Le Cinq – die großen Preise von Paris

Zehn Jahre ist es her, dass ich zuletzt im Le Cinq war. Damals hatte Christian Le Squer gerade die Küche übernommen, der zuvor im Pavillon Ledoyen drei Sterne erkocht hatte (was ihm Yannick Alléno dort inzwischen nachmacht). Ein Jahr nach meinem Besuch kehrte auch im Le Cinq der dritte Stern zurück, den man 2008 unter Philippe Legendre verloren hatte. Das Restaurant hält die Auszeichnung bis heute.

Da ich während eines Kurztrips nach Paris auch im Four Seasons Hotel George V wohne, in dem das Restaurant beherbergt ist, trennen mich nur eine Fahrstuhlfahrt und ein vorfreudiger Spaziergang durch die weitläufige Lobbyetage des prachtvollen Hotels.

Der palastartige Speisesaal im Louis-XVI-Stil, mit hohen Decken, Stuck, vergoldeten Verzierungen und üppigen Blumenarrangements, ist ein Inbegriff von Grandezza. Er wirkt majestätisch und repräsentativ – zugleich durch viele Details so zeitgemäß, dass er internationalen Luxus verkörpert, ohne ins Museale abzugleiten. In diesem Hotel erwartet man nichts anderes.

Noch bevor man die Speisekarte ausgehändigt bekommt, erreichen die Canapés den Tisch. Die Weinfrage konnte ich auch schon klären, da ich am Mittag im weiteren Hotelrestaurant Le George bereits einen 2020er Chablis 1er Cru »Montée de Tonnerre« von der Domaine François Raveneau öffnen ließ, mit dem es hier jetzt nahtlos weitergeht. Mit 230 € ist der Wein überraschend fair kalkuliert, wie auch der überwiegende Rest der Karte. Auch ein 2019er Morey-Saint-Denis 1er Cru »Clos de la Bussière« von der Domaine George Roumier, den ich ebenfalls öffnen lasse und auch schon probiere, erscheint mit 350 € – in diesem Kontext – wie ein Schnäppchen. (Zum Vergleich: In London im Core by Clare Smyth kostet der gleiche Chablis 905 £; für den Roumier sind im Hélène Darroze at The Connaught, je nach Jahrgang, um die zweitausend Pfund fällig – das Siebenfache!)

Dagegen sind die Preise für das Essen recht kernig, allerdings für Paris heutzutage nicht ungewöhnlich. Für das Menü »Découverte« werden 620 € veranschlagt; speist man à la carte, was auch meine Wahl heute ist, findet man ausschließlich dreistellige Gerichtspreise zwischen 115 € und 280 € vor. Man geht zwar in der Regel nicht zum Sparen ins Le Cinq, aber meine Erwartungen sind entsprechend hoch.

Fast schon erdend dazu wirkt der erste Snack: eine Waffel mit Parmesan – überraschend leicht, schelmisch fettig und verführerisch kross (8/10).

Danach wird es eleganter: Eine Tartelette mit Blutorange ist gekrönt von einer transparenten, knusprigen Sphäre mit Blüten und Zitruszesten, dabei anregend bitter, wie ein Campari en miniature. (8,5/10)

Es geht weiter mit einem Zitat der Avantgarde: eine intensiv schmeckende sphärisierte Olive – Ferran Adrià lässt grüßen – auf einem Hefecracker (8/10). Dann schließlich der beste der Snacks: eine Croustade mit Lachstatar, Kaviar, Gurke und Crème fraîche – so köstlich, dass Thomas Keller wohl respektvoll herüberwinken würde, sein berühmtes Lachs-Cornet in der anderen Hand (9/10).

Es folgt noch ein Amuse-Bouche mit einer Joghurtcreme, Zitronengelee und Rübchen – eine leichte, kühl servierte Kreation mit spannenden Texturkontrasten, herber Frische und perfekt ausbalancierten Sommeraromen. (8,5/10)

Bei der ersten Vorspeise, die ich probiere, handelt es sich um soufflierte Safran-Gnocchi mit schwarzer Oliventapenade und einem am Tisch angegossenen Basilikumjus (115 €). Die Gnocchi sind überraschend wolkig, fast schwerelos, und gewinnen durch den Safran an Tiefe und Wärme. Die salzige Intensität der Olive und die kräuterfrische Klarheit des Jus ergänzen sich zu einer eleganten Würze mit mediterraner Leichtigkeit. Das ist handwerklich wie geschmacklich bemerkenswert – lediglich eine Dekoration aus sehr harten Parmesanstreifen ist kaum essbar. (8,9/10)

Vorspeise Nummer zwei sind dünne Tranchen vom Thunfischbauch, die an einem Cracker aus Paella-Reis angerichtet sind (140 €). Verschiedene Cremes und Saucen – umami- und säurelastig – rahmen den fettreichen Fisch spannungsvoll ein; der Reiscracker ist deutlich kaubedürftig und soll vermutlich an die schmackhaften, verbrannten Reisrückstände aus einer Paellapfanne erinnern. Das Ergebnis ist hervorragend, vor allem dank der exzellenten Qualität des Thunfischs. Gleichzeitig bleibt der Eindruck, dass das Gericht zwar auf solidem Spitzenniveau steht, aber kaum eine eigene Handschrift erkennen lässt – man könnte das genauso gut in einem Atelier von Robuchon serviert bekommen – in gleicher Qualität und zur Hälfte des Preises. (8,5/10)

Mein nächster Gang ist ein Filet vom Wolfsbarsch, das in einer »lait ribot« nachgart, einer fermentierten Buttermilch mit zart-säuerlicher Frische (190 €). Dazu gibt es eine Nocke Kaviar aus der Sologne und Brokkoli – eine unerwartete Zutat in einem Gericht, das so kostspielig ist wie manches Menü. Am Gaumen ergibt sich ein laktisches, säurebetontes und salziges Geschmacksbild – etwas zum zweimal Hinschmecken, bevor man feststellt, dass das ziemlich hervorragend ist. Der Fisch von makelloser Qualität profitiert von der Frische der Buttermilch und dem jodigen Salz des Kaviars; selbst der Brokkoli fügt sich mit seinen grünen Noten gut ein, bleibt aber etwas rustikal. Bei aller Begeisterung fehlen dem Gericht jene Attribute, die es zu einem unverzichtbaren kulinarischen Höhepunkt machen würden – gerade bei diesem Preis sollte man keine andere Erwartung haben. (8,5/10)

Ein Gericht probiere ich noch, das ich bei meinem letzten Besuch verschmäht hatte: die ikonischen Spaghetti debout en gratin, gratinierte »stehende Spaghetti« (190 €). Le Squers Hommage an simple, aber schmackhafte Nudelaufläufe präsentiert sich als kleine Timbale aus Bucatini – nicht Spaghetti –, die bissfest gegart, abgekühlt und anschließend vertikal geschichtet und gratiniert werden. Gefüllt ist das Ganze mit Champignons, schwarzem Trüffel und Pariser Schinken; saisonal gibt es offenbar auch Varianten mit Morcheln oder weißem Trüffel. Am Tisch wird dazu ein sahnig-samtiger Trüffeljus angegossen.

Das klingt nach purem Material für unbeschwerten Hochgenuss – wie die gefüllten Makkaroni im Epicure unter Eric Fréchon. Doch ganz so großartig kommt es nicht. So wohlschmeckend die Kombination auch ist – geprägt von Umami, Salz und den süffigen Aromen von Zwiebeln, Schinken und Käse –, fehlen mir einige Grad Temperatur, eine geschmeidigere Textur (alles ist sehr bissfest) und qualitativ bessere Trüffeln. Ein charakterstarkes, fast hervorragendes Gericht. (7,9/10)

Zum Dessert probiere ich eine Kombination aus Pampelmuse, teils confiert, teils roh (49 €), arrangiert in geschichteter, leicht gekühlter Form. Ein intensives Zitrusaroma trifft hier auf zartknusprige, karamellisierte Schichten, die auf einer geradezu »ledrig« wirkenden confierten Schale der Frucht ruhen. Sehr gut – wenn auch etwas »arbeitsintensiv«. (7/10)

Es folgt noch ein kurzweiliges Petit-Fours-Ensemble: teils skurril, wie ein Käsecracker mit Erdbeere, teils hervorragend, etwa ein »anisiger« Marshmallow oder eine hausgemachte Schokolade mit Haselnuss. (Im Schnitt 7,9/10)

So sehr mir ein Abend hier Freude bereitet – mit seinem überladenen, aber stilsicheren Ambiente, der begeisternden Weinkarte und dem souverän-lässigen Service –, bleibt auch mein zweites Essen im Le Cinq nicht als kulinarischer Höhepunkt haften. Ein im Schnitt hervorragendes Niveau ist in Anbetracht der Preise, vor denen man sich hier kaum verstecken kann, zu niedrig. Hier muss eine grandiose Zutat auf die nächste folgen, ein Gericht mehr begeistern als das andere – das war hier nicht der Fall. Dass es nicht mein letzter Besuch war, weiß ich trotzdem.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Le Cinq (→ Website)
Chef de Cuisine: Christian Le Squer
Ort: Paris, Frankreich
Datum dieses Besuchs: 01.08.2025
Guide Michelin (Frankreich 2025): ***
Meine Bewertung dieses Essens: 8 (Was bedeutet das?)
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