Akelarre – 3715 Tage danach

Etwas über zehn Jahre nach einem unvergesslich missglückten Mahl besuche ich wieder das Akelarre. Das mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant von Pedro Subijana befindet sich im hochgelegenen Stadtteil Igeldo von San Sebastián. Das Restaurant gehört zum gleichnamigen Hotel, ein Relais & Châteaux-Mitgliedshaus in spektakulärer Lage an einem Hang über der Biskaya mit bemerkenswerter Architektur. Das Hotel, das erst 2017 seine Türen öffnete, ist, noch vor dem Restaurant, der eigentliche Grund für meine Rückkehr.

Es hat sich inzwischen einiges geändert. Zum einen bin ich längst zur Erkenntnis gelangt, dass man Restaurants mit Meerblick lieber Mittags besuchen sollte, wenn man nicht irgendwann gegen eine spiegelnde schwarze Fensterscheibe blicken möchte (oder, wie damals, gegen ein Rollo). Zum anderen wurde mit der Eröffnung des Hotels und einer allgemeinen Renovierung des Anwesens auch die Inneneinrichtung des Restaurants maßgeblich verändert. Es ist freundlicher geworden, sehr freundlich sogar. Das frühere Flair einer japanischen Hinrichtungszelle ist einem offenen, hellen und einladenden Ambiente gewichen. Und der Blick nach draußen ist atemberaubend.

Es ist genau die richtige Atmosphäre, um die Vergangenheit ruhen zu lassen und Neues zu entdecken. Im Akelarre werden zwei Menüs angeboten (sie heißen nach wie vor »Aranori« und »Bekarki« und kosten jeweils € 240), die sich hinsichtlich der Gerichte vollständig unterscheiden. Ein möglicher Austausch von Gängen zwischen den Menüs wird ausdrücklich erwähnt. Sehr interessant – und mir in dieser Form noch nicht begegnet – ist auch ein zusätzlicher, wenn man so will, A-la-carte-Abschnitt der Speisekarte, der speziell dafür vorgesehen ist, um Gerichte aus dem Menü mit Gerichten aus dieser Rubrik zu ersetzen oder zu ergänzen.

Die Herangehensweise für den Gast ist damit eine erzwungenermaßen sehr produktorientierte. Je mehr Präferenzen man für sich selbst formulieren kann, und je besser man um das Potenzial bestimmter Zutaten weiß, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich hier sein persönlich ideales Menü zusammenstellt. Das gilt zwar für fast jede Speisekarte, aber hier wird es durch die genannten Faktoren auch im Rahmen eines kreativen Degustationsmenüs gefördert, was mir gefällt. Vielleicht ist das der Grundstein für ein deutlich besseres Mahl als damals.

Aus der digital präsentierten Weinkarte wähle ich einen 2017er Puligny-Montrachet 1er Cru »Clavoillon« von der Domaine Leflaive (€ 280) und erfreue mich an dem fairen Preisniveau der spanischen Restaurants.

Erste Amuse-Bouches erreichen den Tisch. Es gibt eine Art pomme soufflée in Form einer hauchdünnen, fast transparenten, hohlen Kugel aus frittierter Kartoffel mit pikantem pimentón de la vera – hervorragend (8/10) –, dann einen Macaron, der sehr gelungen den Pintxo-Snack »Gilda«, bestehend aus Peperoni, Olive und Sardelle, thematisiert (7/10). Eher unauffällig präsentiert sich etwas mit Olive und Paprika gewürztes Toast mit »diabolischer«, leicht pikanter Ziegenbutter (6,5/10).

Ein Brandteiggebäck mit heißer Garnelen-Füllung und kühlem Tartar ist zum Augenschließen gut und schmeckt bilderreich nach Sommer, Meer und Grillparty (8,9/10). Den Abschluss der kleinen Einstimmungen ist ein herzhafter Cracker in Form von knuspriger Schweinehaut gefüllt mit frittiertem Schinken (7/10). Aus der Tatsache, dass man in Spanien gerne etwas fettreicher snackt, macht man insgesamt keinen Hehl, sondern kurzweiligen Genuss auf breiter Ebene. Von der Butter und dem Toast lasse ich aber zunächst etwas auf dem Tisch, so ist das vermutlich auch gedacht.

Das eigentliche Menü beginnt mit einem Trio von Zutaten, das einige typische Aromen der Region widergibt. Eine kurz abgeflämmte Sardellen-Terrine schmeckt klar und rein, wäre allein aber eine Nuance trocken. An der Stelle kommen dann eine leicht süßliche Paprikacreme ins Spiel sowie noch ein Chip aus frittierter Sardellengräte. Pisto, eine Art spanischer Ratatouille, hier mit Paprika, Tomate, Zwiebel und Kartoffel, bringt zusätzlichen Schmelz und schmackhafte Röstaromen auf den schlichten, aber geschmacklich bemerkenswert fein justierten Teller. (8,5/10)

Es folgen dann die von mir ins Menü eingebauten Erbsen, hier auch zu Recht »grüner Kaviar« genannt und einer entsprechenden Dose angerichtet. Zu meiner Überraschung sind sie recht heiß, für meine Empfindung einige Grad zu viel. Dennoch ist die Garung perfekt, mit einer festen, am Gaumen regelrecht »aufplatzenden« Textur. Ihre ätherische, leicht herbe Süße ist jedes Mal aufs Neue ein Hochgenuss, gefiel mir aber im Etxebarri noch besser. Eine dazu servierte Brioche mit Pilzbutter ist einwandfrei, ergibt für mich aber keinen schlüssigen Zusammenhang. Ich bewahre auch dieses Gebäck am Tisch auf. (8/10)

Die Küche präsentiert mit dem nächsten Gang eine Symbiose zwischen Reis und Garnele. Das Gericht wird am Tisch fertig gestellt, indem ein mit Corail aromatisiertes, heißes Risotto auf kühlem Garnelen-Carpaccio angerichtet wird. Der in seiner Konsistenz ideal gekochte, bissfeste und durch die Sauce dennoch cremige Reis könnte den maritimen Geschmack des aus Dénia stammenden Schalentiers kaum besser einfangen. Das Gericht pendelt eindrucksvoll zwischen Rustikalität und Eleganz. (9/10)

Ein Klassiker des Akelarre ist die folgende gebratene Foie Gras mit »Salz und Pfeffer«. Die Stopfleber präsentiert sich mit knuspriger Röstkruste, besonders verführerischem Schmelz und einer der höchsten Qualitäten dieses Produkts, die ich kenne. Ihre Üppigkeit wird durch eine leicht angedickte Sauternes-Sauce kontrastiert, die neben ihrer Süße auch eine betonte Bitterkeit mitbringt – eventuell lässt man den Alkohol nicht vollständig verdampfen. Was ich bei meinem ersten Besuch noch etwas irritierend fand, empfinde ich heute als außergewöhnlich gut. Das »Salz und Pfeffer« ist in der verwendeten Menge natürlich nicht das, wonach es aussieht, vielmehr handelt es sich um Zubereitungen aus kristallisiertem Zucker und gepufftem schwarzem Reis, die angenehm knusprig sind. In Summe ist das ein äußerst spannungsvolles Gericht von allerhöchster Qualität. (10/10)

Nach so viel Opulenz ist ein Stück vom Seehecht ein willkommener Schwenk in Richtung Meer und Leichtigkeit. Erneut ist eine überragende Produktqualität auszumachen. Der von Natur aus aromatisch eher zurückhaltende Hecht hat hier eine federleichte, saftige Textur und wird durch einen transparenten Algensud, ein Austernblatt sowie eine Planktoncreme geschmacklich zurück ans Meer positioniert, »Petersilien-Perlen«, die optisch an Erbsen erinnern, setzen leicht herbe Akzente. Es ist ein leiser Gang, aber ein hervorragender. (8,5/10)

Die Atmosphäre im Restaurant ist lebhaft, der Service charmant und souverän. In diesem Rahmen fährt das erfreulich exzellente Mahl maritim fort, mit einer Variation verschiedener Kopffüßer. Sepia, Tintenfisch und Oktupus sind bei diesem Gang in unterschiedlichen Zubereitungen zu finden, z. B. als präzise eingeschnittenes und bissfest gegrilltes Stück, dann als leicht knuspriges »Couscous«, sowie als hauchdünnes, zu einer Art Chip frittiertes Stück. Das ungewöhnliche Zutatentrio ist auf einem Bärlauchblatt angerichtet, das mit seinem knoblauchähnlichen Aroma perfekt zu den Mollusken passt. Die Komposition ist eine der besten um dieses Thema, die ich je probiert habe, mit sehr präzise herausgearbeiteten Texturen, dabei sehr leicht und dennoch mit intensiven, eingängigen Aromen. (9/10)

Der Bärlauch leitet zufällig passend über – diesen Gang wählte ich aus dem anderen Menü – zu einer Komposition um presa (Nackenkern) vom Ibérico-Schwein und Knoblauch. Das Fleisch gelangt in drei, für diesen Schnitt etwas untypischen Stücken auf den Teller, die hier eher an Filet erinnern als an saftig-marmoriertes presa. Gleichwohl ist die Qualität hervorragend, mit zartem Schmelz, leicht nussigen und auch etwas prägnanteren, »tierischeren« Aromen. Drei Zubereitungen von und mit Knoblauch – schwarz, mit Plankton und als eine Art Dragee – bieten zum Fleisch krasse aromatische Gegensätze. Die Sauce auf der Basis von Öl und ebenfalls Knoblauch hält sich etwas zurück und verbindet Fleisch und Knoblauchzubereitungen sehr passend. Das ist geschmacklich alles etwas »speziell«, aber zweifellos ein hervorragendes Beispiel, wie eine bodenständige Kombination wie »Schwein und Knoblauch« durch entsprechende Qualitäten und Zubereitungen ihren Weg in die Spitzenküche finden können. (7,9/10)

Als Gaumenerfrischung dient eine Kreation um das Thema »Gin & Tonic«, mit einem Gelee des Longdrinks, einer Wacholdersauce mit der Konsistenz von Honig und einem betont säuerlichen Zitroneneis. Sehr süß, sehr sauer, sehr bitter, sehr klebrig – aber sehr gut. (7/10)

Xaxu, eine süße Gebäckspezialität aus Tolosa mit Mandel und Eigelb teilt sich beim Dessert schließlich den Teller mit gefrorener Kokos-Mousse. Die voluminösen Stücke fallen am Gaumen sofort in sich zusammen und ergeben eine verführerisch gute Kokoscreme. Wer, wie ich, Kokos mag, findet hiermit eine schlichte, aber absolut hervorragende Zubereitung. Es ist eine sehr gelungene Kombination von Regionalem und Exotik. (8,5/10)

Man kann es nicht anders sagen: Ich hatte hier ein fabelhaftes Mittagessen mit exzellenten Zutaten, einer kreativen Umsetzung regionaler Spezialitäten und geschmacklich teils großartigen Kompositionen. Die Atmosphäre zur Mittagszeit ist atemberaubend, und wenn man, leicht beschwingt vom guten Burgunder, auf die Biskaya blickt, ist alles andere nichts weiter als Schnee von gestern.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Akelarre (→ Website)
Chef de Cuisine: Pedro Subijana
Ort: San Sebastián, Spanien
Datum dieses Besuchs: 25.05.2022
Guide Michelin (ES & PT 2022): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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