Bouchon – Paris, California

Keinen Tisch in der French Laundry bekommen? Machen Sie sich nichts daraus. Gehen Sie einfach ein paar Meter weiter in Thomas Kellers Brasserie Bouchon. Hier gibt es zwar kein klassisches fine dining, dafür aber erheblich mehr Spaß. Das Bouchon ist derart parisien, dass man schon nach draußen gehen muss, um die neuntausend Kilometer, die dieses Restaurant von der französischen Hauptstadt trennen, wahrzunehmen (wenn man mal von der Sprache und der Klimaanlage absieht). Aber womöglich ist es sogar noch ein Tick besser als jede Brasserie in Paris, denn hier im Bouchon wachsen viele der Zutaten direkt vor der Tür, auf der anderen Seite der Straße.

Die Straße ist die Washington Street im kalifornischen Yountville, eine lange, saubergeleckte und sonnenbeschienene Allee, umsäumt von Bäumen, Restaurants, schicken Boutique-Hotels und tasting rooms von Weingütern aus dem Napa Valley. Man kann sich hier völlig mühelos mehrere Wochen lang durchfressen wie ein Wurm durch einen Apfel.

An diesem Freitagabend im August bin ich erneut im Bouchon, wie auch schon vorgestern, am Mittwoch. Und am Montag. Alle zwei Tage hier einzukehren scheint mir ein noch gemäßigter Rhythmus zu sein, denn das Bouchon ist ein Restaurant mit Suchtfaktor. Gründe hierfür sind vor allem die von köstlicher französischer Hausmannskost geprägte Speisekarte, die lebendige Atmosphäre (es ist immer voll hier) und eine exzellente, französisch-kalifornische Weinkarte. Reservierungen sind anzuraten, aber walk-ins auch häufig möglich.

Im Bouchon gibt es zum Beispiel einen hausgemachten Pâté de Campagne mit Cornichons, Radieschen (von Gegenüber) und duftendem Landbrot (von nebenan aus der Bouchon Bakery) für 14,50 Dollar (ca. € 13). Alles an diesem scheinbar banalen Teller ist hervorragend: die Würzung des Pâtés, der nicht allzu pikante Senf, das knusprig-warme Brot. Für das, was dieser Teller sein soll, ist er perfekt.

Ähnlich gut ist auch der Salade niçoise ($ 16,50). Alles ist knackig frisch und aromatisch, der Thunfisch von fabelhafter Qualität und die Vinaigrette dazu makellos und perfekt ausbalanciert.

Aus der Kategorie der heißen Horsd’œuvres gibt es z. B. Escargots à la Bourguignonne ($ 16,50), die in hausgemachtem Blätterteig und mit heißer Knoblauch-Petersilien-Butter serviert werden. Ausgezeichnet!

Als Hauptgericht fällt meine Wahl an einem Abend z. B. auf die Moules au Safran ($ 28,50). Die Miesmuscheln (Washington Penn Cove mussels) sind in einem Sud mit Weißwein, Dijon-Senf, Knoblauch und Safran gekocht, dessen aufsteigender Dampf seine appetitanregenden Aromen direkt in meine Atemwege befördert. Dazu gibt es, à part serviert, hausgemachte Pommes frites. Ein Gedicht!

Fleischliebhaber kommen hier natürlich auch auf ihre Kosten. So fällt die Entscheidung zwischen Poulet Rôti, Gigot d’Agneau, Boudin Blanc, Steak Frites und Steak Bouchon nicht leicht, aber als ich an einem Abend Letzteres bestelle ($ 59), bin ich begeistert. Hier setzt man nicht auf „dry aged“-Getue und Tausend Grad heiße Öfen, sondern versteht eine gute Reifung des Fleischs als nötige Voraussetzung und eine heiße Pfanne (pan-seared) als optimale Technik. Das Ergebnis ist fantastisch: das Stück Hochrippe hat eine heiße, buttrig-glänzende, richtig knusprige Kruste, dabei eine butterweiche Textur selbst bei der Garstufe medium rare und ist perfekt gesalzen.

Ein solches Stück Fleisch illustriert eindringlich, warum ich in Deutschland keine Steaks mehr esse (und in den Fällen, in denen ich es dennoch mal probiere, das Fleisch fast immer wieder zurückgehen lassen muss, wie gerade neulich im Mash Steakhouse oder im Heritage, beide in Hamburg).

So könnte es immer weitergehen. Die Speisekarte beinhaltet noch viel mehr: Austern, Hummer, Krebse, Kaviar, diverse Salate, Käse aus der Region, verschiedene Fischgerichte, Croque Madame … Wer hier nicht glücklich wird, muss ein ungemütlicher Zeitgenosse sein.

Ein Restaurant wie das Bouchon bedarf keiner langen Erklärungen und Analysen. Es ist eine französische Brasserie aus dem Bilderbuch. Und doch schwingen viele Botschaften mit. Zum Beispiel die, dass sehr gute Küche kein Makeup braucht. Sie braucht sehr gute, authentische Zutaten und eine gewissenhafte Ausführung. Viel zu oft höre ich, dass „solche“ Restaurants – gemeint ist damit das Fehlen der bei uns mit Sternerestaurants so oft in Zusammenhang gebrachten Attribute – bei uns niemals mit einem Stern ausgezeichnet und die Michelin-Inspektoren in den USA anders bewerten würden. Doch der Kausalzusammenhang ist ein ganz anderer: es gibt „solche“ Restaurants hierzulande einfach nicht. Französische Bistros oder Brasserien sind zwar nicht gerade schwer en vogue, doch wenn wir mal bei ihnen bleiben, stellt man schnell fest, woran es hapert.

Nehmen wir z. B. das zu jedem Zeitpunkt brechend volle Café de Paris bei mir in Hamburg. Es serviert völlig miserables Essen, doch die Gäste interessiert das nicht die labbrige Bohne, die neben ihrem sehnigen Stück Fleisch auf dem Teller liegt. Hauptsache, man ist satt geworden. Dies ist ein Beispiel von Dutzenden.

Dabei ist es doch kein Zeichen von Dekadenz, auf Qualität zu bestehen! Das ist die zweite Botschaft. Wir müssen in Deutschland gemeinsam noch viel mehr das Mittelmaß boykottieren. Ich versuche das schon seit Jahren, doch die Hürden sind enorm. Qualitätsbewusstsein heißt eben nicht, in den Bioladen einzukehren und mit dem Gefühl, den Planten gerettet zu haben, wieder hinauszuspazieren. Man kann sich nicht über „Shredder-Küken“ aufregen und dann einen Cesar-Salat mit Putenbruststreifen bestellen. Man muss Produkte vergleichen, Qualitäten erschmecken, Mittelmäßiges meiden und Genuss zulassen. Vielleicht bekommen wir dann auch irgendwann mal ein Bouchon.

Nachtrag: Ich habe erst später festgestellt, dass mein erster Bericht übers Bouchon aus dem Jahr 2010 nahezu denselben Titel trägt. Ich bitte, diese Unkreativität zu entschuldigen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Bouchon (→ Website)
Chef de Cuisine: Ross Melling
Ort: Yountville, USA
Datum dieser Besuche: 10.08.2015, 12.08.2015, 14.08.2015
Guide Michelin (SF/Bay Area 2015): *
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