Burnt Ends – Ende mit Neubeginn

Das Burnt Ends ist eines dieser gastronomischen Phänomene, bei denen es ein Restaurant schafft, die Aufmerksamkeit eines »taktangebenden«, kosmopolitischen Publikums so auf sich zu ziehen, dass man es in einer Liste wie den World’s 50 Best Restaurants noch vor Kalibern wie Alléno Paris, SingleThread und Le Bernardin findet.

Gründe für diese Popularität sind schnell gefunden: Das Burnt Ends bietet eine nahbare, »flexible« Spitzenküche in ungezwungener, legerer Atmosphäre. Ein bisschen Atelier de Joël Robuchon, aber weniger förmlich und nicht so teuer. Man muss das vielleicht etwas präzisieren. Zunächst versteht sich das ganze Konzept innerhalb der kulinarischen Klammer einer »Barbecue-Küche«. Wie ich gleich herausfinden werde, ist das nur die halbe Wahrheit; ein solches Konzept hilft aber, etwaige Hürden abzubauen. Kombiniert man das alles noch mit einer jungen Küchen- und Service-Crew, Rockmusik, einem langen Tresen vor einer offenen Küche und charmantem Industrie-Schick-Ambiente, fehlen eigentlich nur noch etwas Marketinggeschick und, vor allem, das Einhalten des kulinarischen Versprechens, das von diesem Rahmen suggeriert wird. Hierfür zeichnet der Australier Dave Pynt verantwortlich, dessen Lebenslauf man Stationen wie Noma, Asador Extebarri, Tetsuya’s und St. John entnehmen kann.

Selbst begehrteste Reservierungen stellen mich in der Regel nicht vor allzu große Herausforderungen. Eine Reservierung im Burnt Ends habe ich dennoch nicht in meinem Kalender, als ich an diesem Mittwochmittag vor der Tür stehe. Das Reservierungssystem der Website ist hakelig, immer ausgebucht, und widersprüchliche Angaben bzgl. der Reservierungszeiträume spielten mir auch nicht in die Karten. Über eine Nachfrage per E-Mail erfuhr ich aber, dass auch einige Walk-In-Plätze draußen zur Verfügung stehen.

Zwanzig Minuten vor der Öffnungszeit um 12 Uhr stehe ich daher vor der schmalen Eingangstür in der Teck Lim Road in Singapurs Stadtteil Chinatown. Es klappt mit dem Walk-In. Ich bleibe draußen sogar allein und fühle mich schnell wohl in meinem kleinen, privaten Genussreich.

Die Speisekarte spricht die Sprache einer Küche, die ein kulinarisch versiertes Publikum auf den ersten Blick als hochwertig und unkompliziert einordnen kann. Es gibt im Wesentlichen eine Reihe kleiner Degustationsgerichte (erkennbar an Preis, Zutaten und Aufbau der Speisekarte), von denen sich viele in einem erschwinglichen Bereich um 25 SGD (ca. € 16) befinden. Ausreißer nach oben beinhalten luxuriösere Zutaten wie Kaviar, Seeigel oder weißen Trüffel sowie verschiedene, nach Gewicht abgerechnete Fleischgerichte. Auch ein Degustationsmenü nach Auswahl des Küchenchefs zu umgerechnet ca. € 160 ist zu haben. Es ist kein Wunder, dass eine solche Flexibilität in Kombination mit den angebotenen Gerichten und Zutaten so populär ist.

Bei derartigen Speisekarten, bei denen es aufgrund von Vielfalt, kleineren Portionsgrößen und offenkundiger Güte schwerfällt, sich von vornherein festzulegen, sollte man einfach damit beginnen, ein paar Gerichte zu bestellen, um sich in das Essen »einzuarbeiten«.

Ich lege los. Im Glas ist ein 2014er By Farr Chardonnay – ein exzellenter Wein aus Australien im offenen Ausschank für ca. € 27 (mittels Coravin) – und auf dem Tisch nun die erste Petitesse. Ein geräuchertes Wachtelei mit Kaviar (ca. € 10) bedient die immer funktionierende Kombination von Geflügel- und Fischeiern mit präsenten Räucheraromen, wachsweichem Eigelb und betörendem Kaviar. Ein paar Grad wärmer wäre das womöglich noch besser – es ist aber schon so mehr als sehr gut. (7,5/10)

Snack Nummer zwei hört auf Beef and Uni, also Rind mit Seeigel (ca. € 33), ein Gang, der schon beim Lesen der Speisekarte als unverzichtbar hervorsticht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand die Kombination von rare gegrilltem, dünn aufgeschnittenem und aufgerolltem Wagyu-Rind auslassen wollte, das mit cremigen Seeigelzungen getoppt ist, die dem buttrigen Fleisch Jod, Salz und das charmante Aroma einer Marina entgegensetzen. Für solche Momente lohnt sich schon die ganze Reise. Es fühlt sich alles befreiend und erleichternd an. (8/10)

Es geht weiter mit einem Tempura von Aubergine, das mit Misosauce und getrockneter Chili serviert wird (ca. € 8). Der Snack setzt die Kombination »heiß, fettig und scharf« auf einem Spitzenniveau um, das einen zunächst zwar wegen der Hitze und Schärfe kurz aus der Bahn wirft, dann aber sofort mit dem luftig-krossen Tempura und einem süffigen Umami-Geschmack wieder zurückholt. Nicht weniger als konzentrierter Wohlgeschmack in herausragender Umsetzung. (8/10)

Ein Schluck Sake, den der Kellner dazu wärmstens empfohlen hat, kühlt mein Gemüt bei einunddreißig Grad Hitze.

 Die Küche, die mich schon jetzt glücklich macht, traktiert mich weiter mit Gelbschwanzmakrele, Kumquat und Jalapeño (ca. € 18). Erneut sind die Attribute buttriger Schmelz, Schärfe und Spitzenqualität im Spiel, aber das ist nicht alles. Den kleinen Happen Fisch findet man in einem spannungsvollen Zustand zwischen fast roh und etwas gegart in einem Holzkohleöl, das elegante Grillaromen beisteuert. Ein Kumquatgelee liefert dazu Frucht und etwas Schärfe – fertig ist ein weiterer Snack, der mit minimalen Zutaten Großes erreicht. (8/10)

Immer wieder äuge ich auf die Speisekarte. Noch während ich mit einem Gang beschäftigt bin, tausche ich meine Ideen für die nächsten Speisen mit dem Kellner aus, der hier draußen immer wieder nach dem Rechten sieht.

Mein nächste Wahl fällt auf Maitake »mit Ei« (ca. € 16), allein, um die seltene Gelegenheit zu nutzen, in den Genuss dieses delikaten Pilzes zu gelangen. Der Gemeine Klapperschwamm wurde hier so zubereitet, dass ihn eine hauchzarte Röstkruste umgibt, die betörend knusprig ist. Das Aroma des Pilzes ist erdig-würzig, gepaart mit einer leichten, belebenden Säure. Dazu gibt es Congee (chinesischer Reisbrei) mit einem Eigelb. Für sich allein betrachtet handelt es sich bei letzterer Melange um eine geschmacklich eher neutrale Angelegenheit, doch in Kombination mit den Pilzen ist die gesamte Kreation eine süffige, schlemmerhafte und besonders wegen der fabelhaften Qualität und Zubereitung der Pilze nicht weniger als hervorragende Kombination. (8/10)

The Doors, The Pretenders und Rod Stewart begleiten das kurzweilige Mahl hier draußen, während ich auf das fast obligatorische Mittagsgewitter warte. Doch es bleibt aus.

An Aufhören ist nicht zu denken. Eine fortwährende Neugier, welche Genüsse hinter den kurzen Zeilen der Speisekarte stecken, paart sich mit einer fear of missing out, einer Angst, Wesentliches zu verpassen.

Ein Fleischgang arbeitet dagegen an. Saftiges, aromatisches Onglet vom australischen Rind (ca. € 23) kommt aufgeschnitten auf einem süffigen Püree von verbrannten Zwiebeln, darauf Knochenmark für schwelgerischen Schmelz, daneben ein Brunnenkressesalat mit einer Sherry-Zwiebel-Vinaigrette, die so appetitanregend ist, dass die Speicheldrüsen schmerzen. (7,5/10)

In Hinblick auf ein nicht unwesentliches Abendessen in einigen Stunden möchte ich das üppige Mahl jetzt eigentlich ausklingen lassen, aber wer sagt, dass dieses Vorhaben nicht noch mit einer letzten Speise zu verwirklichen ist.

Man rät mir zum Burnt Ends’ Sanger (ca. € 13), ein Burger mit buttrigen, fluffigen Brioche-Buns, zwölf Stunden geschmortem Pulled Pork, Cole Slaw, marinierten Jalapeños und Chipotle-Aioli. Geschmacklich ist das eine Wucht, ich kann gar nicht anders, als dem weiteren Wohlfühlgericht bedingungslos zu verfallen. (7/10)

Die Popularität dieses Restaurants ist eine zwingende Folge der hier gebotenen Gaumenfreuden, sowohl qualitativ als auch handwerklich und geschmacklich. Man könnte glauben, dass es auf der Welt ein Leichtes wäre, vergleichbare Konzepte zu finden, doch danach muss man suchen wie eine Nadel im Heuhaufen. Eigentlich ist das Burnt Ends das ideale Restaurant – für fast jeden Anlass, fast jedes Budget, fast jeden Qualitätsanspruch. Lebte ich in Singapur, träfe man mich hier oft. Und wer sich über die hohen Bewertungen der scheinbar simplen Speisen wundert: Jeder einzelne Teller hier ist ohne den Ansatz eines Zweifels besser als unzählige dieser verkopften, feinsäuberlich angerichteten »Sterneteller« mit mediokren Standardzutaten, die man immer noch zu oft bei uns zulande findet. Wo sind dort die Maitake-Pilze? Wo ist der uni? Wo ist das Tempura? Wo ist das Feuer?

Während ich diese Zeilen schreibe, hat das Burnt Ends in der Teck Lim Road seine Pforten für immer geschlossen … und bereits in Dempsey Hill wiedereröffnet, drei Minuten Fußweg vom Candlenut. Im neuen Burnt Ends gibt es jetzt größere Räumlichkeiten und sogar eine angeschlossene Bäckerei. Man wird wohl auch dort nie satt. So wie ich. In sechs Stunden gibt es Abendessen. Im Zén. Ich mach’ mich mal auf den Weg.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Burnt Ends (→ Website)
Chef de Cuisine: Dave Pynt
Ort: Singapur
Datum dieses Besuchs: 10.11.2021
Guide Michelin (SG 2021): *
Meine Bewertung dieses Essens: 7,9 (Was bedeutet das?)
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