Atelier Crenn – möge der Sommer endlich enden

Die Speisekarte ist ein Gedicht. Also, wirklich jetzt.

Der Sommer ist mit seiner kühlen Brise gekommen
Ich berühre die Erde und spiele in seinem kühlen, milchigen Licht
Ich habe meine Kindheitserinnerungen wiederbesucht

Und so weiter.

Was das genau soll, fragt man sich, schließlich erlauben die Zeilen keinerlei schlüssigen Hinweis auf die Anzahl der Gänge, geschweige denn darauf, was es gleich zu essen gibt. Als Ganzes ergibt der Text jedoch auch keinen Sinn, also sind die 18 Zeilen Lyrik vermutlich doch ein Hinweis auf die einzelnen Gerichte. Auf den ersten Blick ist das ja eine schöne Idee: die Küchenchefin, Dominique Crenn, versucht dem Gast ihre ganz persönlichen Assoziationen zu jedem Gericht zu vermitteln. Poetic Culinaria nennt sie dieses Konzept. Ich bin bekanntlich ein großer Freund von Assoziationen, die man zu Essen haben kann, aber wenn sie mir jemand in den Mund legen möchte, hat das ein hohes Potenzial, schiefzugehen, zumindest auf dieser Meta-Ebene. Was kulinarisch dabei rumkommt, ist natürlich eine andere, ohnehin viel entscheidendere, Sache.

Als der erste kleine Appetizer serviert wird, eine mit Cidre gefüllte weiße Schokoladenkugel, habe ich zunächst überhaupt keine Assoziationen und nehme hilfesuchend die Gedichtkarte zur Hilfe. Ist das jetzt schon der Sommer mit seiner kühlen Brise? Möglicherweise. Der Snack ist durch die kühle Füllung recht erfrischend, und spätestens seit Anfang der Neunziger hat man ohnehin gelernt, kleine, süße, weiße Kugeln mit Sommer zu assoziieren – auch, wenn der Genuss damals „ganz ohne Schokolade“ war. Das passt also (aber schmecken tut es weniger).

Es folgt eine Zubereitung mit Seeigel in sehr guter Qualität. Das schmeckt angenehm rauchig und jodig und soll der Gang sein, bei dem die Autorin des Gedichts die Erde berührt und im „milchigen Licht“ des Sommers spielt. Es ist, wie ich befürchtet habe: die poetischen Beschreibungen verwirren eher als dass sie helfen würden, also lege ich die Karte bis auf Weiteres beiseite und versuche, mir meine eigenen Bilder zu machen.

Das nächste Gericht ist eine Zubereitung mit Pfirsich, Tonkabohne und Senf – ein gelungenes Spiel mit Süße, Bitterkeit und Schärfe. A part gibt es ein Stück Foie Gras an einem kleinen Spieß von schön cremiger Textur mit würzigen Blüten. Ganz in Ordnung.

Weiter geht’s mit einem recht banalen Stück Lachs, das mit Rogen, Okraschoten und einem deutlich zu süßen Püree serviert wird. Ein nur wenig zufriedenstellendes Gericht.

Es gibt weiter: Makrele, fermentiertes Tomatengelee und Tomate. Die Geschmackswelt ist durch die Herzhaftigkeit der Tomate und den Fisch etwas japanisch, was mir gefällt, aber mehr als ein „ganz okay“ geht mir dabei auch hier nicht über die Lippen. Zu kalt, zu viel Gelee, zu wenig Produkt.

Allmählich stellt sich Hoffnung auf Besserung ein. In einem Restaurant mit zwei Michelin-Sternen und einem Menüpreis von 220 Dollar netto ist das nicht gerade unbegründet.

Erfüllt wird meine Hoffnung nicht. Ein Ensemble mit drei irgendwie eingewickelten Fischsorten – Seeteufel, Dorade und Thunfisch – schmeckt nahezu neutral, und der nächste Gang, der in drei separaten Gefäßen serviert wird – darunter Hummer, Safran und Thai-Basilikum-Eis – wirkt völlig aleatorisch. Ein Zusammenhang zwischen den Speisen ist nicht erkennbar. Es ist inzwischen spürbar anstrengend geworden, sich auf weitere Versuche der Küche einzulassen.

Wo sind wir doch gleich im Menü? Vielleicht hier:

Ich nehme einen Schluck Sommer

Oder doch eher hier?

Der Sommer ist gekommen und ist voller süßer Überraschungen

Möge der Sommer doch endlich enden.

Doch er endet nicht und bringt ein weiteres ebenso minutiöses wie langweiliges Gericht hervor mit Tintenfisch und Lardo sowie, folgend, ein paar merkwürdige schwarze Kräcker. Wenn ich mich wirklich bemühe, sehe ich ein paar ganz gute Zutaten, aber worüber reden wir hier eigentlich? Ich bin gerade dabei, zu zweit weit über 800 Dollar hierzulassen. Wofür?

Für glibberiges Knochenmark mit Kaviar?

Für ein rohes, gummiartiges Stück Lamm?

Für eine fast rohe Wachtel?

Wenn man davon absieht, dass die sehr mäßige Sauce schon ein drittes Mal hintereinander Verwendung findet – so scheint es zumindest –, sind die paar Gramm Wagyu-Rind immerhin noch genießbar. Inzwischen geht es mir auch nur noch darum, irgendwie satt zu werden.

Aber bei meinem klebrig gescheiterten Versuch, das in einem Tannenzapfen versteckte „Carrot Jerkey“ zu essen, breche ich das Menü genauso schnell ab wie diesen Bericht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Atelier Crenn (→ Website)
Chef de Cuisine: Dominique Crenn
Ort: San Francisco, USA
Datum dieses Besuchs: 07.08.2015
Guide Michelin (SFO 2015): **
Meine Bewertung dieses Essens 6 (Was bedeutet das?)