Lockdown-Notizen IV: Bau in den Boxen

Als Christian Bau vor kurzem ankündigte, mit einem kulinarischen Lieferangebot zu starten, fiel mir ein Stein vom Herzen. Während des Lockdowns habe ich mir insgeheim länger gewünscht, dass Bau ein solches Angebot starten würde, weil er hierzulande einer der Qualitätsfanatiker überhaupt ist. Im Drei-Sterne-Restaurant Victor’s Fine Dining by Christian Bau landen in besseren Zeiten einige der besten Produkte aus aller Welt auf den Tellern, die nun vielleicht den seltenen Weg an den eigenen Herd finden. Eine Sonnora- oder Schwarzwaldstube-Box wäre vor diesem Hintergrund wohl ähnlich spannend, aber ich verorte diese Restaurants gerade eher in der Nähe von Wiederaufbaumaßnahmen als bei der Konfektionierung von Lieferkisten.

Der Bestellprozess des Angebots (»Bau in the Box«, € 195 für zwei Personen) ist zum Start noch etwas verwirrend, zum einen, weil man ein Lieferdatum eingeben muss, obwohl dies eigentlich nicht flexibel ist, und zum anderen, weil man keine automatische Eingangsbestätigung der Bestellung erhält, was einen sofort vermuten lässt, diese wäre nicht richtig erfasst worden. Vermutlich hagelt es auf Schloss Berg in diesem Moment Rückfragen und Doppelbestellungen. (Der Prozess wurde mittlerweile etwas optimiert.)

Da ich bei meiner Bestellung schnell und präzise bin ‒ meiner Übung mit zahlreichen begehrten Reservierungen in aller Welt sei Dank ‒, gelingt am Ende zwar alles, dennoch passt der digitale Lapsus zu der von mir bereits am Anfang der Pandemie angesprochenen, ausbaubedürftigen Digitalisierung der deutschen Gastronomie. Dass Herr Bau wegen der begrenzten Verfügbarkeit seines Angebots in den sozialen Medien Verunglimpfungen einstecken muss, ist allerdings ein Unding. Dass das Angebot sich verkaufen würde wie geschnitten Brot, war zu erwarten, alles andere wäre ein Skandal (für die Besteller).

Das Vokabular der beigefügten Dokumentation verdeutlicht sofort das kulinarische Niveau des Absenders. Sätze wie »Rollen Sie die eingeschnittenen Rettichscheiben zu Spitzkegeln und legen Sie diese an die Radieschenstraße« und Handlungsanweisungen wie »umgießen«, »drapieren«, »garnieren«, »warmziehen« und »anstreuen« lassen einen in der Küchenschublade dann doch schnell nach der Anrichtpinzette suchen, statt nach dem Holzkochlöffel. Es ist schön und etwas aufregend, auf diese Weise in das vermisste Geschehen einbezogen zu werden.

Mit einem Schluck 2015er Bâtard-Montrachet von der Domaine Jean-Marc Boillot an der Hand mache ich mich an die Arbeit. Ich richte mir dazu zunächst meine Mise en Place ein, indem ich einige der benötigten Zutaten aus ihren Packungen befreie, noch einmal in Augenschein nehme und ordentlich anrichte. Manche der Zutaten müssen jedoch zum Erhitzen in ihren Verpackungen bleiben ‒ da muss man als Ordnungsliebhaber also aufpassen.

Einige ungewohnte, aber unkomplizierte Handgriffe später steht schließlich ein kulinarisches Werk, das in solch einer Form wohl kaum jemand häufig in seiner Küche vorfinden dürfte. Das Sashimi von der Gelbschwanzmakrele begeistert durch eine grandiose Qualität mit bissfester, fleischiger Textur und glasklarem Geschmack. Dazu liefern eine milde Avocadocreme, würzige Kimizu (eine Art japanische Hollandaise), Queller, Hijiki-Algen sowie ein daran angegossener Jalapeño-Sud mit leicht gelierter Textur ein komplexes, Bau-typisches »asiatisches« Geschmacksbild. Damit wird der eigene Esstisch zum kulinarischen Reiseziel.

Der zweite Gang rückt kleinteilige Komplexität wieder in den Hintergrund und lässt klassisches französisches Handwerk mit Duft und viel Butter sprechen. Der konzeptionelle Schwenk tut gut und betont eindrücklich, was Spitzenküche im Kern immer ausmacht: gutes Handwerk. Der behutsam aufgekochten Krustentiersuppe entweicht ein einlullender, leicht süßlicher und doch herzhafter Duft nach vielen hochwertigen, eingekochten Krustentieren und Butter. Das noch einmal am eigenen Herd mit kalter Butter aufgemixte Elixier gibt man in einen Teller mit einer Einlage aus bereits klein gewürfeltem Fenchel mit Estragon, dazu folgen noch Ravioli, sehr hochwertige Garnelen und Tomaten, was man alles in der Suppe etwas warmziehen lässt. Das alles ist feinstes Küchenhandwerk ‒ und Wohlgeschmack in Reinform. Das ebenfalls hervorragende, aufgebackene Sauerteigbrot, das man am besten mit bretonischer Beurre Bordier genießt (die bei mir immer im Kühlschrank ist, man aber sogar mit der Kiste mitbestellen kann), eignet sich bestens zum Aufnehmen etwaiger Suppenreste.

Erhitzten Gemüts (im positiven Sinn) mache ich mich irgendwann an die Zubereitung des Hauptgangs. Dass man das Tempo des Essens selbst vorgibt, ist ein automatischer Pluspunkt bei der Zubereitung solcher Menüs am eigenen Herd.

Für das nächste Gericht gibt es Rind in zweierlei Zubereitungsarten, geschmort und zum Kurzbraten. Mit dem Beutel, in dem man das geschmorte Fleisch im Wasserbad erwärmt, kommt auch der Bratenjus, den man am Ende mit etwas Butter montiert. Dazu gibt es samtiges Selleriepüree, akkurat zurechtgeschnittene Perlzwiebeln, Möhrchen und Brokkoli, alles sehr klassisch. Wem das Gericht nicht »typisch Bau« vorkommt, sei daran erinnert, dass Baus Ausbildung ihr Fundament in der französischen Klassik hat. Trotz des späteren Schwenks des Küchenstils in Richtung Japan, bildet das klassische Handwerk immer noch die Basis von Baus Arbeit ‒ und ist auch heutzutage noch der Grund für die Opulenz und den tiefen, süffigen Wohlgeschmack seiner Kompositionen im Restaurant.

Dieses Gericht, das auf einer Arbeit Baus von vor über fünfzehn Jahren basiert, ist damit nicht nur eine kleine Dokumentation von Baus Schaffen, sondern obendrein eine sehr gut für den Versand geeignete Mahlzeit. Ich ergötze mich jedenfalls an der exzellenten Qualität des Fleischs (ich vermute hier hochwertige US-Ware). Wer, wie ich, noch etwas Périgord-Trüffel zur Stelle hat, den man von Bau in Ausnahmequalität beziehen kann, verfeinert das Gericht noch mit dicken Tranchen des luxuriösen Pilzes mit seinen erdigen, terpentinartigen Aromen. Im Glas habe ich dazu einen 2013er Clos-Vougeot vom Weingut Château de la Tour, das kann man sich alles so gefallen lassen.

Beim Dessert ist wieder etwas Anrichtakrobatik gefragt. Die Serviervorschläge, die Bau in den sozialen Medien veröffentlicht, sind dabei essenziell. Die vorkonfektionierten Zutaten sind eine Yuzu-Cheesecake-Creme, Butterstreusel, exotisches Früchteragout, eine Mango-Passionsfrucht-Sauce, »Exotic Gel«, getrockneter »Joghurt-Sponge« und eine blattförmige Teighippe. In Summe ergibt das ein exotisch-fruchtiges, cremiges Dessert mit kurzweiligen, angenehm säuerlichen Geschmackspointen von der Cheesecake-Creme.

Das Menü war rundum so überzeugend in Sachen Produktqualitäten, Konfektionierung, Anleitung und nicht zuletzt auch glücklich stimmenden Genussmomenten, dass ich daraus nur eine Konsequenz ziehen kann: Nächste Woche wird erneut bestellt.


Die zweite Kiste öffne ich mit fast noch mehr Vorfreude, immerhin weiß ich jetzt um die zu erwartenden Qualitäten. Ebenfalls ist mir bekannt, dass »Bau Box No. 2« ein süffiges Pastagericht beinhaltet, was von einem Koch wie Bau ein Garant für bedingungsloses Schlemmen sein dürfte.

Der erste Gang folgt zunächst wieder dem Konzept Fisch mit asiatischen Aromen, jedoch keinesfalls repetitiv, sondern, bis auf die Avocadocreme und Kimizu, mit neuen Komponenten. Im Mittelpunkt der Komposition steht Label Rouge-Lachs, von dem es ein mit Zitronenöl, Salz und Pfeffer in Eigenregie mariniertes Tatar sowie (bereits vom Restaurant) geflämmte Tranchen gibt. Ein Tapiokachip, etwas Kresse ‒ alles sehr akkurat verpackt ‒ sowie Soba Shiro Tamari, eine Art Sojasauce aus Buchweizen, runden die Kreation ab, die erneut eine appetitliche, geschmacklich leicht »asiatisch« anmutende Menüeröffnung mit einem Ausrufezeichen hinter dem Qualitätsanspruch darstellt.

Der zweite Gang bringt Abwechslung von Fisch und Fleisch. Ich wage die Mutmaßung, dass man sich auf Schloss Berg gefragt hat, ob man dem deutschen Drei-Sterne-Besteller ein Pastagericht anmaßen kann ‒ und bin heilfroh, dass man standhaft war. Großartige Pastagerichte gehören genauso in den kulinarischen Sternehimmel wie Hummer und Gänseleber. In diesem Fall hat man Chitarra-Pasta hergestellt, eine Art Spaghetti mit quadratischem Querschnitt. Dazu gibt es eine bereits vorbereitete Trüffel-Sahnesauce, geriebenen Parmesan, ein Stück Butter sowie etwas Pflanzenöl, in welchem man angehalten ist, ein Eigelb möglichst genau bei 60 Grad im Ofen zu temperieren. Nachdem man die Nudeln kurz kocht, schwenkt man sie abgetropft in der Trüffelsauce mit Parmesan und Butter. In der Anleitung liest man, dass das »eine relativ schlotzige Angelegenheit« sei, es »aber des Geschmacks wegen so sein« muss. Das klingt fast nach einer Entschuldigung, dass es hier nicht mit einer Anrichtpinzette vor sich geht.

Auf dem Teller steht sodann ein Nudelnest, in welches man das Eigelb einfüllt, dann die sämig-süffige Trüffelsauce angießt und am besten noch einmal ordentlich Périgord-Trüffel darüber hobelt. Nach der ersten Probiergabel fällt noch auf, dass ich noch etwas Salz benötige, um das Ganze richtig anzustoßen, aber danach gibt es bezüglich hemmungslosen Schlemmens kein Halten mehr.

Einen Fleischgang gibt es auch in der zweiten Box, aber von Wiederholung keine Spur ‒ erneut mit Ausnahme der Qualität. Das Rind ist sogar noch etwas stärker marmoriert und wird hier am Ende des Bratvorgangs mit einem »BBQ-Lack« umglänzt. Über das Fleisch streut man (bereits vorgeschnittenes) Schnittlauch und Zwiebelcrumble, beides sorgt in der Kombination für süßlich-herzhafte Aromen, die auf appetitanregende Weise an Hotdog erinnern. Unterstützt wird dieser Eindruck durch Senfsaat, die man in einer »Black-Bean-Sauce« zusammen mit Gemüse-Chili-Würfeln erhitzt. Perlzwiebeln, Paprika, ein Auberginenkompott und Zwiebelpüree runden das exzellente Gericht ab, das noch mehr Freude bereitet als der Klassiker vor einer Woche. Und selbst von der verführerischen Sauce mit der Senfsaat ist noch ausreichend zum Nachnehmen vorhanden.

Das Dessert spielt erneut mit exotischen Aromen, diesmal in Form eines »Ananasragouts«, das man in einer »kreolischen Sauce« mariniert. Das duftet nach einem schmerzlich vermissten Karibik-Urlaub, nach Cocktails, Kolibris und kreischenden Zikaden ‒ das allein ist schon wundervoll. Die karibischen Früchte richtet man schließlich um eine mächtige Schokoladenschnitte an, die man mit einer Kaffeesahnecreme »dressiert« und mit Schokoladenperlen und karamellisierten Haselnüssen dekoriert. Die karibische Träumerei wird zwar ein bisschen von der sehr üppigen Schnitte in den Schatten gestellt, deren Schokoladenschichten mir geschmacklich und hinsichtlich ihrer Textur nicht alle zusagen, dennoch ist das zweifellos so gut, dass man auch dieses Menü nur zufrieden lächelnd beenden kann.

Mit einem 1993er Eiswein »Herrenberg« vom Weingut Maximin Grünhäuser, ein spannender Fund aus meinem Keller, erhebe ich mein Glas in die südwestliche Richtung von Schloss Berg. Fortführung folgt.