einer Brassenart – frisch, rein und, wie üblich für diese Fischart, recht fest und kaubedürftig, was ich nicht so ideal finde, um ihn roh zu essen. Die dazu gereichten Saucen haben viel Umami-Geschmack und ergeben zusammen mit dem frisch geriebenen Wasabi in jedem Fall einen anstandslosen Sashimi-Gang. (7/10)

Mit Hassun, dem Kaiseki-Gang mit saisonalen Kleinigkeiten, fährt das Menü fort. Ein kaltes, wachsweiches Ei (Tamago) ist die vierhundert Jahre alte Spezialität des Hauses, die bereits den Tempel-Pilgern zum Tee gereicht wurde. Es ist tatsächlich nichts weiter als ein sehr gut zubereitetes Ei mit perfekter Textur, aber ohne Salz. Doch es gibt noch viel mehr zu entdecken: sehr delikate, frittierte Fava-Bohnen mit Reispulver, Oktopus (etwas zu zäh für japanische Verhältnisse), serviert mit einer Shiso-Creme, die, vor allem in dieser Menge, sehr an Minzzahnpasta erinnert; dann gibt es noch ein Schälchen mit unterschiedlichen säuerlichen Zutaten sowie einen kleinen Teller mit zwei Scheiben Roastbeef in unvergesslicher Qualität mit grünem Spargel und einer leichten Sojasauce (phänomenal, 10/10). Meine wenigen Kritikpunkte sind auf höchstem Niveau; das faszinierende, vielseitige Arrangement ist in Summe außergewöhlich gut. (8/10)

Weiter geht’s mit einer mit Aal gefüllten Rettich-Roulade, dazu gibt es Bambussprössling, ein Farnkraut und Sansho-Blätter (Szechuanpfeffer), die ein betäubendes Gefühl am Gaumen hinterlassen. Schmeckt etwas wie Kohlroulade mit Fisch. Sehr gut. (7/10)

Gegrillter Torpedobarsch ist von so ausgezeichneter Qualität, dass ich an dieser Stelle noch einmal betonen muss, wie großartig die Fischqualitäten in Japan sind. Es wäre fast eine Schande, sie weniger puristisch zu servieren. Dazu gibt es säuerlich-frische, nur leicht pikante Wasabi-Blätter und eine Sauce aus drei verschiedenen Zitrusfrüchten. Wunderbarer Produktpurismus. (7,5/10)

Weitere kleine Speisen folgen. Eingelegte Gemüse haben eine angenehme Säure, Reis mit Aal und einem mir unbekannten gelben Gemüse(?) ist süßlich und sehr sättigend, und eine heiße Suppe mit einem Muschelkloß, Karotte und Yuzu schmeckt würzig nach Lagerfeuer. Für das, was es sein soll, ist es sehr gut. (7/10)

Es gibt noch ein Dessert mit bemerkenswerten Früchten und einer kleinen krapfenähnliche Süßspeise (7/10), danach Mochi, Matcha und weitere Tees.

Auch mein fünftes Kaiseki-Restaurant in Folge hat mich nicht gelangweilt. Die Kaiseki-Küche ist leicht und wohltuend, qualitativ exzellent und bereichernd. Trotz mancher Kuriositäten und ungewohnter Speisen genieße ich diese Küche in vollen Zügen. Weiter geht’s – heute Abend schon!

Dieser Artikel ist Teil meiner kulinarischen Reise nach Japan im März 2017, siehe: „Neun Tage Japan, 13 Restaurants, 32 Michelin-Sterne, eine Million Eindrücke“

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Hyotei (→ Website)
Chef de Cuisine: Eiichi Takahashi
Ort: Kyoto, Japan
Datum dieses Besuchs: 10.03.2017
Guide Michelin (Kyoto/Osaka 2017): ***
Meine Bewertung dieses Essens 7,5 (Was bedeutet das?)
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