Tourniert: Casual California – Teil 1

Wer die bisherigen Restaurantberichte meiner Reise nach Kalifornien im Sommer etwas aufmerksamer verfolgt hat, dem wird womöglich aufgefallen sein, dass diese Agenda – trotz der vielen kulinarischen Höhepunkte – bei einer vierzehntägigen Reise eine straffe Diät gewesen wäre. Immerhin bietet ein Tag mindestens zwei plausible Möglichkeiten, ein Mahl zu sich zu nehmen. Wo war ich also die anderen achtzehn Ma(h)le?

So viele waren es zwar nicht genau, aber ich habe auf dieser grandiosen Reise kaum eine Möglichkeit ausgelassen, gutes Essen und eindrucksvolle Gastronomie zu entdecken. Mitnichten bin ich dafür mittags und abends in die feinsten Etablissements eingekehrt. Kalifornien, gerade Los Angeles und Umgebung, lebt von einem üppigen Angebot an alltäglicher Gastronomie, deren hohes Niveau* und oft besonders charaktervolles Ambiente nur zu beneiden sind. In meinem Format »Tourniert« berichte ich kurz und bündig über diese Erlebnisse. Dies ist der erste von drei Teilen.

Inhalt:

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* Mein Bewertungssystem ist vor allem für die Differenzierung von Qualitäten auf höchstem kulinarischen Niveau konzipiert. Fast alle Speisen dieser Tourniert-Reihe bewegen sich, sofern nicht anders erwähnt, im Bereich 6,5/10–7/10, also auf dem Niveau einer soliden bis sehr guten Küche. Auf das Aufführen der Bewertungen der einzelnen Speisen verzichte ich in diesem Fall.


A.O.C., West Hollywood

Es war genau die richtige Idee, für meinen Ankunftsabend in Los Angeles kein aufwändiges Fine Dining vorzusehen, sondern eine Weinbar. Tatsächlich gaben Bilder, die ich vom A.O.C. in den sozialen Netzwerken gesehen hatte, mit den Ausschlag für meine gesamte Planung, wieder gen Westen aufzubrechen. Wer sich die Website der zwei A.O.C.-Filialen ansieht, mit stimmungsvollen Bildern und appetitanregender Speisekarte, kann das vielleicht nachvollziehen.

Die Betreiberinnen des A.O.C., Caroline Styne und Suzanne Goin, zählen zu den bekanntesten Gastronomen Kaliforniens. Mit ihrem bereits über zwanzig Jahre gereiften Konzepts eines weinfokussierten Restaurants mit unkomplizierten À-la-carte-Speisen zum Teilen zählen Styne und Goin als Pioniere dieser attraktiven Gastronomieform.

Die Filiale in der West Hollywood ist bereits von außen sehr einladend, umso enttäuschter bin ich über meine initiale Platzierung auf einem zugigen Innenhof mit Parkplatz-Flair. Es dauert nicht lange, bis ich meinen Tisch zugunsten eines anderen auf der deutlich stimmungsvolleren überdachten Terrasse tauschen kann. Hier ist es wunderbar. Der kulinarische Teil meiner zweiwöchigen Reise kann beginnen.

Eine Auswahl zu treffen, fällt mir schwer. Dutzende appetitlich klingende Speisen – Salate, Pasteten, Charcuterie- und Käseteller, sonniges Gemüse, Fisch, Pasta, Geflügel und mehr – buhlen alle um gleich viel Aufmerksamkeit.

Am Ende fällt meine Wahl auf Focaccia, eher eine Pizza nach Focaccia-Art, mit würziger Soppressata, Tomaten, Kapern, Parmesan, Rauke und weiteren süffig-herzhaften Mitspielern (18 $, ca. 18 €). Das ist gut, aber noch besser sind die Venusmuscheln (20 $). Sie kommen in einem dampfend heißen, öligen Sherry-Sud mit Frühlingszwiebeln und Kräutern, den man währenddessen immer wieder mit federleichtem, luftig knusprigen Toast aufstippen kann. Das entlohnt schon die gesamte Anreise nach Kalifornien, I kid you not.

Die Weinkarte – immerhin Herzstück des Konzepts hier – bietet eine mannigfaltige Auswahl aus diversen Regionen der Welt mit einem erfreulichen Fokus auf Kalifornien und Frankreich. Auf Empfehlung der Sommelière, nach dem Ausloten einiger Optionen und Präferenzen, fällt meine Wahl auf einen 2012er Soliste Pinot Noir von der Sonoma Coast (220 $). Dieser präsentiert sich dann leider mit deutlich zu oxidativem Charakter. Ein großer Zufall will es, dass der Inhaber des Weinguts, seines Zeichens Franzose und Stammgast im A.O.C., wenige Tische neben mir sitzt und die Situation mitbekommt, dass »sein« Wein ausgetauscht werden muss. Einige kurzweilige Momente und einen freundlichen Austausch später spendiert er mir kurzerhand und ohne mögliche Widerrede die Ersatzflasche eines anderen Jahrgangs (die erste steht natürlich auch nicht auf der Rechnung).

Die passt dann wiederum wunderbar zu Scheiben vom hanger steak (Nierenzapfen) mit Olivenbutter und gerösteten Pinienkernen (26 $) sowie einer – etwas zu hungrig bestellen – üppigen Portion schwarzem Reis (arroz negro) mit Tintenfisch und Safran-Aioli (22 $). Eine Weinbar ganz nach meinem Geschmack.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: A.O.C. (→ Website)
Chef de Cuisine: Javier Espinoza
Ort: West Hollywood, USA
Datum dieses Besuchs: 12.07.2022
Guide Michelin (California 2021): Empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens: 6,5 (Was bedeutet das?)
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Pizzana, West Hollywood

Nach einem Spaziergang in den Hollywood Hills nehme ich zielstrebig ein Lyft (Uber ist hier schon Schnee von gestern) zum Pizzana am Robertson Blvd. Die Pizzeria ist eine von derzeit vielen Möglichkeiten in und um Los Angeles, um in den Genuss von guter Pizza zu gelangen. Doch gerade Pizzana wurde mehrfach ausgezeichnet und ist sogar mit einem Bib Gourmand im Guide Michelin empfohlen.

Es ist die zweite Filiale mit Küchenchef (aber nicht Inhaber) Daniele Uditi. Der gebürtige Neapolitaner kam im Jahr 2010 nach Los Angeles, mit im Handgepäck waren einige sorgsam verschraubte Gläser mit jahrzehntealtem Sauerteigansatz seiner Familie. Dieser wird immer noch in den Pizzana-Filialen verwendet, während dieser Tradition deutlicher Einfallsreichtum bei den Pizzabelägen entgegenstehen.

Bemerkenswert bei allen Restaurants, die ich in Kalifornien besuche, ist immer auch die Gestaltung, und zwar von der Architektur über das Interieur bis zum Design der Speisekarte. Auch im Pizzana sind diese Punkte hervorzuheben. Die kantige, himmelblaue Außenfassade mit markanter roter Strebe, schwarzem Fensterrahmen und akkurater Bepflanzung ist schon ein Hingucker; und die überdachte, langgezogene Terrasse macht das Beste aus ihrem begrenzten Platz, mit der in den USA so typischen und geschmackvollen Kombination von Ziegelstein, viel Schwarz und grünen Pflanzen.

In diesem Ambiente bestelle ich eine Pizza Cacio e Pepe (23 $), dazu einen Salat »Tricolore« (16 $) mit Rauke, Treviso-Salat, Chicorée, Kirschtomaten, kandierter Walnuss, Parmesan und Vinaigrette – schlicht, aber absolut zufriedenstellend. Die Pizza kommt mit drei verschiedenen Käsesorten: Provoloncino di Agerola, Fior di Latte und einer Parmsesancreme, grobkörniger frischer Pfeffer erweckt dabei mit seinen ätherischen Aromen die Pizza zum Leben. Der Teig selbst ist außen leicht knusprig mit schönem »Leopardenmuster«, dabei aber nur minimal »luftig« und auch noch vergleichsweise stabil in der Mitte. All das sind Stilfragen. Dieser Stil gefällt mir, die Pizza ist »mal was anderes«, und das Pizzana ein sehr angenehmer Ort für ein unkompliziertes Mahl. Ich trinke noch gemütlich mein Glas 2018er Lúuma Chardonnay (17 $) aus, bevor ich mich wieder den weiteren endlosen Möglichkeiten dieser Stadt widme.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Pizzana (→ Website)
Chef de Cuisine: Daniele Uditi
Ort: West Hollywood, USA
Datum dieses Besuchs: 13.07.2022
Guide Michelin (California 2021): Empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens: 6,5 (Was bedeutet das?)
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LA Cha Cha Chá, Los Angeles

Eine Erkundung des Arts District am östlichen Rand von Downtown L.A. – mit Kunstgalerien, Boutiquen und Buchläden in flachen, prägnanten Industriegebäuden – führt mich Mittags ins LA Cha Cha Chá. Es ist das Schwesterrestaurant vom Terraza Cha Cha Chá in Mexico City.  

Da Gastronomen in Los Angeles ihre Restaurants für eine im Wesentlichen ganzjährige Außensaison konzipieren können, ist das LA Cha Cha Chá ein Rooftop-Restaurant. Als Schatten spendende Überdachung dienen hier Sonnenschirme und eingespannte Stoffsegel. Und wenn es wirklich mal regnen sollte, flüchtet man kurz an die Bar.

Meine Hoffnung auf einen mühelosen Walk-In geht aber nicht ganz auf. Ohne Reservierung muss ich zunächst eine gute Dreiviertelstunde Stunde auf einen Tisch warten. Das geht entspannt an oben genannter Bar zu einem Glas mexikanischem Chardonnay, ein 2020er Bodegas Henri Lurton (18 $).

Am Tisch selbst muss ich feststellen, dass es heute Mittag nur eine Brunch-Karte gibt. Auch die ist an Vielfalt kaum zu überbieten, doch ich muss erst einmal etwas umdenken, nachdem mir die an der Bar schon mal überflogene Abendkarte den Mund wässrig gemacht hat. Ich hatte schon einen im Ganzen gegrillten Fisch an den Tisch fliegen sehen, mit Fenchel und Chimichurri, nach frischem Ceviche und ein paar Tacos.

Stattdessen bestelle ich ein Croissant mit Heuschrecken-Salz (8 $) und einer Füllung aus Kräuterfrischkäse. Meine Nachfrage, ob es sich tatsächlich um die Insekten handelt, beantwortet man souverän mit einigen frittierten Exemplaren zum Snacken. Nicht ganz mein Fall, aber am Ende nur eine Kopfsache. Das gut gemachte, aber vor allem durch die (auch etwas triviale) Füllung zu mächtige Croissant esse ich nicht auf.

Apropos mächtig: Eine Tostada mit schottischem Lachs, Koriander, Jalapeño, Avocado, Gurke und Mascarpone (15 $) hätte mir als leichtes Lunch schon völlig ausgereicht, nach einer Quesadilla mit Oaxaca- und Gruyère-Füllung zu einem Tomaten-Dip muss ich dann aber endgültig passen (12 $). Das hatte ich mir beides etwas leichter vorgestellt. Tanzend verlasse ich das Lokal jedenfalls nicht.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: LA Cha Cha Chá (→ Website)
Chef de Cuisine: Alejandro Guzman
Ort: Los Angeles, USA
Datum dieses Besuchs: 16.07.2022
Meine Bewertung dieses Essens: 6 (Was bedeutet das?)
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