Lockdown-Notizen: Piment, Landhaus Scherrer

Den gastronomischen Lockdown gleiche ich eher mit der eigenen Beschaffung und Zubereitung von Zutaten aus als mit dem Bezug ganzer Menüs, die man sich teilweise quer durch die Republik zusenden lassen kann. Der größte Freund von der Idee, regelmäßig ganze Menüs in Vakuumbeuteln in der heimischen Küche zuzubereiten, bin ich zugegebenermaßen nicht. (Nachtrag: Das hat sich mittlerweile geändert, vgl. weitere Berichte zu Lieferangeboten im Lockdown.)

Einen guten Kompromiss bieten aber Restaurants in der eigenen Stadt. Vorbestellen, abholen, warm machen: das ist zwar auch nicht so sexy wie, sagen wir, frischen Wasabi zu einem Stück Thunfischbauch zu reiben oder einen Wolfsbarsch aufs Big Green Egg zu legen, bietet aber oft eine nette Abwechslung zum heimischen Kochalltag. Vorausgesetzt, man weiß, was es Gutes zu bestellen gibt. Ein Blick in die Metropolen dieser Welt lässt einen diesbezüglich wieder nur ungläubig mit den Schultern zucken. In New York bietet César Ramirez seine spektakulären Menüs zum Mitnehmen an, in Los Angeles bestellt man über Tock ein Takeaway-Neujahrsmenü von Jordan Kahn und Grant Achatz, und auch in London liefern Weltklasse-Sushirestaurants ihre Kreationen nach Hause. Bei uns ist die Lage etwas prekärer, was vor allem daran liegt, dass unser typischer Esser nicht überwiegend auf der Suche nach hervorragenden Zutaten ist. Er oder sie ist meist auf der Suche nach einem gastronomischen Erlebnis, und das kann man leider nicht in Kisten packen und verkaufen. Aber ich schweife ab, pardon, mein Fernweh ist groß.

Mit zwei Speiseangeboten habe ich in Hamburg zuletzt sehr positive Erfahrungen gemacht. Es ist auch nicht so, dass man von diesen Angeboten viel hören würde. Die Nadel im Heuhaufen muss man schon selbst suchen.

Zum einen ist da das Landhaus Scherrer. Die Ikone an der Elbchaussee bedarf keiner Einführung und war schon immer auf den Außer-Haus-Verkauf seiner besonders saftigen und knusprigen Enten und Gänse spezialisiert. Auch mir haben die knusprigen Vierländer Enten schon das eine oder andere Weihnachtsfest ‒ auch das gerade vergangene ‒ vereinfacht und »verköstlicht«. Doch dieses Jahr haben Heinz Wehmann und seine Mannschaft noch einen draufgelegt, ganz unscheinbar, mit einem vielseitigen, häufig wechselnden Außer-Haus-Angebot. Die jahrzehntelange Erfahrung mit Essen to go mündet in dem vermutlich professionellsten Angebot für den heimischen Herd ‒ bis auf die Tatsache, dass man hier immer noch eher auf Telefonhörer, Fax und E-Mail setzt als auf einen wahrhaftigen Online-Bestellprozess. Doch wie heißt es so schön in der IT-Welt? Never touch a running system.

Die Scherrer-Speisen kommen vorkonfektioniert in biologisch vollständig abbaubaren Schälchen ‒ sogar inklusive der Folie ‒ und sind oftmals so konzipiert, dass man sie lediglich im bei 160 Grad laufenden Backofen unterschiedlich lange erwärmen muss. Man kann natürlich, für etwas mehr Authentizität, alles aus den Schälchen herausholen und individuell erhitzen. Wie auch immer man es macht, kann man sich, je nach Appetit und Laune, ein kurzweiliges Abendessen gestalten. Es folgen einige Beispiele.

Eine sehr aromatische, auf den Punkt gewürzte Topinambur-Suppe mit weißem Alba-Trüffel (€ 19,50) ist präzise abgeschmeckt, der Trüffel kommt vorgehobelt in einem Kunststoffgefäß und hat qualitätsbedingt auch einige Stunden später kaum etwas von seinem Aroma eingebüßt.

Der Salat vom lauwarmen Hummer mit gebratenen Pilzen und Mango (€ 48,50) ist von der ersten Gabel an zu einem Favoriten von mir geworden, mit Hummer von auffällig guter Qualität. Auch durch (behutsames) Aufwärmen des Krustentiers bleibt dies saftig, aromatisch und ohne Makel. Zusammen mit einer süßlich-süffigen Vinaigrette und den perfekt gewürzten gebratenen Pilzen ist das zweifellos ein Gericht, über dem ein Michelin-Stern auch zu Hause leuchtet. Auch in kleinerer, günstigerer Portion erhältlich, wie viele der Gerichte.

Ein Linsen-Eintopf mit Kochwurst (€ 14,50) schlägt durch präzise Würzung, Garung und Fleischqualität erfolgreich die Brücke von der gutbürgerlichen in die gehobene Küche, ein bei uns viel zu seltenes Beispiel dafür.

Königsberger Klopse mit Kartoffel-Püree, Kapern-Sauce und Rote Bete (€ 21,50) schließen sich dem an.

Bei der Seezunge mit Herbst-Trüffel, jungem Lauch und Sellerie (€ 58,50) schafft es sogar ein vorgegarter Fisch im heimischen Ofen zu respektabler Qualität. Der cremig eingekochte Lauch ist besonders schmackhaft, die Trüffeln intensiv und die Safran-Sauce dazu geradezu festlich.

Das Evergreen des Hauses, krosse Vierländer Ente mit Rotkohl, Kartoffelklößen, Kronsbeeren, Schmorapfel (€ 72,50), ist auch in diesem Jahr saftig, zart und »unkaputtbar«. Die Haut wird auch im eigenen Ofen mühelos kross. Nicht alle Betriebsgeheimnisse sind mir bezüglich der Scherrer-Ente bekannt, unter anderem aber, dass die Tiere besonders lange abhängen, bevor sie weiterverarbeitet werden.

Eine glasierte Kalbsbacke mit Schmorgemüse, Kartoffel-Gratin und exzellentem Rotwein-Jus (€ 36,50) ist genau das Richtige für einen weiteren Weihnachtsabend.

Alles in allem: unkompliziert, flexibel, einfach zuzubereiten und qualitativ wie im Restaurant. Unbedingt wiederholungsbedürftig.

Informationen zu diesem Restaurant
Restaurant: Landhaus Scherrer (→ Website)
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Essens: 24.12.2020
Guide Michelin (D 2020): *
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In Hamburg-Eppendorfs bestem Restaurant, dem Piment, ist das Außer-Haus-Erlebnis deutlich anders. Das von Haus aus »leise« Restaurant betreibt kein großes Aufsehen um seine Bestellmöglichkeiten zum Mitnehmen. Ich bin beim Stöbern im Internet darauf gestoßen, als ich Hamburgs beste Restaurants nach Bestellmöglichkeiten abklapperte.

Bereits der Abholvorgang ist sehr persönlich. Als ich mich dem Restaurant nähere, steht draußen, wie ich von ihm selbst erfahre, der Haus-Jäger an einem Stehtisch, gemütlich ein Glas Rotwein in der Hand. Er hat das Reh geschossen, das heute Teil meines Menüs sein wird (€ 135). Während wir plaudern, wird das Essen in einer offenen Kiste herausgebracht.

Ich staune nicht schlecht als ich sehe, dass sich darin zum Teil bereits auf Tellern fertig angerichtete Speisen befinden. Man hat hier eine genaue Idee von der Anrichtweise und möchte dem Gast offenbar ein Erlebnis wie im Restaurant bieten. Dass man den Gästen, vermutlich auch alles Nachbarn aus der Gegend, vertraut, die Teller und weitere Utensilien wieder zurückzubringen (»einfach wieder vor die Tür stellen«), ist ein weiteres charmantes Detail dieses intimen Familienbetriebs.

Die Vorspeise enthält einige von Wahabi Nouris Referenzzubereitungen. Niemand in Hamburg bereitet eine Gänseleberterrine so gekonnt zu wie der gebürtige Marokkaner, der neben einem Michelin-Stern auch eine Auszeichnung als German Master im Bocuse d’Or-Wettbewerb errungen hat.

Die Terrine, zu der man zu Hause noch eine Scheibe herrlich buttriger Brioche auftoastet, schmeckt unter anderem dezent nach Kardamom, Zimt und tausendundeins weiteren Gewürzen. Damit schafft Nouri die typische Liaison aus klassischen französischen Zubereitungen und einer »warmen«, orientalischen Aromawelt. Eingelegte Quittenscheiben und etwas Schokolade spielen dazu, mal süß, mal fruchtig, mit dem süßlich-herzhaften Schmelz der Terrine. Ganz hervorragend.

Der nächste Gang ist ebenfalls schon fertig im hauseigenen Teller angerichtet und erfordert lediglich zwanzigminütiges Erwärmen bei fünfundsiebzig Grad. Der saftige, in einer Krustentier-Consommé angerichtete Kabeljau ist danach perfekt auf den Punkt gegart und von »weihnachtlichen Aromen« eingerahmt, so der Hinweis im Menü. Auf das Weihnachtliche weisen jedoch nur einige dezente Gewürze in dem Sud hin, der Rest, unter anderem confierte Tomaten und Taggiasca-Oliven, erfüllen eher die Sehnsucht nach einer unbeschwerten, warmen Mittelmeerbrise.

 Und wenn man später noch Appetit hat ‒ die Pausen kann man zu Hause schließlich bequem in die Länge ziehen ‒ gibt es noch den Hauptgang, dem man bereits ansieht, dass er selbst zu zweit für mehrere Tage reicht. Es gibt Reh »Wellington«, das für zweiundzwanzig Minuten im Ofen bei zweihundert Grad goldbraun fertig gebacken wird. Das Resultat ist herausragend. Die Tranchen offenbaren saftiges, aber nicht blutiges, Reh, eine Farce, vermutlich aus Leber und Spinat, sowie den dünnen, krossen Teigmantel. Dazu gibt es Rotkohl, eine kloßähnliche Kartoffelzubereitung und eine fabelhafte Sauce, in die man noch marinierte Schwarzwurzel einschwenkt. Ein Gedicht.

Das »Weihnachtsdessert« richtet man aus verschiedenen Komponenten selbst an. Es gibt Eis aus Zitrusfrüchten, eine Kirschsauce, flüssig gefüllte Schokoladenpralinen und weitere Zutaten, die in Summe ein fruchtiges, würziges Dessert ergeben. Ein gelungener Abschluss für ein überraschend hervorragendes »Mitnehm-Menü«.

Gute Aussichten für 2021.

Informationen zu diesem Restaurant
Restaurant: Piment (→ Website)
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Essens: 26.12.2020
Guide Michelin (D 2020): *
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