Tourniert: New York City

Meine Begeisterung für den Big Apple wird niemals verblassen. Die Klinkerbauten mit Feuerleitern in Soho, die Hotel-Lobby im The Mercer, die Lichter bei Nacht, die schattigen Straßenschluchten, der schnelle Puls der Stadt.

Doch nicht nur das begeistert mich. Als qualitätssuchender Genussmensch wird man in New York so schnell fündig wie bei der Suche nach einem Taxi. Das Vorhandensein unzähliger Fast-Food-Ketten und Starbucks-Filialen widerlegt nicht, dass die Möglichkeiten, an gute Nahrung und spannende Gastronomie zu gelangen, mindestens genauso zahlreich sind.

Nur knapp vier Monate nach meinem letzten Besuch dort im Herbst führt es mich also wieder über den Atlantik.

Und um auf den mit Sicherheit täglich mehrfach aufkommenden Appetit zielsicher reagieren zu können, habe ich natürlich auch dieses Mal keine Lücke in meiner kulinarischen Agenda gelassen. Über einige Restaurants dieser Reise habe ich schon ausführlich berichtet. Weitere Restaurants ‒ nicht minder berichtenswert ‒ folgen in dieser Ausgabe von Tourniert. Es sind alte Bekannte dabei.

Inhalt

Chef’s Table at Brooklyn Fare
Graziella’s
Empellón (Midtown)
Le Bernardin
L’Atelier de Joël Robuchon


Chef’s Table at Brooklyn Fare

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass das Chef’s Table at Brooklyn Fare für mich eine Superlative unter den Spitzenrestaurants darstellt. Küchenchef César Ramirez bedient sich bei seinen Zutaten dauerhaft und ausnahmslos ‒ bei jedem Gericht, bei jedem Besuch ‒ vom obersten Regal der Qualitätsschubladen. Seine französisch-japanisch fundierten Gerichte sind dabei stets unglaublich wohlschmeckend, leicht zugänglich und vermögen es sogar, emotional gefestigte Esser aufzuwühlen. Die inzwischen deutlich entspanntere Atmosphäre in den neuen Räumlichkeiten in Manhattan, wahlweise am Tresen oder am Tisch, sucht ebenfalls ihresgleichen.

Vor ein paar Stunden erst bin ich an diesem Samstagabend in New York gelandet, und mein erster Restaurantbesuch führt mich gleich hierhin, hinein in den Supermarkt Brooklyn Fare in der 37. Straße

Der konzentrierte, aber bestens gelaunte Ramirez beginnt sein Menü mit einem Klassiker, einem buttrigen Toast mit makellosem, allerfeinstem Hokkaido-Seeigel und eingelegtem Périgord-Trüffel. Während man den Mund voller Umami und Jod, etwas knuspriger und viel cremiger Textur hat, schüttet das Hirn so viel Dopamin, Serotonin und Noradrenalin aus, dass man eigentlich eine Entziehungskur bräuchte, um davon wieder runterzukommen. Aber wer will das schon? (10/10)

Und dann ist man auch schon machtlos gegen die hypnotisierende Küche aus den Händen des mexikanischen Überkochs. Toro-Tartar mit sensationellem Thunfischbauch, geräuchert über japanischer Holzkohle, kombiniert mit einer Gurken-Brunoise, Aubergine, einem Dashi-Gelee und sehr viel Kaviar (Kaluga Queen) entlocken mir, fast schon zweifelnd an diesem Genussniveau, eine Träne (10/10), bevor ich bei einer einfachen Sardine aus der Bucht von Tokio, als meisterhaftes, hauchdünnes Tempura zubereitet und nur mit einer Scheibe Zitrusfrucht aufgetischt, wirklich innehalten muss, um nicht gleich entrüstet auf den Tisch zu hauen, dass das ja eigentlich alles gar nicht mit rechten Dingen zugehen kann (10/10).

Es geht so weiter. Ein Gericht mit gezupfter Königskrabbe mit Dill und Gurkenblüte ist voller atemberaubender Frische und Qualität (10/10). Laternenbauch (ein barschverwandter Fisch, japanisch Akamutsu), knusprig gebraten und mit einem phänomenalen, herzhaften Jus serviert, kommt mit edelstem Koshihikari-Reis aus Japan, perfekt gegart und mit hineingeschnippelter Abalone für noch mehr Geschmackstiefe (10/10).

Kaisergranat aus Schottland ist fast schon unnatürlich perfekt und wird einem süffigen Allerlei mit Blumenkohl serviert (10/10). China Girl von David Bowie tönt dazu in angenehmer Lautstärke im Hintergrund. Danach gibt es Kabeljau aus Kanada, von erneut atemberaubender Qualität, serviert mit weißen Spargelspitzen, phänomenalen Morcheln und einem hervorragenden Rahmjus (10/10). Mir ist schon kalt vor lauter Gänsehautmomenten.

Es gibt noch Wachtel ‒ zart, saftig, aromatisch ‒ mit einer der besten Saucen, die ich je gekostet habe (10/10), danach Miyazaki-Rind der höchsten Qualitätsstufe mit Gemeinem Klapperschwamm, einem Speisepilz aus Japan, der umwerfende Röstaromen mit ins Spiel bringt, schlicht unglaublich (10/10).

So ähnlich geht das auch mit den Desserts weiter. Cremiges Birnensorbet mit Sake-Gelee (10/10) scheint genauso aus dem Schlaraffenland angeliefert worden zu sein wie die himmlischen Walderdbeeren mit Yoghurteis (10/10).

Lediglich ein Schokoladeneis-Soufflé mit einer angenehm luftigen Textur, exzellentem Schokoladengeschmack, aber einem etwas wässrigen Gesamteindruck (7/10) macht mir zum ersten Mal deutlich, dass auch in dieser Parallelwelt hinter der Tür im Supermarkt nicht alles perfekt ist. Aber fast alles. César Ramirez ist eben auch nur ein Mensch. Morgen gehe ich mit ihm Pizza essen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Chef’s Table at Brooklyn Fare (→ Website)
Chef de Cuisine: César Ramirez
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 03.03.2018
Guide Michelin (NYC 2018): ***
Meine Bewertung dieses Essens 10 (Was bedeutet das?)
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Graziella’s

Eine unprätentiöse Pizzeria im Viertel Fort Greene in Brooklyn bietet ein einfaches, uriges Ambiente, einen gemauerten Steinofen und italienische Inhaber.

Das Ergebnis ist besser als fast alles, das man in Deutschland vorgesetzt bekommt, wenn man Pizza bestellt. Dünner, leicht knuspriger Teig auf der Basis von italienischem Mehl, frische Zutaten und gutes Olivenöl zum „Nachwürzen“ stillen den Appetit nach Herzhaftem.

Es gibt an diesem Abend Pizza Margherita, Pizza Speck & Burrata mit Prosciutto, Burrata und Tomaten, PizzaLuigi mit Taggiasca-Oliven, Paprika und Sardellen, Pizza Inferno mit Capicola-Salami, Jalapeños und Pimientos und Pizza mit Rucola und Parmesan (alle ca. € 21). Eine ist so gut wie die andere. Auch ein Tiramisu ist makellos zubereitet.

Dazu gab es ‒ „bring your own“ ‒ eine Magnum-Flasche Krug Champagner und einen 1971er Barolo von Fratelli Oddero. Manchmal muss es gar nicht mehr sein.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Graziella’s (→ Website)
Chef de Cuisine: Vito Randazzo
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 04.03.2018
Guide Michelin (NYC 2018):
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was bedeutet das?)
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Empellón (Midtown)

Ein kurzer, leichter Lunch mit Ceviche & Co. ist der Plan, doch ich befürchte, daraus wird nichts. In diesem Restaurant spricht alles dagegen, es schnell wieder zu verlassen.

Schon das spektakuläre Interieur über zwei Ebenen bietet fürs Auge so viele Details, dass die Eindrücke fast als Vorspeise reichen. Inhaber und ‒ eigentlich Patissier ‒ Küchenchef Alex Stupak betreibt in Manhattan drei Filialen dieses mexikanischen Restaurants, jeweils mit unterschiedlicher Ausrichtung. Das Geschäft scheint, trotz mäßig besetzter Tische an diesem Mittag, gut zu laufen. Allein der Innenausbau dürfte einen siebenstelligen Betrag verschlungen haben.

Apropos verschlingen: die Guacamole zu Beginn ist mit frischen, reifen Avocados zubereitet und wird mit guten, hauchgemachten Nachos serviert (ca. € 18). Dazu gibt es sieben sehr gut zubereitete Saucen mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen und Schärfegraden, die auch nach diesem Gericht am Tisch verweilen. Das ist sogar noch etwas besser als man es sich von so einem einfachen Snack wünscht. (6,5/10)

Ein Teller Nachos mit gezupftem Taschenkrebsfleisch, Jalapeño-Scheiben und Seeigelzungen (ca. € 26) leidet zwar etwas unter seiner Schwere ‒ davon könnten vier Personen satt werden ‒, doch die verwendeten Produkte sind alle erfreulich hochwertig und demonstrieren mal wieder das allgemein hohe Niveau an Zutaten, das man in New York so oft antrifft. (6,5/10)

Ein Taco mit sehr zartem, saftigem Pastrami, Weißkohl und „Senfkörner-Salsa“ (ca. € 19) muss dann auch noch irgendwie passen (6,9/10), aber beim Chicharrón in Form von frittiertem Schweinebauch, serviert in ebenfalls frittierten Schweinechips und mit einigen Kräutern und Gemüsen habe ich dann den Mund etwas zu voll genommen. Dennoch gut! (6,5/10)

Die Desserts sollen hier übrigens spektakulär sein. Wer’s schafft …

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Empellón (→ Website)
Chef de Cuisine: Colin King
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 04.03.2018
Guide Michelin (NYC 2018): Empfehlung
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was bedeutet das?)
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Le Bernardin

Für mich wäre eine New-York-Reise ohne einen Besuch im Le Bernardin unvollständig. Vor allem zum Mittag bietet es sich an, in den angenehm klimatisierten Räumlichkeiten die geschäftige Außenwelt für einen Augenblick des Genusses zu vergessen.

Das Restaurant von Eric Ripert ist nicht nur ein verlässlicher Ort für eine sehr feine, auf Fisch und Gemüse fokussierte Küche auf höchstem Niveau, sondern dazu noch angenehm unkompliziert. Zwar gilt jacket required for gentlemen, aber das war es dann auch schon mit irgendwelchen Vorschriften. Auch das Preisniveau ist überschaubar und für die gebotenen Qualitäten fast schon ein Schnäppchen (drei Gänge zum Lunch kosten ca. € 77, einzelne kleinere Gänge jeweils um € 23).

Ich probiere mich ein wenig durch die umfangreiche Karte. Thunfisch von hervorragender Qualität wird als kreisrund angerichtetes Carpaccio serviert, darauf kleine Portionen „Chutney“ von Iberico-Schinken, Schnittlauch, Queller und exzellentes Olivenöl. Hochgenuss benötigt nicht viel mehr. (8,5/10)

Auch Lachs, serviert als Sashimi und getoppt mit eingelegten Frühlingszwiebeln, Gurkenblüten und Arganöl begeistert mit fantastischer Produktqualität und einem Geschmacksbild, das Frische, Säure und „Schmelz“ genussvoll kombiniert. (8,5/10)

Grandios ist danach ein Gericht mit Artischocke in Form von dünn aufgeschnittenen Scheiben des Herzens, serviert mit einer Vinaigrette und schwarzem Trüffel von verblüffender Frische. Etwas Friséesalat obenauf ist ebenfalls perfekt abgeschmeckt und unterstreicht in Summe die für jeden Genießer gar nicht zur Debatte stehende Tatsache, dass Gemüse allein größtmöglichen Genuss bieten können. (9/10)

Das nächste Gericht beinhaltet scharf angebratene Stücke Tintenfisch, von denen einige mit einer leicht pikanten Farce aus Krebsfleisch gefüllt sind. Eine Brühe von geräucherten Tomaten unterstreicht die betörenden Grillaromen des Tintenfischs und fügt dem sommerlichen Gericht eine wohlschmeckende, absolut hinreißende Geschmackstiefe hinzu. Unvergesslich! (10/10)

Ein Dessert in Form eines Apfels besteht unter anderem aus Nussbutter-Mousse, Apfelkompott und einer wunderbar abgeschmeckten Armagnac-Sabayon, Honig ist auch noch im Spiel. Es ist ein perfektes, fruchtig-süßes Dessert, das mir so viel Genuss bereitet wie es Desserts sonst selten tun. (9/10)

Meinen Plan, hier einmal zum Mittag- und Abendessen an ein und demselben Tag einzukehren, habe ich zwar noch immer nicht umgesetzt, aber der Tag wird kommen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Le Bernardin (→ Website)
Chef de Cuisine: Eric Ripert
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 06.03.2018
Guide Michelin (NYC 2018): ***
Meine Bewertung dieses Essens 9 (Was bedeutet das?)
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L’Atelier de Joël Robuchon

Sechs Jahre, nachdem der globetrottende Über-Gastronom seine Pforten im Hotel Four Seasons geschlossen hatte, ist Joël Robuchon mit einem neuen Atelier nach New York zurückgekehrt. Es befindet sich im Meatpacking District neben dem Chelsea Market und bietet alle bewährten Merkmale seines legendären Konzepts.

Ich wähle in den Ateliers fast immer verschiedene Gerichte aus dem Abschnitt mit den Probierportionen, selten einen Hauptgang à la carte, nie ein Menü.

Auch heute beginne ich mit einem Klassiker, Dorade als Carpaccio, mediterran-frisch mit Zitronendressing, Piment d’Espelette und etwas Kaviar (ca. € 31). Das Gericht hatte ich zuletzt im Atelier in Shanghai im Januar, daher ist meine Erinnerung daran noch sehr frisch und erlaubt mir die Feststellung, dass das Dressing hier in New York etwas cremiger ist und der Gang dadurch eine Nuance an Leichtigkeit einbüßt. Dennoch exzellent. (7,9/10)

Wolfsbarsch (ca. € 34) von hervorragender Qualität, als Filet gebraten, kommt mit einer leicht aufgeschäumten Zitronengras-Beurre-blanc und in Kurkuma gebratenem Lauch (8/10). Auf noch höherem Niveau ist ein weiterer Klassiker der Ateliers: mit Lorbeer gebratener Kalbsbries (ca. € 38), serviert mit einem mit geschmorten Zwiebeln und geräucherten Schinkenwürfeln gefülltes Römersalatblatt (8,9/10).

Auch zwei Mini-Burger (€ 38) mit Pommes frites sind so gut wie in allen Ateliers und bieten üppigen, saftigen Fleisch- und Foie-Gras-Genuss sowie auffällig aromatische Paprika. (8/10)

New York hat damit sein Atelier zurück. Vermisst habe ich es in dieser Stadt mit ihren unzähligen gastronomischen Optionen allerdings nicht. Vor allem das preisliche Niveau ist auffällig hoch und liegt deutlich über den Preisen anderer Ateliers ‒ für dieselben Gerichte. Und die A-la-carte-Hauptgänge im knapp zwei- bis oft dreistelligen Bereich sind selbst für New York eine Ansage. Der Sterneregen wird jedoch sicher auch auf dieses Atelier niederprasseln, ganz zu Recht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: L’Atelier de Joël Robuchon (→ Website)
Chef de Cuisine: Christophe Bellanca
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 06.03.2018
Guide Michelin (NYC 2018): noch nicht bewertet
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)
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