Chef’s Table at Brooklyn Fare – Kapitel III
Vor nicht einmal zwei Jahren sorgte ein Disput zwischen dem Inhaber der Brookyln Fare-Supermärkte, Moneer »Moe« Issa, und dem Aushängeschild des Drei-Sterne-Restaurants, Küchenchef César Ramirez, für Aufsehen. Es ging – und geht immer noch – um sehr viel Geld. In der Folge verließ Ramirez das Restaurant – ein Schock für viele in der Szene, denn Ramirez gilt für manche, auch für mich, als einer der besten und einflussreichsten Köche unserer Zeit.
Während Ramirez erleichternd schnell Plänen für ein eigenes Restaurant nachging, holte der Inhaber vom Chef’s Table at Brooklyn Fare den Österreicher Max Natmessnig und den Niederländer Marco Prins zurück an den Herd. Beide hatten bereits zuvor in dem Restaurant gearbeitet und sind daher mit der Küche und den dort eingesetzten Produkten gut vertraut.
Die entscheidenden Fragen, die sich mir nach dem Bruch stellten – neben der für mich zentralen, wie César Ramirez nun weitermachen würde – lauteten vor allem: Wie soll hier künftig gekocht werden? Wer hatte zuletzt den entscheidenden Draht zu den Lieferanten der hochexklusiven Produkte – Issa oder Ramirez? Und selbst wenn der Zugang zu den Zutaten gesichert bliebe: Wäre es nicht vermessen, in einem ähnlichen Stil weiterzukochen, solange Ramirez noch in der Stadt aktiv ist? Andererseits: Personalwechsel auf Spitzenpositionen sind auch in der Spitzengastronomie keine Seltenheit. Doch Ramirez’ Küche war eine der unverwechselbarsten – untrennbar verbunden mit seiner Handschrift und Persönlichkeit. Sie einfach fortzuführen, scheint ohnehin ausgeschlossen.
Die neuen Köche müssen jedenfalls den schwierigen Spagat zwischen der eigenen Kreativität und dem Anspruch des Inhabers an eine Fortführung der kulinarischen Exzellenz meistern. Möglicherweise ist es aber auch einfacher: Vermutlich wollen die meisten Gäste in diesem legendären, immerhin zweifach besternten Supermarkt-Hinterzimmer einfach nur einen schönen Abend bei gutem Essen verbringen. Die Handschrift von César Ramirez suchen hier vermutlich die wenigsten – ich heute Abend auch nicht. Mit dem Restaurant, das so lange als meine Nummer eins galt, verbindet mich nichts mehr.
Am Ambiente des Restaurants hat man behutsame Änderungen vorgenommen. Noch immer dominiert der große Tresen den Saal. Der Bereich davor, mit regulären Tischen, Stühlen und Sitzbänken, ist nun in etwas helleres Licht getaucht – Geschmackssache.
Während man sich in kulinarischer Sicht in gewohnter Manier überraschen lässt, stöbere ich in der Weinkarte. Die Kalkulationen sind etwas seltsam: Man rundet weder auf noch ab, sodass man hier auf Preise wie 411 $ stößt, wie für den 2022er Chambolle-Musigny von der Domaine Georges Roumier, auf den meine Wahl fällt. Das Menü selbst kostet 360 $ zzgl. Steuer.
Ein Kartoffel-Taco mit Rotem Thun und mariniertem Mais markiert dann den kulinarischen Auftakt. Der Snack ist knusprig, kühl, mit viel Schmelz und Umami; etwas Säure und eine elegante Bitterkeit von einigen Blüten sorgen für Spannung. Ein breiter, genussreicher Start. (8/10)
Die Nori-Tartelette mit Foie Gras und Erbsen, die danach folgt, ist filigran-knusprig und mit intensiven Raucharomen ausgestattet. In Verbindung mit dem Algengeschmack geht die Foie Gras zwar geschmacklich unter – es ist schließlich das geschickte Spiel mit den Texturen, das diesen Snack nach oben hebt. (7,5/10)
Eine weitere Tartelette mit cremigem, leicht kühl temperiertem »A5«-Wagyu-Tatar, würzig-säuerlicher Sauce Gribiche als Basis und Eigelb-Abrieb bereitet mit Schmelz, fabelhafter Rindfleischqualität und einem – eine Nuance zu gut gemeinten – Salzkick Laune. Klarheit und Intensität sind in Summe hervorragend. (7,9/10)
Es folgt eine Auster aus dem Bundesstaat Washington, kombiniert mit Aguachile, Jalapeño und Korianderblüten. Der populäre Akkord »Auster mit grünen Aromen« überrascht hier nur in soweit als die vier Korianderblüten aromatisch alles andere überdecken – eine hätte ausgereicht. Sehr gut ist das wegen der Qualitäten und Zubereitungen allemal, aber es dauert, bis das pikant seifige Aroma am Gaumen abklingt. (7/10)
Das durch Ramirez berühmt gewordene Seeigel-Toast wurde hier bis vor kurzem noch in einer Abwandlung mit Waffel serviert – das hatte für mich (im übertragenen Sinn) etwas unnötigen Beigeschmack. Die neue Kreation mit Seeigel aus Hokkaido setzt auf Opulenz: Mit Carabinero, Königskrabbe und Elefantenrüsselmuschel (geoduck) sind gleich drei Meerestiere unter dem Seeigel zu finden, zusammengehalten von etwas Fenchelöl. Hier kommen die exzellenten Produkte sehr gut zur Geltung, vor allem die Königskrabbe glänzt neben dem Uni, der noch länger am Gaumen mit seiner begehrenswerten »maritimen Muffigkeit« nachhallt. Nach meinem Geschmack hätte das noch einige wenige Grad kühler serviert werden können, um das Maritime zu betonen und die Texturen präsenter wirken zu lassen. (8,5/10)
Erstmals weicht ein Gang spürbar vom unter Ramirez etablierten Prinzip einer kompakten, fokussierten Anrichtweise ab: Ein Stück Bachsaibling ist hier in einer lauwarmen Brühe mit Saiblingsrogen, Shiso und Schnittlauch angerichtet. Die Qualität des Fischs ist bemerkenswert: buttrig zart, mit feinen, leicht »flussigen« Aromen. Eine aufgesprühte Nocke, ich glaube aus Rettichcreme, die mit getrockneten Algenfäden und Shisoblüten aufgetürmt ist, lenkt jedoch etwas ab. Das ist ein wunderbarer Fisch und ein appetitliches Säurebild – doch insgesamt geht der Fokus auf den Fisch verloren. Und wenn man als Küchenchef eine Sache nicht aus Europa nach New York importieren muss, sind es Nocken aus der Sprühflasche. (7/10)
Das nächste Gericht folgt dann konzeptionell recht eindeutig der Handschrift des einstigen Mentors. Eine Jakobsmuschel aus Maine, glasig-bissfest gegart und mit appetitlichen Röstspuren versehen, liegt in einem Sauce-Duo aus einer Vin-Jaune-Sauce und Feigenblattöl. Eine großzügige Nocke Kaluga-Kaviar und ein Kraut, das als »Zitrusblatt aus Italien« vorgestellt wird, toppen die Muschel. Gargrad und Qualität der Muschel sind hervorragend, die Proportionen stimmig, und zusammen mit der üppigen, cremigen Sauce, die durch eine appetitliche Säurestruktur lebhaft und elegant wirkt, bietet dieser kompakte Gang den bisher größten Genuss. (8,9/10)
Es bleibt kompakt und tellerzentrisch. Beim nächsten Gang sind dünne Scheiben Abalone aus Hokkaido auf weißem Spargel aus der Provence, Morcheln und Koshihikari-Reis angerichtet. Eine grüne Sauce auf Basis von Salat und Abaloneleber rahmt alles ein. Das Gericht ist überraschend heiß, was sich in überwiegend lauwarm servierten Degustationsmenüs immer positiv bemerkbar macht. Nun erwartet man bei einem Gericht, das Abalone als Leitmotiv hat, dass genau diese Zutat besonders hervorsticht – doch die dünnen Scheiben gehen in dem Potpourri der anderen Zutaten etwas unter. Besonders der knackige, sehr aromatische Spargel »ergaunert« sich ein bisschen die Hauptrolle. Das Gericht ist insgesamt gleichwohl hervorragend – mit beispielhaften Zutaten, abwechslungsreichen Texturen, einer säuerlich-erdigen Geschmackswelt und sehr gut gegartem, körnig-klebrigem Reis, der die Hitze speichert. Das kann man gedanklich einfach so stehen lassen oder sich fragen, warum die Abalone hier keine wichtigere Rolle bekommen hat. (8/10)
Der nächste Gang präsentiert norwegischen Kaisergranat – vorbildlich gegart und von exzellenter Qualität. Begleitet wird er von einer schaumigen Sauce auf Sake-Basis, parfümiert mit rotem Currypuder, Pandan, Erdnuss und deutlich schmeckbarem Zitronengras. So entsteht ein klar thailändisch geprägtes Geschmacksbild, das von einer leichten Schärfe unterstrichen wird. Das ist handwerklich tadellos, wirkt mit seiner Exotik hier aber etwas fehl am Platz. Ein sehr guter Gang, nicht mehr, nicht weniger. (7/10)
Das letzte Fischgericht präsentiert mit holländischem Steinbutt, verschiedenen Muscheln, Algen und Anis dann eine maritime Geschmackswelt. Die sehr geringe Temperatur des Gerichts – mit fast kalten Muscheln – scheint beabsichtigt, überzeugt aber nicht. Der Nachgeschmack ist fast ausschließlich von Anis dominiert, was den maritimen Charakter konterkariert anstatt hervorhebt. Das ist etwas sonderbar. (6,9/10)
Ente aus dem Hudson Valley erscheint im nun letzten herzhaften Gang in einem »Rossini«-Kontext, das heißt mit einer Scheibe gebratener Foie Gras und gehobeltem schwarzem Périgord-Trüffel. Eine nicht entfettete und daher üppige Sauce aus der Entenpresse begleitet den Gang, der ultra-klassischen Genuss verspricht.
Die Ente, die man hier im Bundesstaat New York in exzellenten Qualitäten beziehen kann, bleibt auf diesem Teller jedoch qualitativ unauffällig und wirkt etwas zäh. Mit der mäßigen Hauptzutat zerfällt das initiale Genussversprechen; übrig bleibt eine immer noch deliziöse Geschmackswelt aus quietschfrischem Trüffel, einer klassischen, aromatischen Sauce mit tiefem Enten-Umami und der Scheibe Foie Gras, die mit ihrer Buttrigkeit allem etwas nachhelfen kann. Ein separat servierter Shot Enten-Consommé liefert weitere warme Herzhaftigkeit. (7,5/10)
Das erste Dessert ist ein Rhabarbersorbet auf einer Scheibe Meringue, darunter ein Kompott aus Erbeeren und Hibiskus. Das ist ohne Umschweife hervorragend, mit sehr aromatischen Früchten und einer präzisen Balance zwischen Süße und Säure. (8/10)
Fujisan-Brioche ist mit Whiskey-Karamell und Kardamom-Zucker glasiert und wird mit einem kugelrunden Kokosnusssorbet serviert. Die Brioche ist warm und buttrig-weich; die herbe Tiefe des Karamells und die florale Würze des Kardamoms sorgen für Hochgenuss. Das Kokosnusssorbet bringt dazu genau die richtige Kühle und Leichtigkeit ins Spiel, um dem Gang Balance und Frische zu verleihen. Mehr als hervorragend. (8,5/10)
Einige sehr klassische Petit Fours beenden das Menü ohne große Überraschungen. (7/10)
Gerade für Gäste, die zum ersten Mal hier sind oder weniger Interesse an einer genauen kulinarischen Einordnung haben – vermutlich die meisten –, bleibt das Chef’s Table at Brooklyn Fare einer von vielen attraktiven Fine-Dining-Hotspots in New York. Alle anderen werden feststellen, dass die neue Ära konzeptionell erwartungsgemäß an den Grundpfeilern der Vergangenheit anknüpft, aber noch um ein klares, neues Profil ringt. Natmessnig und Prins bringen ein hohes handwerkliches Niveau ein, um die hervorragenden – wenn auch nicht mehr durchweg kompromisslos herausragenden – Zutaten zu verarbeiten. Dabei wirkt die Küche längst nicht so kanonisch und prägend wie einst, was ich weder erwartet noch erhofft hatte. Wie sich dieses neue Kapitel weiterentwickeln wird, bleibt also vorerst offen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Chef’s Table at Brooklyn Fare (→ Website) |
Chefs de Cuisine: | Max Natmessnig, Marco Prins |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 16.04.2025 |
Guide Michelin (New York City 2024): | ** |
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