The Fresh Laundry

Die Fakten: Thomas Keller ist Amerikas berühmtester Koch und „The French Laundry“ in Yountville sein Steckenpferd und mit unzähligen Lorbeeren und Auszeichnungen überhäuftes Aushängeschild. Drei Michelin-Sterne, 29 „Food“-Punkte im Zagat, eine konstante Platzierung weit oben in den „World’s Best Restaurants“ (Nachtrag: gerade jedoch um 20 Plätze abgerutscht!) und unzählige weitere Preise. Einen Tisch zu bekommen bedarf einer präzisen Planung und entweder einer genauen Uhr in kalifornischer Lokalzeit und heiße Ohren am Telefonhörer oder eines guten Concierges mit „besserem Draht“.

Derart monumentale Vorschusslorbeeren sind natürlich auch immer eine Bürde, da man im besten Fall nur noch den großen Erwartungen des kritischen Gastes entsprechen kann, anstatt diese übertreffen zu können. Probieren wir es aus!

Ich erscheine pünktlich um die merkwürdige, aber meiner Reservierung zugewiesenen, Zeit 17.45 Uhr. Dass in vielen Restaurants in den USA Tische an einem Abend mehrmals hintereinander vergeben werden und somit nur bestimmte Zeitfenster pro Gast vorgesehen sind, ist eine für den Europäer lästige und stillose Sitte, raubt sie einem schließlich die Möglichkeit des ausgelassenen Schlemmens mit so viel Zeit, wie man als Gast für richtig hält. Ich werde den Eindruck nie los, dort abgefertigt zu werden.

Thomas Keller sitzt in weißer Küchenmontur im Garten, als wir seine heiligen Hallen betreten und in den ersten Stock zu unserem Tisch begleitet werden. Das Interieur ist geschmackvoll elegant - es würde auch gut an die Elbchaussee in Hamburg passen. Dort könnten Keller und seine Belegschaft allerdings nicht die Gemüse und Kräuter in einem Garten direkt gegenüber züchten, in dem die kalifornische Sonne (es muss eine andere sein) dafür sorgt, dass aus jedem Halm und jeder Schote eine Essenszutat seltenster Güte heranwächst.

Zum Aperitif werden uns glasweise unter anderem mehrere Champagner angeboten, wir entscheiden uns für einen Krug „Grande Cuvée“ ($45).

Die Speisekarte bietet zwei Prix-Fixe-Menus ($250) an, die jeden Tag wechseln, sogar zwischen Lunch und Dinner. Innerhalb der meisten Gänge kann zwischen zwei Speisen gewählt werden: hier muss ein Virtuose am Werk sein. Schnell fällt die Entscheidung für das „Chef’s Tasting Menu“ – das rein vegetarische „Tasting of Vegetables“ hat angesichts der faszinierenden Gemüsewelt in diesen Breiten sicherlich auch seine Berechtigung, aber vegetables werde ich sicherlich auch im anderen Menü zu tasten bekommen.

Die Weinkarte ist so, wie viele sie von einem Restaurant auf diesem Niveau erwarten – allumfassend. Insofern setze ich heute Abend auf die Hilfe des Sommeliers. Diese Entscheidung werde ich nicht bereuen, allerdings fällt die Weinberatung eher in die Kategorie der schnellen Abfertigung. „Sie sind für alles offen? Gut, dann machen wir zuerst eine halbe Flasche weiß, danach eine halbe Flasche rot. Okay?“. Ähm ... okay. Aber aus Kalifornien sollten sie schon sein, merke ich an.

Die Vorstellung beginnt sodann – es ist keine Zeit zu verlieren. Als amuse bouche werden zwei Hörnchen gereicht; es handelt sich dabei um ein Salmon Cornet: Tatar vom schottischen Lachs auf einer Schicht von schwarzem Sesam mit roten Zwieblen und Crème fraîche. Ich finde es gut, aber große Worte muss man darüber nicht verlieren.

Es folgt der erste Gang des Menüs, der einer von Thomas Kellers signature dishes (Referenzgerichten) ist: „Oysters and Pearls“: „Sabayon“ of Pearl Tapioca with Island Creek Oysters and White Sturgeon Caviar. Obwohl ich kein großer Austernfreund bin, ist diese Art, diese Meerestiere zu genießen, keine schlechte. Die leicht süßliche Sabayon wird hervorragend ergänzt durch den nussigen Kaviar und die Meeresfrische der bereits ausgelösten Austern. Dieses kleine Gericht ist meisterhaft – so kann es gerne weitergehen.

Als zweiten Gang wähle ich Moulard Duck „Foie Gras en Terrine“ / Celery-Orange Relish, Field Rhubarb, Young Almonds, Watercress and Black Pepper „Gastrique“. Hier ist ein Aufschlag von $30 fällig. Obwohl ich auf die andere Menüoption auch gespannt wäre (Salad of Hawaiian Hearts of Peach Palm / Tokyo Turnips, English Peas and Mint „Aigre-Doux“), wähle ich diese Option, um zu erfahren, ob eine Foie-Gras-Terrine von Thomas Keller beispielsweise so positiv überraschen kann wie zuletzt die von Wahabi Nouri.

Das Gericht ist wunderhübsch angerichtet, und die Frische aller Zutaten ist überwältigend. Vorhin noch im Garten, jetzt auf dem Teller – nicht nur Paul Bocuse hätte hier seine wahre Freude. Es reichen minutiöse „Tupfer“ einiger Zutaten, um deren volles Aroma zu erleben. Die frische Mandel und der Rhabarber sind besondere Highlights. Die dünne weiße Mandelschicht auf der Terrine bietet dagegen außer einer guten Optik leider wenig Überraschendes. Die Terrine selbst ist von guter Qualität, schmeckt aber nicht besser als anderenorts.

Der Sommelier hat inzwischen eine halbe Flasche 2007er Chardonnay vom Weingut Staglin aufgetischt ($110), der sehr gefällt. Wunderbar dicht, cremige Textur mit dezentem, aber präsentem Einsatz von Eiche.Als dritten Gang bietet das Menü ebenfalls zwei Optionen: Sautéed Fillet of Gulf Coast Pompano / Green Grapes, „Verjus,“ Cauliflower, Parsley Shoots and Black Truffle Coulis ist die Option, die ich nicht gewählt habe – stattdessen das Tartare of Japanese Bluefin Tuna / Morel Mushrooms, Marble Potatoes, Red Radish and Sorrel „Velouté“.

Alle Zutaten strotzen auch hier durch eine selten so erlebte Frische. Sogar die Blätter der Radieschen können nicht nur mitgegessen werden – wer es nicht tut, ist selber schuld. Bio-zertifizerte Lieferanten? Um derlei Trends schert man sich hier nicht. Hier wird einfach alles aus dem Garten gegenüber gezupft, was nicht vier Beine oder Kiemen zum Atmen hat. Das ist zwar auch bei diesem Gericht überaus beeindruckend, aber der Wunsch, das Gericht unbedingt noch einmal kosten zu wollen, kommt dabei nicht auf.

Es folgt Thomas Kellers wirklich sehr freie Interpretation eines „Caesar Salad“ / Sweet Butter-Poached Maine Lobster Tail, Caramelized Romaine Lettuce, Garlic Melba and „Bottarga di Muggine“. Der Hummerschwanz ist erwartungsgemäß von herausragender Qualität, die Sauce und der karamellisierte Salat passen sehr gut. Das Gericht gefällt, aber die Großartigkeit fehlt.

Mittlerweile auf dem Tisch: Ein geradezu burgundischer, sublimer Pinot Noir „Reed Vineyard“ vom Weingut Calera aus dem Jahr 2005 (Central Coast, Kalifornien) (halbe Fl. $120). Eine gute Wahl des Sommeliers.

Ein erster Zwischenstand erlaubt die etwas ernüchternde Feststellung, dass bisher jedes Gericht zweifelsohne gut war, aber keines so gut, dass es unbedingt einer Wiederholung bedürfte. Das Niveau könnte gerne etwas anziehen.

Weiter geht’s mit  Marcho Farms „Cervelle de Veau“ / Sacramento Delta Aspargus, Frisée and „Sauce Gribiche“, das ich anstelle der anderen Menüoption „Aiguillette“ of Liberty Farm Pekin Duck / Silverado Trail Strawberries, Cipollini Onions, Hazelnuts, Mâche and „Sauce Périgoudine“ gewählt habe. Das Gericht ist hervorragend. Das Kalbshirn ist leicht frittiert und wunderbar zart, die interessante Abwandlung der Sauce Gribiche passt dazu sehr gut. Ein schönes Gericht mit einer raren Zutat, von deren guter Zubereitungsmöglichkeit ich mich gerne hier bei Keller habe überzeugen lassen.

Gang sechs, ohne Option, ist das Elysian Fields Farm Lamb Rib-Eye / Lamb Ribettes, Spring Pole Bean „Cassoulet,“ Tomato Compote and Garden Thyme Jus. Das Lamm ist ohne Zweifel ein Superlativ und eines der besten, die ich je gegessen habe. Die anderen Zutaten harmonieren perfekt – ein makelloses Lammgericht.

Nächster Gang: „Tomme du Berger“ / „Panisse,“ Baby Artichokes, Jingle Bell Peppers, Niçoise Olives and Wild Arugula – oder einfacher: ein Käseteller, der nichts falsch macht, aber auch nicht alles richtig. Uninspiriert.

Als Übergang zum Dessert folgt ein Coconut Milk Sherbet / Vanilla-Roasted Maui Gold Pineapple, Medjool Dates, Cashew Nuts and Candied Ginger. Schnell aufgegessen und auch schnell wieder vergessen, werde ich der sorgfältigen Zubereitung sicherlich nicht gerecht, aber das Sorbet lässt mich kalt. Maui-Ananas hin oder her – Kokoseis mit Ananas geht eindeutig besser.

Als Dessertgang wähle ich „Savarin au Citron“ / Citrus „Vierge,“ Per Mio Figlio Olive Oil and Straus Dairy „Crème Glacée“ anstelle der Option Peanut Butter „Bavardois“ / Crunchy Feuilletine, Milk Chocolate „Whip“ and Gros Michel Banana Sorbet. Der Savarin au Citron ist langweilig und enttäuschend – wohlbemerkt in diesem Rahmen.

Die Mignardises sind sehr gut, bis auf die fast neutral schmeckenden „Teigdreiecke“, die absolut überflüssig sind.

Mit gemischten Gefühlen bestelle ich die Rechnung und bin mir zunächst nicht sicher, dieses Restaurant „verstanden“ zu haben. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr gelange ich zu dem Schluss, dass das Gegenteil der Fall ist. Keller setzt die Frische aller seiner Zutaten ins Rampenlicht und setzt diese durch teilweise hervorragende, detailverliebte Präparationen in Szene. Aber hinsichtlich Frische und Detailverliebtheit gibt es Beeindruckenderes, Bewegenderes, Überraschenderes.

Das gesamte Menü bewegte sich irgendwo zwischen klassischer französischer und Avant-Garde-Küche, ohne beides sein zu wollen. Klassisch französisch (trotz des „French“ im Namen) nicht, weil Keller das gar nicht sein will und Avant-Garde auch nicht, weil die Gerichte einfach wenig Neues offenbaren und nicht „mutig“ genug sind. Probierte man das heutige Menü unvorbelastet, könnte man den Eindruck erhalten, es trage die Handschrift eines talentierten Kochs, der seine Richtung noch nicht gefunden hat.

Dass genau das Gegenteil Fall ist, hat Keller in der Gastronomiewelt längst bewiesen – und dennoch konnte mich sein Stil heute Abend nicht vollends überzeugen. Frische und Zubereitung allein machen den Kohl zwar fetter, aber nicht fett genug — und Fett ist bekanntlich der beste Geschmacksträger.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: The French Laundry (→ Website)
Chef de Cuisine: Thomas Keller
Ort: Yountville, Kalifornien, USA
Datum dieses Besuchs: 23.04.2010
Guide Michelin (SFO 2010): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8 (Was bedeutet das?)