Eleven Madison Park – Neues bleibt beim Alten

Im Januar war in der New York Times zu lesen, dass Daniel Humm und Will Guidara, Betreiber des Restaurants Eleven Madison Park, konzeptionelle Änderungen in ihrem Gastro-Tempel umsetzen werden. Konkret: weg vom tasting menu mit bis zu sechzehn Gängen und entsprechend häufigen Unterbrechungen durch Kellner, hin zu mehr Minimalismus und Fokussierung. Gästen solle fortan kein Menü aufgezwungen werden, von dem sie ohnehin die Hälfte wieder vergessen. Vielmehr solle es künftig darum gehen, den Gästen etwas „Kontrolle“ über ihr Essen zurückzugeben. Weniger Gänge, dafür mehr Optionen; weniger Unterbrechungen, dafür mehr Konversation am Tisch. Ein Ansatz, den ich sehr befürworte, obwohl ich mich im Eleven Madison Park niemals überfordert gefühlt habe.

Im Gegenteil. Eine Reservierung in dem seit Jahren konstant mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant war auf meiner aktuellen New-York-Reise Pflicht. Von der schicken Wohlfühlatmosphäre im Art-déco-Stil bis zur kreativen, produktfokussierten Küche aus der Feder des Schweizer Wahl-New-Yorkers Humm, ist ein Restaurantbesuch im „EMP“ immer ein Garant für großartige Abende. Es ist eines von ganz wenigen Restaurants, bei denen mich die Atmosphäre ähnlich begeistern kann wie das Essen. Immerhin ist mein letzter Besuch hier auch schon zweieinhalb Jahre her. Höchste Zeit für eine Auffrischung der Erinnerung.

Trotz aller Neuerungen bin ich erleichtert als ich das Restaurant an diesem Sonntagabend betrete. Die Atmosphäre ist so einladend wie eh und je: das warme Licht, der heitere Geräuschpegel, die bistroähnlichen Sitzbänke … Es ist eine bemerkenswerte innenarchitektonische Leistung, einen derart riesigen Speisesaal so gemütlich wirken zu lassen.

Die erste Neuerung fällt bei der Bestellung auf. Anstatt der bisher hier typischen Speisekarte mit vier mal vier Quadraten, von denen jedes das Thema eines Gerichts darstellt, begibt sich die Kellnerin in ein zwangloses Gespräch mit einem und erklärt, was das Menü ($ 295) heute Abend beinhaltet. Bei einigen Gängen gibt es Optionen, die mich kurzfristig vor Entscheidungsschwierigkeiten stellen, doch wenig später steht meine Auswahl. Die Art, das Menü so persönlich zu kommunizieren, ist eine gelungene Änderung, die den Bestellvorgang persönlicher und individueller wirken lässt.

Einige Apertif-Snacks erreichen wenig später den Tisch. Es gibt einen tadellosen Keks mit Apfel und Cheddar (8/10), dann zwei Austern: eine roh, serviert mit einem geschmacksintensivem Apfel-Granité (8/10), die andere pochiert, mit einer lauwarmen Austern-Velouté und Kastanie (und, wenn ich das richtig schmecke, etwas Vadouvan-Gewürz) – hervorragend (9/10).

Es geht weiter mit einer dekadenten Interpretation von Ei „Benedikt“, hier in einer kleinen Blechdose serviert. Mit einem kleinen Perlmuttlöffel entdeckt man eine süffige Mischung aus Ei, Kartoffel, Schinken und Kaviar, getoppt mit einer (handwerklich makellosen) Hollandaise und gerösteten Zwiebeln. Dazu werden knusprige, bliniähnliche Gebäckstücke serviert. Ungezwungener Hochgenuss aus der Dose. (9/10)

Der nächste Gang versteckt eine maritime Kombination von Taschenkrebs und Seeigel unter ganz dünn gehobeltem, saftigem Kohlrabi. Das kleine Gericht ist Brandung und Gischt, Marina und funkelndes Wasser: so eindringlich sind die jodigen, salzigen Meeresaromen der beiden Protagonisten, denen der Kohlrabi zusätzliche, kühle Frische verleiht. Aufwühlend! (10/10)

Es folgt pochierter ausgelöster Hummer in fabelhafter Qualität: bissfest und mit nussig-süßem Geschmack. Weitere Komponenten sind gehobelte Steckrübe, eine hauchdünne Scheibe Birne und eine leicht schaumige Sauce auf Krustentierbasis mit weihnachtlichem Geschmacksbild: absolut hervorragend. Lediglich zwei gefüllte runde Gebäckstücke – ich weiß nicht genau, was es ist – bringen durch ihren starken Texturkontrast etwas Verwirrung in die ansonsten wundervolle Komposition. (9/10)

Im EMP gibt es immer wieder auch Gerichte, die mit etwas Show am Tisch verbunden sind. Niemals jedoch dient sie dabei dem Selbstzweck, sondern ist stets wesentlich für das Gericht. Für den kommenden Gang zum Beispiel, der sich einer Garmethode aus der traditionellen französischen Küche bedient, die üblicherweise bei Geflügel zum Einsatz kommt (z. B. poularde de Bresse en vessie), fährt der Kellner einen Beistellwagen vor.

Darauf befindet sich eine glänzende Kupferpfanne, in der eine kopfgroße, aufgeblähte Schweinsblase warmgehalten wird. Diese wird entnommen, zerschnitten und der Inhalt – ein kugelförmiges Stück Sellerie und ein dichter Geflügeljus mit Trüffeln – auf einem Teller serviert. Ein seidiges Selleriepüree ist die einzige weitere Zutat dieses minimalistischen Gangs, der das Herz jedes Produktfanatikers höherschlagen lässt.

Die Selleriekugel hat eine Beschaffenheit wie eine reife Birne: saftig, ohne viel Widerstand, dennoch mit Biss. Das Aroma ist erdig und authentisch, und der punktgenau gesalzene Geflügeljus mit erdigen Trüffeln, die die heiße Knolle in kein besseres Licht stellen könnten, umrahmen dieses befreiend pure Geschmackserlebnis perfekt. Weniger ist mehr. Immer. (10/10)

Für den Hauptgang gab es die Wahl zwischen Ente (mit Honig, Lavendel, Schwarzwurzel und Birne) sowie Schweinebäckchen mit Zwiebeln und Senf, auf die meine Wahl fiel. Charmante Idee: in der Tischmitte werden weitere Beilagen zum Teilen platziert, ganz unabhängig von der Wahl des Gangs.

In Thymian gegarter „Butternut“-Kürbis und verschiedene Sorten Kartoffeln mit Kartoffelpüree sind zwar in der Tat recht universell zu Fleischgerichten einsetzbar, doch macht man es sich damit natürlich auch etwas einfach. Gegen die Einfachheit hätte ich nichts, wenn das Resultat tadellos wäre, doch sowohl Kürbis als auch Kartoffeln sind recht fad. Die Bäckchen selbst sind zwar ungemein zart, kommen aber etwas trocken und mager daher – ungewöhnlich sowohl für diesen Teil vom Tier als auch für ein Schmorgericht im Allgemeinen. Hervorragend ist die Fleischqualität aber allemal; auch die milden, leicht süßlichen Zwiebeln sind bemerkenswert aromatisch. In Summe hat dieser Gang jedoch eher den Charakter eines guten Bistro-Gerichts. (7/10)

Die Ente, die ich auch probiere, ist durch den Einsatz von Kardamom und Lavendel zwar etwas feiner, aber auch hier ist das Fleisch eher etwas trocken als saftig und zart. Der knusprigen, aber spröden Kruste täte zudem etwas Glanz gut. Geschmacklich ist der Gang aber ein Highlight: ein behutsamer Einsatz von Lavendel und winterlichen Gewürzen wie Kardamom passen exzellent. Eine dazu ebenfalls gereichte Entenbrühe ist wie ein dichter Jus, heiß und duftend und voller intensiver Aromen. (8/10)

Das Dessert ist Baked Alaska, eine auch Omelette surprise genannte Eisspeise, die heutzutage eine wahre Rarität ist. Mir wurde sie auf jeden Fall noch nie serviert. Es handelt sich dabei um eine Art mit Soufflémasse umhüllte und abgeflämmte Eisbombe. Hier wird sie später noch mit Rum übergossen und angezündet. Nachdem der Alkohol verbrannt ist, wird ein Stück davon serviert. (Was mit dem Rest geschieht, ist fraglich.)

Das Eis im Inneren besteht aus Sorten mit Meyer-Zitrone (hervorragend!), Vanille und Erdbeer. Das Ganze schmeckt wie eine Kombination aus Zitronen-Meringue-Tarte und Fürst-Pückler-Eis. Sehr mächtig, aber auch sehr gut! (8/10)

Ich finde es überhaupt schon großartig, klassische Desserts zu servieren, also solche, die einen Eintrag in jedem Küchenlexikon haben: Baba au rhum, Mousse au chocolat, Tarte Tatin, Crème brûlée … Wer mag das alles nicht?

Zum Abschluss folgt noch ein kleines Ratespiel („Name That Milk“). Es gibt vier Sorten Schokolade, hergestellt aus der Milch vier verschiedener Tiere (Kuh, Büffel, Schaf, Ziege). Auf einer Karte kann man raten, welche Schokolade zu welchem Tier gehört. Trotz manch scheinbar eindeutiger Aromen rate ich nur eine Sorte richtig. Amüsant, aber schlicht. (7/10)

Nach etwas mehr als nur zwei Stunden – kurz, aber nicht gehetzt – bleibt klar: Das Eleven Madison Park bleibt ein Spitzenrestaurant, das es wie fast kein anders schafft, eine perfekte Balance aus hervorragendem Essen (leicht, fokussiert, produktorientiert, regional, undogmatisch), einem angemessenen Maß an durchdachter Unterhaltung und einer absoluten Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Es gibt diverse Restaurants, in denen ich objektiv besser gegessen habe, aber nur wenige, die mir immer wieder so viel Freude bereiten. Damit bleibt alles beim Alten. Mit diesen Neuerungen kann ich leben.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Eleven Madison Park (→ Website)
Chef de Cuisine: Daniel Humm
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 06.03.2016
Guide Michelin (NYC 2016): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,9 (Was bedeutet das?)
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