Kalifornien – von L.A. bis Mendocino

Nach einem befreienden Abstecher nach Singapur im Herbst letzten Jahres, damals noch ohne Omikron-Varianten und entsprechend sorgloser, steht Anfang Juli meine zweite Fernreise seit über zwei Jahren Pandemie unmittelbar bevor. Das Ziel heißt Kalifornien, und ich könnte kaum euphorischer sein. Die Reiseplanung ist über acht Monate von einer flexiblen Buchungsbestätigung der Lufthansa zu einer detaillierten, mehrfach angepassten Agenda mit Hotelbuchungen, Wegpunkten, Mietwagenab- und -rückgaben, Sehenswürdigkeiten und, natürlich, Restaurantreservierungen gereift. In diesem Artikel resümiere ich fortlaufend – und vor den später erscheinenden Einzelberichten – den kulinarisch motivierten Teil dieser Reise, berichte dabei auch ein wenig über die Planung und ergänze alles um einige Gedanken am Wegesrand.

Erste Ideen

Neben verschiedenen Beweggründen, wieder nach Kalifornien zu reisen, die hier im Blog nicht Thema sind, gab es bereits einige kulinarische Ziele, um die meine Gedanken schon länger kreisen. Unbedingt möchte ich zum Beispiel mit der Gastronomieszene von Los Angeles aufholen. Während auf die Metropole in kulinarischer Sicht noch vor zehn Jahren eher despektierlich herabgeblickt wurde, hat sich das Blatt längst gewendet. Auch der Guide Michelin ist wieder in der Gegend und vergibt seine begehrten Auszeichnungen.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, hier hervorragend zu essen, was nicht nur an den in Kalifornien ohnehin exzellenten Produktqualitäten liegt. Das legere, casual Flair des sonnenverwöhnten Bundesstaats manifestiert sich besonders im Dunstkreis der Showbiz-Metropole Los Angeles in einer Fülle von ungezwungenen Restaurants, deren Speisekarten sich oft so appetitanregend lesen, dass ich schon wegen einfacher »Nachbarschaftsrestaurants« irgendwo in Hollywood die lange Reise antreten würde – und auch genau das tun werde. Tatsächlich war die Weinbar A.O.C. meine erste Reservierung vor Ort und nicht etwa ein Fine-Dining-Tempel.

Bei den Reservierungen fällt mir auch immer wieder auf, wie ansprechend und informativ die Websites vieler amerikanischer Restaurants gestaltet sind. Selten bleibt eine Frage offen, selbst die Weinkarten sind oft direkt online einsehbar. Das ist kein Vergleich zu den häufig vernachlässigten »Homepages« einiger Restaurants in Deutschland, wo man nicht selten noch ein hoffnungslos veraltetes Word-Dokument vom vorletzten Silvestermenü als Speisekarte vorfindet und eigentlich doch lieber zum Telefonhörer greift, um zu reservieren.

Für die Inspirationen, welche Restaurants ich auf meiner Reise besuchen könnte, habe ich mich, neben einigen bereits vorhandenen Ideen, mehrerer Quellen bedient. Öfter denn je waren es dieses Mal auch Inspirationen meiner Kontakte in den sozialen Netzwerken, die mich zu weiteren Recherchen veranlasst haben. Diese habe ich dann mit Rezensionen der großen Tageszeitungen (z. B. L.A. Times, San Francisco Chronicle), dem Guide Michelin oder dem Bewertungsportal OAD abgeglichen. Manchmal war es auch eine andere Reihenfolge oder nur eines dieser Kriterien.

Entlang meiner Reiseroute manifestierte sich schließlich eine Agenda, mit der ich einige Wochen vor Reisebeginn mehr als zufrieden war. Denn es gab auch einige Herausforderungen.

Tock & Timing

Wenngleich ich das Prinzip vorausbezahlter Restauranttickets anerkenne, wird das Ganze bei einer Agenda mit mehreren, oft hochkarätigen, Reservierungen dieser Art schnell zu einem teuren Nervenkitzel. Einmal gebucht, sind selten Stornierungen oder Änderungen möglich; bei einigen Restaurants, unter bestimmten und unterschiedlichen Konditionen, aber durchaus. Das sollte man alles im Voraus wissen, damit man bei den unflexiblen und besonders teuren Reservierungen etwas Spielraum hat.

Für meine Reservierungsbemühungen im Juli öffneten beispielsweise viele Restaurants am ersten Tag des Vormonats, also am 1. Juni, um Punkt 10 Uhr Ortszeit, ihre Reservierungssysteme. Ich musste also priorisieren. Bei drei Restaurants wusste ich um ihre besondere Begehrlichkeit und hatte um Punkt 19 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit die entsprechenden Reservierungsseiten in verschiedenen Registerkarten gleichzeitig im Browser geöffnet.

Um 18:59 Uhr und 50 Sekunden steigt meine Anspannung auf ein Maximum. Es darf gleich nichts schiefgehen. Immerhin habe ich eine umfangreiche Reise in die Region geplant und möchte einige Restaurants unter allen Umständen besuchen. Noch fünf Sekunden. Meine Browser-Tabs zeigen die Reservierungsoptionen für die japanischen Zwei-Sterne-Restaurants Hayato und n/naka, beide in L.A., sowie für die dreifach besternte French Laundry in Yountville an. Um zwei Sekunden vor 19 Uhr ist der Monat Juli noch ausgegraut, also nicht buchbar, bei einer Sekunde vor sieben drücke ich überall auf »Aktualisieren«, und um 19:00:01 Uhr, als sich alle Seiten wieder aufgebaut haben, sind alle drei Restaurants komplett ausgebucht, für den gesamten Monat Juli – für Tickets von mehreren hundert Dollar pro Person. So etwas habe ich auch noch nie erlebt. Sekundengenaues Handeln hatte sich bisher immer ausgezahlt, von Noma bis Per Se.

Frustriert hake ich zunächst andere, unkompliziertere Reservierungen ab (dann meist über OpenTable oder Resy), will das aber nicht auf mir sitzen lassen. Noch am selben Abend formuliere ich umfangreiche E-Mails in meiner Rolle als enthusiastischer, passionierter, aber nun eben sehr enttäuschter Esser, der eigens nach Kalifornien reist, um dann vor verschlossenen Türen stehen zu müssen. In zwei Fällen tragen meine Bemühungen tatsächlich Früchte, lediglich das Hayato, ein kleines Tresenrestaurant, steht am Ende nicht auf meiner Agenda. Bei den Antworten der Restaurants muss ich teilweise schmunzeln, denn auf einmal haben sich für mein angefragtes Datum doch noch »Stornierungen« ergeben – bei einem Buchungssystem, das gar keine Stornierungen zulässt. So ganz transparent ist das alles am Ende nicht.

Nach und nach gehe ich mit meinen Reservierungen immer weiter in Vorleistung. Es entsteht irgendwann die absurde Situation, dass zwar meine Hotelbuchungen und Flüge weitestgehend flexibel sind, meine Restaurantreservierungen allein aber schon eine Reiserücktrittsversicherung sinnvoll erscheinen lassen – gerade bei den aktuellen Unwägbarkeiten von Flughafenchaos bis Corona.

Aber ich bin Risiko-Minimierer. Dem Chaos an deutschen Flughäfen zur Zeit meiner Abreise wirke ich entgegen, indem ich schon einen Tag vor der Langstrecke mit dem Auto nach Frankfurt anreise. Und was Corona betrifft, habe ich Außenplätze in Restaurants immer bevorzugt reserviert und manchmal sogar per E-Mail die Sitz- und Belüftungssituation erfragt. Mir wurde immer gewissenhaft und verständnisvoll geantwortet. Was hätte es an meiner Stelle auch für einen Sinn, Nonchalance walten zu lassen, wenn eine Reise dieses Umfangs auf dem Spiel steht?

Und dann geht es auch schon los. Zuerst, so mein Plan, tauche in den Dschungel von Los Angeles ab, dann geht es weiter ins maritime San Francisco und, über einen Abstecher an den Küstenort Elk mit dem zweifach besternten Harbor House Inn, ins pittoreske Wein- und Genussdorf Yountville im Napa Valley.

Vor Ort

Los Angeles

Am ersten Abend nach einer Langstrecke in eine andere Zeitzone nehme ich mir in der Regel nichts Größeres mehr vor. Ich habe schon öfter den Fehler gemacht, ein großes tasting menu am ersten Abend einzuplanen, um dann pünktlich zum Beginn des Menüs gegen spontanes Einschlafen anzukämpfen. Unvorbereitet – manche nennen das »spontan« – gehe ich aber auch solche Abende nicht an.

Mein Hotel – eine spektakuläre Entdeckung: das West Hollyood EDITION – liegt gemäß seinem Namen in West Hollywood, d. h. offiziell gar nicht in der Stadt Los Angeles. Es gibt hier in der Gegend, zu der man auch Hollywood, Beverly Hills und Melrose zählen kann, unzählige Möglichkeiten, etwas Gutes zu essen und zu trinken. Meine Wahl fiel schon lange im Voraus auf das A.O.C., eine etablierte Weinbar, die in den USA schon vor zwanzig Jahren maßgeblich am Konzept von Restaurants mit gewissenhaft kuratierter Weinkarte und kleineren Gerichten zum Teilen beteiligt war.

Mein Plan geht auf. Zu einer Flasche 2012er Soliste »Sonaterra« Pinot Noir von der Sonoma Coast gibt es köstliche mehr oder weniger kleine Teller, von Herzmuscheln in Sherry-Knoblauch-Sauce mit luftig-knusprigem Toast über schwarzen Reis mit Tintenfisch bis zu saftigen Streifen vom Hanger Steak. Es ist ein typisches Lokal, um sich die Frage zu stellen, warum derartige Konzepte nicht auch bei uns zum Standard gehören. Die Anekdote, dass ich die erste Flasche des Weins wegen ihres oxidativen Charakters leider bemängeln muss und der Winzer, ein Franzose und offenkundiger Stammgast, zufällig zwei Tische neben mir sitzt, den Vorgang mitbekommt und mir dann die Austauschflasche spendiert, rundet den ersten Abend so ab, dass ich jetzt schon glücklich wieder zurückfliegen könnte. Wenn ich müsste. Dabei fängt alles gerade erst an. (Hier gibt es weitere Details.)


Am nächsten Mittag ergibt sich ein Walk-in im Pizzana in West Hollywood. Ich habe mittags überwiegend solche unverbindlicheren Optionen vorgesehen, um diese unkompliziert mit anderen Aktivitäten auf meiner Reise verbinden zu können.

Im Pizzana verwendet der Neapolitaner Daniele Uditi für seinen Sauerteig über 65 Jahre altes Anstellgut seiner italienischen Tante. Ich probiere die aktuellere Pizzakreation »cacio e pepe« und erfreue mich an dem knisternden Geräusch der Kruste, die sich in einem appetitlich hybriden Zustand zwischen luftig-weich und knusprig-fest befindet. Pizza auf dem Blech, Chardonnay im Glas, »Melrose Avenue« auf dem Straßenschild um die Ecke, da lächelt man schon mal so vor sich hin. (Hier gibt es weitere Details.)

Abends geht es ins Kali, einem Michelin-besternten »Nachbarschaftsrestaurant« in Hollywood. Ein während der Pandemie improvisierter und dann weiterentwickelter Innenhof entpuppt sich dort als atmosphärisches Juwel. Zwischen Lichterketten und angenehm effektiven Heizstrahlern wählt man entweder ein tasting menu oder, wie ich, unaufgeregte, aber exzellente Gerichte mit regionalen Produkten à la carte. (Hier geht es zum Bericht.)


Eine meiner wenigen festen Lunch-Reservierungen habe ich in der Gucci Osteria da Massimo Bottura in Beverly Hills. Meine Vermutung, hier überwiegend eine asiatische, luxusmarkenaffine Shopping-Klientel anzutreffen, bewahrheitet sich zwar. Aber – man kann sich über diese Zielgruppe belustigen, wie man möchte – sie unterstreicht eher, dass es hier tatsächlich etwas zu holen gibt.

In luftigem Ambiente auf der offenen und dennoch vom Trubel des Rodeo Drive abgeschirmten Terrasse im Obergeschoss der Gucci-Boutique genieße ich eine handwerklich bemerkenswert präzise Küche mit einem Fokus auf italienische Herzhaftigkeit bei gleichzeitiger Eleganz. Deutlich zufriedenstellender als das »Original« in Modena. (Hier geht es zum Bericht.)

Am Abend steht eine Reservierung im Providence in meinem Kalender. Das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant ist die Fine-Dining-Institution in Los Angeles schlechthin. Es ist meine erste Reservierung indoor seit langem; die Vorstellung von krankheitserregenden Aerosolen in der Luft zügelt immer noch etwas meinen Appetit. Die auf Meerestiere fokussierte Küche von Michael Cimarusti hebt aber nach und nach meine Laune. Exzellenter Seeigel aus Santa Barbara, feinste Königskrabbe aus Norwegen und Wagyu-Rind aus Kagoshima jonglieren mit höchsten Weihen. (Alle Details im Bericht.)


Nach einem spätmittäglichen Lunch auf der rooftop bar meines Hotels zu tadellosem Wolfsbarsch-Ceviche und Tacos mit Schweinebauch »Achiote« – beides in Kombination auch schon wieder eine Reise wert – geht es Abends ins n/naka.

Das ist inzwischen eine der schwierigsten Reservierungen in Los Angeles, nicht zuletzt wegen der Aufmerksamkeit durch eine Episode in der Netflix-Serie Chef’s Table. Im Laufe von drei Stunden begeistert mich Küchenchefin Niki Nakayama mit einer pazifischen Kaiseki-Küche, irgendwo zwischen Kalifornien und Japan. (Alle Details des Essens gibt es hier.)


Wenn man in Los Angeles eines nicht vermissen muss, sind es lateinamerikanische Einflüsse. Tacos, Tostadas, Ceviche & Co. genießt man hier in erstaunlicher Vielfalt und hoher Qualität – in Food Trucks oder Marktständen, Hotelbars oder Restaurants.

Im Grand Central Market in Downtown L.A. probiere ich salvadorianische Pupusa mit scharfer Sauce und fahre danach zum populären LA Cha Cha Chá im Arts District.

Am Tisch stelle ich fest, dass mittags nur eine Brunch-Karte serviert wird, die eher auf Süßes fokussiert ist. Ich werde aber fündig. Ein mit Kräuterfrischkäse gefülltes Croissant mit Heuschrecken-Salz, eine Quesadilla mit Oaxaca-Käse und Zucchiniblüten, sowie eine Tostada mit Lachs, Avoacado, Jalapeño und Koriander beweisen Kreativität und einwandfreie Qualität – und von mir maßlos unterschätzte Portionsgrößen. (Hier gibt es weitere Details.)

Am Abend geht es ins Manzke, ein neuer Hotspot unter L.A.s Spitzenrestaurants. Gastronomen-Paar Margarita und Walter Manzke (République, Bicyclette, ehem. Sotto u. a.) betreiben über ihrem schicken französischen Bistro im Stadtteil Pico-Robertson jetzt ein Fine-Dining-Restaurant. Das neungängige tasting menu mit phänomenalen Zutaten schließt die hervorragenden kulinarischen Erlebnisse in Los Angeles mit einem Höhepunkt ab.


Am nächsten Tag geht es mit dem Mietwagen sechshundert Kilometer nach Norden über die I-5 nach San Francisco.

Die lange Fahrt durch das karge Central Valley ist monoton und streckenweise auch etwas beängstigend. Bei 43 Grad im Schatten (der nur unter der Motorhaube existiert) und keinerlei Handyempfang, beides über Stunden, hofft man, dass der Mietwagen nicht schlappmacht. Er schafft es aber, deutsche Wertarbeit sei Dank. Ich halte zwischendurch einmal bei McDonald’s, das ich geschätzt alle zehn Jahre mal in Ausnahmefällen besuche und dann auch nur Pommes bestelle. Sie schmecken in Coalinga, Kalifornien, genauso wie am Hamburger Hauptbahnhof.


San Francisco

San Francisco ist ein kurzweiliger Szenenwechsel. Wenngleich mich Los Angeles dieses Mal besonders begeistert hat, reizt das beschaulichere – und kühlere – San Francisco auf andere Art. In gastronomischer Hinsicht muss man hier ebenfalls nicht darben, wenngleich ich den schon bei meiner Recherche erlangten Eindruck nicht loswerde, dass in L.A. gerade deutlich mehr passiert.

Trotz allem steht die Technologie-Stadt alles andere alles still. Eine der derzeit meistbeachteten Restauranteröffnungen ist das Nisei von und mit Küchenchef David Yoshimura. Das Restaurant ist eine der wenigen nennenswerten Optionen, die mir an diesem Sonntag ohnehin zur Verfügung stehen – man wundert sich –, dennoch war diese Reservierung nicht aus der Not geboren.

In einem großen, offenen Speisesaal präsentiert der amerikanisch-japanische Küchenchef ein spannendes, japanisch orientiertes Menü mit hochwertigen regionalen Zutaten. Einzig enttäuschend sind ein upsell mit Kaviar und Banane, in den ich mich habe hineinschwatzen lassen, und so gut wie alle Desserts. Sehr gut war es trotzdem. (Alle Details im Bericht.)


Meinem Plan folgend, mich Mittags auf spontane Walk-ins in Restaurants zu konzentrieren, die gute A-la-carte-Gerichte anbieten, besuche ich am nächsten Tag das lebendige Hog Island Oyster & Co.

Nach zwanzig Minuten Anstehen in der Schlange schlürfe ich wenig später pazifische Austern, Clam Chowder und Chablis mit Blick auf die Marina hinter dem Ferry Building. Einfach und köstlich.

Am Abend tausche ich kurzerhand eine Reservierung im besternten Niku Steakhouse gegen den Nachbarschaftsitaliener A 16. Die rasant steigenden Omikron-Infektionen lassen das laut Fotos auf der Website eng besetzte Steakrestaurant gerade als keine gute Idee erscheinen.

Im A 16 gibt es stattdessen exzellente Pizza und weitere sorgfältig zubereitete Gerichtete an Außentischen mit Heizstrahler. Wie fast überall, überzeugt auch hier eine umfangreiche und anspruchsvolle Weinkarte. Von dem hohen Grundniveau der Speisen und Getränke, mit der man hier in Kalifornien selbst in einfachen Restaurants rechnen kann, kann man nur begeistert sein.


Zu meinen weiteren Unternehmungen passt am Dienstag eine spontane Einkehr in der Tartine Manufactory. Die Bäckerei von Chad Robertson und Elisabeth Pruiett ist längst legendär. Es gibt inzwischen vierzehn Filialen – in San Francisco, Los Angeles und Seoul. Neben hausgemachtem Sauerteigbrot und weiteren Backwaren gibt es in den atmosphärischen Räumlichkeiten mit Industriecharme ein kompaktes Mittagsmenü zum Online-Bestellen (selbst, wenn man vor Ort ist). Zu einwandfreiem provenzalischem Rosé erfreue ich mich zum Lunch an einem knusprigen, buttrigen Käse-Sandwich und einem Mizuna-Salat mit Tomaten und knusprigem Reis. Das Grauen deutscher Bäckereiketten könnte nicht weiter entfernt sein.

Am Abend steht eine der Reservierungen an, die ich besonders spannungsvoll erwarte. Das Angler von Joshua Skenes, der schon mit dem Saison Gastronomiegeschichte geschrieben hat, ist ein A-la-carte-Restaurant rund um feinste Produkte aus dem Meer. In dem halboffenen und beheizten Außenbereich holen mich sagenhafte Gerichte nach dem Sharing-Prinzip, eine der besten Weinkarten, die ich je in den Händen hielt, und ein charmant-souveräner Service wieder zurück in die Atmosphäre, die mich damals im Saison so nachhaltig begeistert hat. Zusammen mit dem Manzke ist das bisher einer der kulinarischen Höhepunkte dieser ergiebigen Reise. (Alle Details im Bericht.)


Mein letzter Tag in und um San Francisco führt mich Mittags nach Sausalito und dort zur Bar Bocce. Die populäre Strandbar ist für mich kein kulinarisches Ziel per se, aber man kann sich auch hier darüber wundern, wie gut die Pizza und gegrillten Tintenfische mit Couscous-Salat schmecken.

Abends steht eine Reservierung im zweifach besternten Californios auf der Agenda, wo der texanische Küchenchef Val Cantu seine Vision einer mexikanischen Hochküche umsetzt. Das Ergebnis ist einzigartig und eröffnet neue Perspektiven darauf, wie man selbst eine Küche, die am ehesten für ihre »Straßentauglichkeit« bekannt ist, in ein feinsinniges Erlebnis der Spitzenklasse transportieren kann. Vielleicht bräuchte es auch einen visionären Texaner, um so etwas einmal mit deutscher Küche zu versuchen. Nur so zum Vormachen. (Die Details des Essens findet man im Bericht.)


Elk

Hundertfünfzig Meilen in nordwestlicher Richtung, über achtspurige Highways, unerwartet kurvige Straßen, durch schattige Mammutbaumwälder und entlang steiler Klippen erreiche ich nach knapp drei Stunden Fahrt den Ort Elk im Mendocino County. Mein eigentliches Ziel heißt Harbor House Inn, eine der aktuellen Gourmet-Destinationen in den USA schlechthin.

Der kulinarische Teil dieser Reise war wesentlich von der Idee motiviert, hier einzukehren. Ich bleibe eine Nacht, blicke den kreisenden Habichten genauso hinterher wie dem Sonnenuntergang und den steinigen Klippen – und wache am nächsten Morgen mit der Erinnerung an eines der besten Essen dieser gesamten Reise auf. Die Küche von Matthew Kammerer ist eine Ode an das saline, schroffe, aber vielfältige Mikroklima der Mendocino-Küste. Diese Erinnerungen werde ich ganz sicher nie wieder los. (Alle Details im Bericht.)

Viel zu schnell breche ich wieder auf, zurück über die kurvigen Straßen und durch die schlanken Mammutbäume, hinunter ins flachere Land für etwas mehr Ruhe zwischen Weinreben und poolside drinks.


Yountville

Schon vor Jahren habe ich das Weinbaugebiet Napa Valley über das charmante Dorf Yountville erschlossen und kennen gelernt. Hier befindet sich unter anderem das traumhafte Hotel Bardessono, flach und diskret in die Landschaft integriert und von einer verzaubernden Stimmung.

In Yountville heißt der zweifelsfreie Herrscher über die Gastronomie Thomas Keller, einer der erfolgreichsten Gastronomen und Küchenchefs der USA. Er führt hier im Ort die Bouchon Bakery – mit Backwaren, für die die Kunden zu Recht Schlange stehen –, das Bouchon Bistro sowie, etwas weiter die Straße hinauf, die French Laundry, das wohl berühmteste Restaurant des Landes. Das ad hoc (inklusive des neuen Addendum), La Calenda und die Regiis Ova Caviar & Champagne Lounge (in den ehemaligen Räumlichkeiten des längst geschlossenen Sternerestaurants Redd) sind weitere Gastronomiebetriebe von Keller in Yountville, dessen kontinuierliche Expansion hier im Ort sich zu lohnen scheint. Die Nachfrage nach hochwertigen und abwechslungsreichen kulinarischen Optionen scheint in diesem kleinen Dorf kaum zu stillen zu sein. Es ist erstaunlich.

Gegen Ende der Reise lasse ich die Dinge langsam angehen. Am ersten Abend tröstet die gemütliche Atmosphäre im Innenhof des Bardessono über das erste enttäuschende Essen der Reise im Hotelrestaurant Lucy hinweg. Die Portionen sind überdimensioniert, ein Steak kaubedürftig und von enttäuschender Qualität. Aber die Lichterketten im Innenhof leuchten behaglich, und der Cabernet Sauvignon von Jospeh Phelps beschwichtigt weiter.


Einen Abend später, auf der kleinen Terrasse des Bouchon, genieße ich zu klassischen französischen Gerichten wie Schnecken mit Knoblauch, Tomatensalat »Niçoise« oder dünn aufgeschnittener Lammkeule mit Ratatouille französisches Bistro-Flair zu amerikanischer Gastfreundschaft – eine kaum schlagbare Kombination.


Am nächsten Tag, ein Sonntag, sehe ich der so genannten Cellarius Kitchen Experience entgegen, ein längst im Voraus gebuchtes Lunch auf dem renommierten Weingut Stag’s Leap Wine Cellars. In einem eigenen Haus auf dem Anwesen bekocht Küchenchef Travis Westrope an Wochenenden kleine Gruppen von bis zu acht Gästen; dazu gibt es die exzellenten Weine des Hauses. Das Erlebnis in Summe – inklusive Keller- und Grundstückstour – ist allerdings interessanter als die Küche an sich, die sich eher auf gutem Bistro-Niveau bewegt. Aber auch, wenn man das alles mit einpreist, erscheinen die zweihunderfünfundvierzig Dollar pro Kopf zzgl. tip und tax eine Hausnummer zu hoch. Vor allem die lächerlich kleinen Probeschlucke, die man dazu in die Gläser einschenkt, machen mich verrückt. Ärgerlicherweise verbieten es die kalifornischen Gesetze (es geht dabei um Ausschanklizenzen), dass man hier einfach eine Flasche kauft und sich auf den Tisch stellt.

Am Abend sage ich dann schweren Herzens eine Reservierung in einem der derzeit spannendsten Restaurants der Region ab, dem Animo in Sonoma. Das Restaurant, das ich als eines der Highlights dieser Reise im Kalender stehen habe – u. a. grillt man hier Steinbutt ähnlich wie im Elkano –, ist mir mit einer umständlichen, vierzigminütigen Anfahrt per Lyft oder Taxi heute schlicht zu weit. Klar, ich fahre sonst auch Stunden, um irgendwo einzukehren, aber die Agenda der letzten zwölf Tage verlangt nach etwas Entspannung. Nach einer Kontaktaufnahme mit dem Restaurant war eine Stornierung kein Problem, dennoch ist mir so etwas unangenehm. Sei es drum.

Spontan kehre ich dann abends erneut ins Bouchon ein. Es gibt saftige, große Shrimps mit Cocktailsauce, üppigen Paté de Campagne mit Cornichons und fabelhafte Moûles frites. Ein zweiter Besuch hier ist eigentlich immer noch viel zu wenig.


Man kann Yountville auch guten Gewissens ­– und ohne viel zu vermissen – besuchen, ohne eine Reservierung in der French Laundry zu haben. Doch bei mir hatte es dieses Mal geklappt. Nach wie vor ist die Reservierung in dem Drei-Sterne-Restaurant von Thomas Keller nahezu ein Ding der Unmöglichkeit (dazu dann mehr im Bericht).

In dem gedrungenen Haupt-Speisesaal im Erdgeschoss meldet sich ein letztes Mal auf dieser Reise der Hypochonder in mir zur Stelle; es dauert ein paar Gänge und einige Gläser Dom Pérignon, bis ich es überhaupt begreifen kann, in diesem ikonischen Restaurant zu sitzen. Ich habe das Menü »Evolution« gebucht, eine Kombination aus aktuellen Gängen und Klassikern. Dass es sich dabei um eines der teuersten Menüs handelt, die man derzeit in irgendeinem Restaurant reservieren kann (und im Voraus entrichten muss), ist dabei erst mal nur eine Randnotiz, aber meine Erwartungen an die Küchenleistung sind entsprechend. Letztere ist hoch, das Essen ist grandios. Mehr zu den Einzelheiten im Bericht.


Und dann heißt es Abschied nehmen. Von Yountville geht es zurück nach San Francisco und über Zürich zurück nach Deutschland. Schon während des Flugs versuche ich, meine zahlreichen Eindrücke dieser ergiebigen Reise zu verarbeiten, die, neben dem hier nur thematisierten kulinarischen Auszug, viele weitere Motivationen und Schwerpunkte hatte.

Von eindrucksvoller Architektur über atemberaubende und abwechslungsreiche Landschaften, spannende urbane Kulissen, hochkarätige Kunst und vielem mehr, säumen unzählige weitere Eindrücke die insgesamt 768 Meilen, die ich hier in zwei Wochen zurückgelegt habe, Spaziergänge und kurze Fahrten vor Ort nicht mitgerechnet. Die vierzehn Tage fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Ich bin glücklich und erschöpft zugleich, und es wird Zeit kosten, alles gedanklich einzuordnen und die gastronomischen Erlebnisse hier zu verschriftlichen. Aber ich bin dran, wie immer.