Tantris ‒ Genusskontinuum

Über das Tantris zu schreiben, ist schwierig, denn Ungesagtes gibt es über diese Legende der deutschen Spitzengastronomie nicht. Daher als Einleitung vielleicht nur eine Erklärung, warum es von mir nicht so viel über das Tantris zu lesen gibt, schließlich war ich schon öfter dort. Ich war jedoch fast immer in Situationen da, in denen ich mich weniger um Dokumentation kümmern wollte als um den Abend an sich.

Nichts fällt im Tantris ohnehin leichter, als sich dem Genuss zu unterwerfen. Meine Kondition ist heute Abend allerdings etwas angeschlagen. Am Vormittag nahm ich hier bereits an einer sündhaft teuren, aber unvergesslichen Weinprobe teil, bei der jahrzehntealte La Tâche, Lafite, Pétrus und sonstige der größten Etiketten verkostet wurden. Nach einer kurzen Verschnaufpause in meinem Hotel, kehre ich dann wenig später zum Abendessen zurück.

Die Atmosphäre hier muss jeder einmal erlebt haben. Sie stammt aus einer Zeit, in der man hemmungsloses Schlemmen noch zugeben durfte, in der die Luftfahrt noch eine glamouröse Angelegenheit und die Spitzenküche französisch war. Zehn Jahre lang hielt das Haus unter Heinz Winkler die Höchstwertung von drei Michelin-Sternen, als zweites Restaurant in Deutschland überhaupt.

All das ‒ und unzählige Geschichten aus diesen Gemäuern, die man alle gerne erzählt bekommen würde ‒ schwingt hier mit, wenn man im Tantris Platz nimmt. Trotz der gewichtigen Historie fühlt sich hier jedoch nichts altmodisch an. Einige Design-Elemente wie eine lebensgroße Fotomontage einer schnittig bekleideten Dame, die wie ein Bond-Girl aus den Siebzigern aussieht, sind zwar heute nicht mehr en vogue, aber man muss das Ganze als Dokumentation betrachten. Das Tantris ist ein Denkmal (sogar im baurechtlichen Sinn). Aber das Denkmal ist lebendig, und die Geschichte des Hauses wird auch nach dem angekündigten Ruhestand von Küchenchef Hans Haas weitergehen.

Ich bestelle à la carte, wie fast immer in Restaurants, in denen eine französische, produktorientierte Küche im Mittelpunkt steht.

Als Amuse-Bouche gibt es ein Stück frittierten Hechts, das schon durch seine hinreißende Panierung auffällt. Die will kein Tempura sein, sondern ehrlich. Heiß, stückig, kross und laut, dabei keine Spur fettig. Das Stück Fisch darin: heiß, weiß und saftig. Dazu gibt es eine geschmacklich an Remoulade erinnernde Sauce, nur viel feiner, und Chinakohl, was in Summe irgendwie nach Hamburger Hafen schmeckt, aber schon mit Kurs auf Hongkong. Sensationell! (8,5/10)

Die dann folgende Ochsenschwanzessenz (€ 21) setzt das Wohlgefühl fort, das vor allem auch wegen der Hitze entsteht. Ich kann nicht oft genug betonen, wie unterschätzt die Zutat Hitze ist, so eine, bei der man pusten muss. In diesem nach Schlaraffenland duftenden Süppchen findet man Gänseleberstückchen, Suppengemüse wie Karotte und Sellerie, sowie Périgord-Trüffeln. Jede Zutat, selbst die winzigen Karottenwürfel, sind differenziert herauszuschmecken und ergeben in Summe doch ein harmonisches Ganzes, das einem vor eingekochter Konzentration die Lippen zusammenklebt. Große Klassik, nicht zu verbessern. (9/10)

Auf der Weinseite habe ich das Glück, dass einerseits noch winzige Reste der Weinprobe übrig geblieben sind, andererseits, dass ich den Sommelier überzeugen kann, das Niveau der Probe irgendwie auch am Tisch zu halten, am liebsten glasweise. Nach kurzweiligem Schlagabtausch stehen später einige Flaschen nebst Coravin auf dem Tisch, die mir sowohl ein Lächeln aufs Gesicht als auch ein paar entsprechend hohe Posten auf die Rechnung zaubern.

Gillardeau-Austern (drei Stück zu € 18) sind von einer der besten Qualitäten, die ich je probiert habe, in Deutschland zweifellos unübertroffen. Die Austern sind von einer vitalen Frische, duften leicht nach Jod und Meer und schmecken wie ein Spaziergang am Atlantik. Ich muss die Portion gleich nachbestellen. (8/10)

Drei Kaisergranate (€ 54), wie so oft hierzulande mit dem Fantasiebegriff „Langustinen“ bezeichnet ‒ ein wirklich lästiger Fauxpas ‒, kommen zwar falsch geschrieben, dafür aber perfekt gebraten auf den Teller. Das ist besser als andersherum, noch besser aber ist die Kombination der süßlich-nussigen Krustentiere mit einer elegant exotischen Geschmackswelt, die hier vor allem durch süßsauer eingelegten Kürbis, Mango und etwas Schärfe entsteht. Verschiedene Blattsalate und cremige Saucen lockern das Gericht dabei so auf wie einen alltäglich, aber gewissenhaft, angerichteten Salat. Keine Gels, keine Espumas, keine Tupfer, keine Mikrokräuter stören hier, stattdessen begeistert das Gericht durch Wohlgeschmack und souverän verarbeitete Spitzenprodukte. (8,9/10)

Zwei fingerdicke Tranchen gebratener Entenleber folgen (€ 45). Eine Demi-glace mit Trüffeln rahmt die Foie Gras luxuriös ein. Dass diese abermals heiß auf den Teller gelangt, ist ein gewichtiger Pluspunkt. Weitere Komponenten des Gerichts sind Weintrauben und Rosinen, die mit ihrer Fruchtsüße und -säure perfekt dazu passen. Ein mit Ente gefüllter Raviolo bringt neben einer weiteren Texturebene noch konzentriertes Schmoraroma mit ins Spiel. Sehr süffig, sehr harmonisch und handwerklich makellos umgesetzt, schlemme ich mich auch bei dem Gericht genussvoll von Gabel zu Gabel. (8,9/10)

Ein dickes Stück Steinbutt präsentiert sich mit Artischockenpüree, Topinamburcreme, einer hellen, leicht aufgeschäumten Sauce und nicht minder erwähnenswertem Blattspinat (€ 94). Gerade Letzterer ist überaus präzise gegart, stimmig gewürzt und steht dem Fisch damit in nichts nach. Kleine Krabben und verschiedene Gemüse sind dazu alle schlüssig, dennoch fehlt mir bei dem Gericht etwas geschmackliche Tiefe. Dem Fisch würden auch kräftigere Kontraste gut stehen. Letztlich reicht auch die hier verwendete Périgord-Trüffelknolle qualitativ nicht ganz an die der vorherigen Gerichte heran, offenbar eine Fluktuation des Produkts. Immer noch ein hervorragender Teller, aber trotz des Spitzenpreises nicht der Gipfel des Essens. (7,9/10)

In buttrigem, geröstetem Ciabatta angerichtete Abschnitte vom Kalbskopf (€ 42) probiere ich auch noch. Das Fleisch ist appetitlich säuerlich-würzig abgeschmeckt, das luftige Brot knusprig und verführerisch. Feldsalat, Meerrettich und eine cremige, säurebetonte Sauce machen das recht üppige Gericht zu einem gleichermaßen unkomplizierten wie ausgefeilten Hochgenuss. Zu Recht ein Klassiker. (8/10)

Für ein Dessert reicht es jetzt nicht mehr, aber die Petits Fours lassen nur wenig zu wünschen übrig. (8/10)

Das Tantris ist hierzulande ‒ vielleicht zusammen mit dem Waldhotel Sonnora ‒ eine der letzten Bastionen einer durch und durch klassischen, aber zeitlosen französischen Küche, die nichts anderes sein will als sie selbst. Das ist ungemein erfrischend, kurzweilig und oft sogar überraschend.

Die rot-weiß-schwarze Fabelwelt will man gar nicht mehr verlassen. Ich würde mich jetzt am liebsten an einen anderen Tisch setzen, von vorne beginnen und in einem ständigen Schlemmermodus langsam das Gefühl von Raum und Zeit verlieren. Die Ära Hans Haas wird Ende dieses Jahres zu einem ruhmreichen Ende gelangen. Was ihr folgen wird, ist noch ein Geheimnis. Aber das Tor zu dieser anderen Dimension wird Bestand haben, da bin ich mir sicher.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Tantris (→ Website)
Chef de Cuisine: Hans Haas
Ort: München, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 14.12.2019
Guide Michelin (D 2019): **
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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