Aqua – Salat als Vermittler

Mein zweiter Abend im Aqua innerhalb von achtundvierzig Stunden findet seinen Beginn wunschgemäß erneut etwas abseits des Geschehens an einem herrlich isolierten Tisch links vom Eingangsbereich.

Von den beiden Weinen, die ich gestern bestellt hatte, ist auch noch etwas übrig, es kann also gleich losgehen. Das heutige Menü trägt den Titel »Meine Verbundenheit« und steht ebenfalls in Ausführungen von € 195 für fünf bis € 225 für sieben Gänge zur Verfügung.

Auf die glorreiche Kalamata-Olive mit Ziegenfrischkäse, Sardelle, und karamellisierter Zuckerschicht muss ich zum Glück auch dieses Mal nicht verzichten (9/10). Der zweite Snack besteht aus gezupftem Fleisch von gegrilltem Heilbutt mit Algen und Kräutern auf einem Brotchip. Das schmeckt dezent nach Rauch, maritim und auf elegante Art norddeutsch. (8,9/10)

Die nächste Einstimmung ist ein Klassiker des Hauses, den ich allerdings bei keinem meiner Besuche hier bisher probieren konnte. Es handelt sich um eine in einem tiefen Glasteller geschichtete, kühle Kreation mit gelierter Kalbsschwanzessenz, Osietra-Kaviar und, auf dem Grund des Tellers, Crème fraîche. Die Kombination klingt bereits so, als könne da wenig schiefgehen – und tatsächlich liefert der kleine Gang komprimierten Hochgenuss. Die Essenz schmeckt im Wesentlichen wie ein im Kühlschrank gelierter Kalbsfond, der naturgemäß intensiv »nach Fond« schmeckt, aber noch genug Raum für den salzigen Kaviar und dessen nussige Aromen bietet. Die Crème fraîche dient bei dem unkonventionellen Surf and Turf als abmildernder Puffer. Intensiv gut. (9/10)

Der folgende Gang, mit bretonischer Makrele und Chimichurri, unterbricht den makellosen Beginn dieses Menüs nicht. Drei kleine Tranchen des gehaltvollen Fischs begeistern mit einer gehaltvollen, »mürben« Textur und einem feinen Spiel mit Säure und Umami, was einer insgesamt dreitägigen Beize mit Essig und Tomate zuzuschreiben ist. Zu dem kühlen, marinierten Fisch gibt es neben einer längs halbierten, gegrillten Petersilienwurzel noch eine Art dekonstruierte Chimichurri, dessen Hauptbestandteil Petersilie hier separat als Mayonnaise verarbeitet und in winzige Zwiebelringe eingebracht wurde. Kleingewürfelte Paprika und Perlzwiebeln in einer säuerlichen Emulsion werden dazu direkt am Tisch auf den Teller appliziert. Die Zubereitung und Qualität der Makrele in Kombination mit der feinen Säure begründen das souveräne Weltklasseniveau dieses angenehm schlichten Tellers. (9/10)

Das bisher sehr starke Menü fährt fort mit einer Kreation um ein Hühnerei. Als zentrales Element wurde dessen Eigelb in einem Sojasud mariniert und dann zu gerade noch flüssiger Konsistenz pochiert. Das Eiklar wurde frittiert und als knuspriges Element obenauf platziert, dazwischen gibt es eine Schicht hauchdünn gehobelter Champignons. Ein Champignon-Schaum liefert dazu Leichtigkeit, schwarzer Knoblauch markante Kontraste und Zuckermais kurzweiligen Biss und Bodenständigkeit. Das Ensemble ist grandios. Natürlich verführt auch der Umami-Geschmack durch Soja, Ei und Knoblauch, aber es sind vor allem die Champignons, die Elverfeld immer wieder so souverän verarbeitet, als handelte es sich um Alba-Trüffeln, sowie der eigentlich triviale Mais, der dem geschmacklich perfekt austarierten und spannungsvollen Gericht eine wunderbare Nahbarkeit verleiht. Gleichzeitig ist das Gericht bescheiden, weil es ohne klassische Luxuszutaten auskommt. Das ist so großartig, dass ich es nachbestellen muss. Auch der zweite Teller bestätigt meine Euphorie. (10/10)

Nach diesem im Grunde vegetarischen Höhepunkt ist es fast schon schade, dass noch ein Fleischgang hinterhergeschoben wird – als wäre das unbedingt nötig, um den Gast zufriedenzustellen. Aber Wagyu-Rind aus der japanischen Präfektur Kagoshima im Qualitätsgrad »A5« lässt man natürlich nicht links liegen. Das integrierte buttrige Fett des Fleischs fördert appetitanregenden Glanz zutage, dazu gibt es dichten, aromatischen Kalbsjus sowie verschiedene Zubereitungen um Artischocke: in Form von Chips, kleinen Würfeln aus dem Herz sowie als Sauce mit Schnittlauch und Paprika. Die Qualität des Fleischs ist erwartungsgemäß erhaben. Zusammen mit dem Kalbsjus und den exzellenten Artischockenzubereitungen untermauert das Gericht ein hervorragendes Niveau, doch es gibt Optimierungspotenzial. Zum einen überzeugt der etwas »unsaubere« Schnitt der Stücke nicht, weil abgeschrägte Kanten zu unterschiedlichen Gargraden führen (was bei dieser Qualität nicht wesentlich ist, aber immerhin), zum anderen fehlt schlicht etwas Salz am Fleisch, was auch die Saucen nicht kompensieren. Schließlich ist da noch eine geschmacklich zwar unerhebliche, aber doch etwas einfallslose anrichtweise. Hervorragend ist das auf jeden Fall, Weltklasse aber nicht. (8/10)

Der letzte herzhafte Gang hat geschmortes Schweinekinn als zentrale Zutat. Die saftige, aromatische Delikatesse, die durch eine lange Garung bei niedriger Temperatur eine zarte, homogene Textur aufweist, ist mit einer etwas wild klingenden Schichtung von gepufftem Reis, »Rosenkohl-Salsa« mit Büsumer Krabben sowie gehobeltem Périgord-Trüffel kombiniert. Dazu gibt es noch Rosenkohlblätter sowie frittierte Flower Sprouts. Nach einigen Probiergabeln bin ich hier etwas ratlos. Zum einen ist es nie vorteilhaft, Périgord-Trüffeln mit einer Microplane zu hobeln, weil das dem Edelpilz eine seiner wichtigsten Eigenschaften nimmt: die knackige, fragile Konsistenz. Die so feine gehobelte Trüffelspäne hat zudem das Problem, dass sie sofort eine Verbindung mit der darunterliegenden, cremigen Schicht eingeht, vor allem, wenn man die Trüffeln noch punktuell mit Jus übergießt. Das Resultat ist ein mit einer recht undefinierbaren Masse bedecktes Fleisch, bei der zwar die Krabben für ein kurzweiliges, säurebetontes »Surf-and-Turf-Erlebnis« sorgen, schließlich aber auch in dem Wirrwarr untergehen. Hier stimmen Proportionen und Texturen nicht, und es bleibt insgesamt unklar, womit man hier überzeugen möchte. (6,9/10)

Wie gestern, habe ich an dieser Stelle noch Appetit auf eine kleine Auswahl von Käsen vom Affineur Waltmann, bevor die Patisserie hier wieder Großes vollbringt.

Das erste Dessert thematisiert laut Speisekarte Zitrone, Feldsalat, Speck sowie Sauerrahm und Pekannuss. Man findet auf dem Teller ein Törtchen, ein Eis, verschiedene Cremes sowie angenehm angemachten Feldsalat. Am Gaumen ergibt sich schnell ein stimmiges, nach und nach immer spannungsvolleres Bild einer Kreation, die zwar eindeutig »Dessert« ist, dabei aber wegen des kecken Salats und etwas Speck auch Assoziationen zur Bistro-Küche zulässt und zwischen beiden Welten zu vermitteln scheint. Ich denke zum Beispiel an einen Moment, wo auf einem reich gedeckten Tisch ohne definierte Ordnung noch Hauptgerichte und Beilagen stehen, manch einer aber schon zu einem Dessert übergegangen ist. Vielleicht stibitzt man sich zwischen der Zitronentarte doch noch mal eine Gabel von dem Feldsalat, für etwas Frische zwischendurch. Dass dieser Spagat gelingt, ohne »gewollt« zu wirken, liegt daran, dass er einerseits einfach aromatisch funktioniert, andererseits aber auch, weil man solche Assoziationen komplett dem Gast überlässt. Großes Kopfkino. (9/10)

Danach folgt »tropische Nussecke« in Form einer Art Ananas-Nuss-Küchleins auf dem Grund der Schale, darauf eine zarte, mit Kaffee gearbeitete Knusperschicht sowie, ganz obenauf, geschmorte Ananasstreifen mit Purple Curry. Die verführerisch exotische Kreation macht es leicht, sie zu mögen, vor allem, weil eine deutlich präsente Schärfe der Currymischung geschickt eine karibische Wärme unterstreicht. Makellos und schwelgerisch. (9/10)

Bis auf die kleinen Schwächen bei den herzhaften Gängen, ist dieses Menü das etwas stärkere der beiden derzeit angebotenen. Das Aqua war immer schon etwas »Spielwiese«, ein kreativer Ort, der sich nicht allzu wichtig nimmt, bei dem Spaß und Entdecken mehr im Vordergrund stehen als durchoptimierte Perfektion von ausnahmslos jeder Speise oder irgendein Personenkult um den Küchenchef.

Dass man hier an zwei aufeinanderfolgenden Abendessen nicht nur ein kulinarisch sehr hohes Niveau, sondern auch kurzweilige Abwechslung geboten bekommt, ist eine Eigenschaft, die auch nicht jedes Drei-Sterne-Restaurant mit sich bringt. Ich rate dringend zur Nachahmung.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Aqua (→ Website)
Chef de Cuisine: Sven Elverfeld
Ort: Wolfsburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 05.02.2022
Guide Michelin (D 2021): ***
Meine Bewertung dieses Essens: 8,9 (Was bedeutet das?)
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