Le Bistrot de Cancale – der letzte Barsch

An der Plage de Port Mer in Cancale, eine Viertelstunde mit dem Auto vom Château Richeux entfernt, betreibt Hugo Roellinger seit drei Jahren ein Bistro mit Blick auf die Bucht. Dutzende kleine Boote schaukeln darin am heutigen Abend sanft in den Wellen.

Wenn Spitzenköche neben ihrem Hauptrestaurant noch ein legeres Bistrokonzept betreiben – eine nicht seltene Kombination –, ist das in der Regel Anlass zur Freude. Im Idealfall genießt man dieselbe Expertise, profitiert von einem synchronisierten Einkauf mit gleichwertigen Produkten und hochwertiger Weinauswahl – und sitzt am Ende in einem Restaurant, in dem selbst Spitzenköche am liebsten täglich essen würden.

Im Bistrot de Cancale geht es nautisch-rustikal zu. Viel Holz und maritime Details wirken urig, die Stimmung ist lebhaft. Dass der junge Service etwas Hektik ausstrahlt, unterstreicht den Bistro-Charakter.

Die kompakte Weinkarte ist kurzweilig und preisgünstig. Man fokussiert sich hier voll auf ganze Flaschen, alle aus Frankreich, die meisten davon im zweistelligen Preisbereich. Sogar unter fünfzig Euro sind hier vernünftige Optionen zu finden. Ich bleibe mit einem 2018er Meursault von der Domaine Roulot (225 €) aber in meiner Komfortzone.

Das knappe Dutzend Gerichte, unterteilt in Vor- und Hauptspeisen, zzgl. Beilagen, ist erwartungsgemäß dem Meer gewidmet. Zusätzlich erläutert der Kellner die Tagesgerichte. Alles klingt hervorragend. Die hier gebotene Qualität wissen offenbar auch die anwesenden Gäste zu schätzen: Der Laden brummt – mit auf sympathischste Weise unprätentiösem Publikum.

Meine Kalmar-Beignets zum Start (14 €) kommen mit einem Condiment aus Tomate, Petersilie und Ingwer und schmecken schon mal alles andere als nach gewöhnlichen Tintenfischringen. Die Panierung ist filigran und knusprig, der Tintenfisch auf den Punkt gegart, das Tomaten-Ingwer-Condiment schmeichelnd süß und würzig zugleich. Einfach, aber einfach gut. (6,5/10)

Und dann schnellt das Niveau nach oben. Ein kleiner Salat mit Tintenfisch, grünen Bohnen und verschiedenen Kräutern und Blüten (23 €) unterscheidet sich nur marginal von der grandiosen, rein pflanzlichen Version, die ich morgen im Drei-Sterne-Restaurant probieren werde. Die maritime Note des Tintenfischs, bei der Grillaromen lediglich angedeutet sind, lässt die Komposition eine Nuance »rustikaler« wirken – allerdings nur im direkten Vergleich, den ich jetzt noch nicht habe. Das ist unter allen Maßstäben ein hervorragendes Gericht. (8/10)

Gleichzeitig auf dem Tisch steht ein kühl serviertes Gericht mit roher Dorade, leicht mariniert in einer Vinaigrette mit hauseigener Shichimi-Gewürzmischung, kombiniert mit Queller und hauchdünn aufgeschnittenen, sehr aromatischen Tomaten. Frische Säure und die Kräuternoten erinnern dezent an Ceviche, verankern das Gericht aber klar in der Region. Sehr gut. (7/10)

Mit der lebhaften Atmosphäre als Hintergrundkulisse und dem guten Wein im Glas (den der sehr beschäftigte Service jedoch temperaturmäßig nicht optimal unter Kontrolle hat), freue ich mich auf das nächste Gericht.

Ich habe Hummer bestellt (69 €), nicht zuletzt, weil einige der weltweit besten Qualitäten genau hier, in dieser Bucht, gefangen werden (Hummer aus Saint-Malo steht bspw. regelmäßig im Sonnora auf der Karte). Das Tier, längs aufgeschnitten und leicht gratiniert, wird in einer Kupferpfanne mit würziger Kräuterbutter serviert. Schon beim Auslösen des Fleischs mit der Gabel bemerkt man die außergewöhnliche Saftigkeit, die sich am Gaumen sofort bestätigt. Das Fleisch ist zart und nussig, und die Kräutersauce – säurebetont, aromatisch, »grün« und umami – greift gekonnt die Frische des Meeres auf. Dieser Hummer ist eine qualitative Referenz, die auf köstliche Weise demonstriert, warum die Bretagne für diese Delikatesse so berühmt ist. So simpel das Gericht konzipiert ist, lässt es sich nur mit diesem Hummer reproduzieren. (8/10)

Mein nächster Gang ist ein Tagesgericht: Wolfsbarsch in einer hellen, säurebetonten Sauce mit Pfifferlingen (45 €). Das Gericht wird heiß in einer Henkelpfanne aus Metall aufgetischt. Schon der erste Löffel – ich bevorzuge ihn hier, wie so oft, gegenüber Messer und Gabel, weil er das Genusserlebnis in einem Happen bündelt – trifft mich wie ein Schlag. Der Fisch ist von seltener Perfektion: enorm saftig, zart und doch mit einer feinen, bissfesten Struktur, das Mundgefühl beinahe buttrig. Sein Geschmack ist geprägt von maritimer Frische, dabei leicht nussig und süß. Die samtige Sauce, eine Art leichte Beurre Blanc mit Kräuteröl, bringt straffe Säure und markantes Estragonaroma ins Spiel – nicht als Überlagerung, sondern als präziser Kontrapunkt, der die Süße des Fischs noch klarer herausarbeitet. Die Pfifferlinge fügen knackige Textur und erdige Würze hinzu.

Von der unprätentiösen Präsentation des Gerichts in einem selbsternannten Bistro darf man sich nicht täuschen lassen. Man hat es hier nicht mit Bistro-, sondern mit absoluter Spitzenküche zu tun. Präzision im Garpunkt, aromatische Balance und die Qualität des Produkts bewegen sich auf höchstem Niveau. Es ist eines der besten Fischgerichte, die ich in diesem Jahr gegessen habe – und das schließt eine epische Reise nach Japan mit ein. (10/10)

Und manchmal, wenn es am schönsten ist, muss man das einfach so stehen lassen. Für ein Dessert bin ich zu aufgewühlt. Der Wolfsbarsch soll das Letzte sein, das ich von diesem sympathischen Laden in Erinnerung behalte. Und die wird sich so schnell nicht löschen lassen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Le Bistrot de Cancale (→ Website)
Chef de Cuisine: Hugo Roellinger
Ort: Cancale, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 29.07.2025
Guide Michelin (Frankreich 2025): Empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens: 7,9 (Was bedeutet das?)
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