Manzke – La La Land

Die Kette der Ereignisse ist wie folgt. Von einem meiner genussfreudigen Kontakte bei Instagram sah ich Ende Juni kulinarisch auffällig ansprechende Gerichte aus einem Restaurant, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Letzteres widersprach der Optik der Teller, die nach Gerichten eines Restaurants aussahen, das man als Essbegeisterter kennen müsste. Feinste Zutaten und Zubereitungen – Seeigel, Abalone, Kaviar, Trüffeln, Seezunge, Wagyu – zierten souverän und schlicht angerichtete Teller in einem angenehm legeren Ambiente. Einige Mausklicks und Recherchen später war klar, dass ich dorthin musste. Wenige Wochen vor meiner Abreise nach Kalifornien mit einer eigentlich feststehenden kulinarischen Agenda war das eine kleine Herausforderung. Es ergab sich aber noch die Möglichkeit einer Stornierung (des Sushi Ginza Onodera), die sowohl kostenlos als auch kulinarisch vertretbar war, womit einer Reservierung hier nichts mehr im Weg stand. Drei Wochen später stehe ich dann endlich vor dem Manzke (ausgesprochen: mäns-ki).

Das Restaurant wird von Walter Manzke betrieben, gebürtiger Kalifornier und einer der erfolgreichsten und bekanntesten Gastronomen nicht nur an der Westküste, sondern in den gesamten Vereinigten Staaten. Die Betriebe unter der gemeinsamen Ägide von Manzke und seiner Frau Margarita beinhalten diverse gehobene Restaurants, Bistros, Bäckereien, Cafés und vieles mehr – oftmals, davon kann man sich online einen Überblick verschaffen, mit einer Kombination von eindrucksvoller Architektur, stimmungsvoller Einrichtung und besonders appetitanregender Speisekarte. Allein diese Restaurants abzuklappern, ganz gleich ob eine einfache Taqueria oder ein französisches Bistro, wäre mir schon eine eigene Reise wert.

In einem Haus am Pico Boulevard, an der südlichen Grenze zu Beverly Hills, führt das Über-Gastronomen-Paar seit wenigen Monaten ihr neues Restaurant Manzke, direkt oberhalb ihres populären Bistros Bicyclette. Die Manzkes heften ihren Namen natürlich nicht an irgendein beliebiges weiteres Restaurant, sondern beabsichtigen nicht weniger, als das »obere Ende der Spitzengastronomie in Los Angeles zu verdichten«, wie ich es sinngemäß in einem Artikel las.

Es empfangen einen großzügige Räumlichkeiten, in denen um die fünfzig Sitzplätze über eineinhalb Ebenen verteilt sind. Durch große Sitzabstände und den weitläufigen Grundriss wirkt alles luftig und überschaubar. Einige Tische, auch meiner, befinden sich in einem Galeriegeschoss mit angenehmem Überblick über das Geschehen. Die Einrichtung ist unprätentiös, aber geschmackvoll. Es gibt sofaähnliche Sitzbänke aus Leder, schlichte Holztische und unterschiedlich gemusterte Fliesen um eine offene Küche. Das villaartige Ambiente könnte auch ein europäisches Restaurant schmücken.

Am Tisch bleibe ich zuerst (ungewollt) etwas zu lange in der Weinkarte hängen. Aus meinen favorisierten Regionen Burgund und Kalifornien ist das Preis-Leistungs-Verhältnis etwas kompliziert, schließlich lande ich an der Rhône. Mit einem 2016er Côte Rôtie »La Landonne« von der Domaine Rostaing (400 $, ca. 400 €) wähle ich von dort einen Klassiker. Ich starte aber zunächst mit einem Glas 2020er Chassagne-Montrachet von der Domaine Morey-Coffinet (30 $).

Im Manzke gibt es ein tasting menu (260 $), das ausnahmsweise einmal nicht vorab bezahlt werden musste. Vor dem Hintergrund der umfangreichen, bereits getätigten Reservierungsvorleistungen dieser Reise ist das ebenso erfrischend wie die Tatsache, dass das Menü zu Beginn des Essens ausgehändigt wird. Das geschieht zwar nur zur Kenntnisnahme, doch auch bei einem feststehenden Menü finde ich es angenehm, wenn man sich auf die Abfolge und die Zutaten schon einmal gedanklich einstimmen kann. (Die geschmackvolle Typografie der schlichten Karte ist dabei ein Randdetail für Ästheten.) Die Zutaten – von Thunfischbauch über Gelbflossenmakrele, Hummer, Abalone, Seezunge bis zu Wagyu – sprechen die Sprache eines weltoffenen Spitzenrestaurants. Ich bin gespannt, voller Vorfreude und habe Appetit.

Regelrecht en passant serviert man als erstes einen scheinbar rustikalen, aber wahrhaftig eleganten Snack. Zu verführerisch knusprig frittierten, noch leicht warmen Kartoffelchips gibt es eine rauchige Auberginencreme mit pointiert salzigem, prallem Forellenrogen, sehr aromatischen, kühlen Tomaten und Dillblüten, die dem Snack zu Leichtigkeit und Eleganz verhelfen. Das ist souveränes und unbeschwertes Spitzenniveau. (8,5/10)

Eine Tartelette mit in Ponzu-Sauce mariniertem Bauchstück vom Thunfisch, dazu Kaluga Kaviar und Shiso-Blüten, zeigt ein bisschen in Richtung César Ramirez, aber letztlich doch an dessen Perfektion vorbei. Die verwendeten Zutaten können zwar nicht anders als für einen sehr deliziösen Happen zu sorgen, doch der Teig ist eine Nuance zu knusprig und geschmacklich zu dominant – von »ganz oben« betrachtet. (7,5/10)

Beim nächsten Gang gibt es rohe Gelbflossenmakrele aus Japan zu kalifornischer Cavaillon-Melone und einer vietnamesisch inspirierten, dekonstruierten Nuoc-Cham-Sauce. Der Fisch begeistert mit seinem arttypisch bissfesten Schmelz, vollmundigem Geschmack und feinen maritimen Aromen; dazu gibt es Schärfe von etwas Chili und fruchtigere Noten von Thai-Basilikum und Melone. Das hervorragende Gericht ist erfrischend, unauffällig luxuriös und eine kulinarische Reise an verschiedene Orte der Welt. (8,5/10)

Umso passender ist dann Hummer aus Maine, der sich in einem fernöstlichen, schaumigen Thai-Curry versteckt – eine aromatisch sehr gelungene Verlängerung des vorherigen Gerichts, die sicherlich kein Zufall ist. Brentwood corn, eine Maissorte der Spitzenklasse – selbst so etwas gibt es –, passt mit einer charmanten Süße perfekt zum Geschmacksbild des Hummers. Eine spielerische Schärfe und wohltuende Wärme erhitzen mein Gemüt. (8,5/10)

Die Zutaten des nächsten Gangs lesen sich wie eine Zusammenfassung von einigen der derzeit in vielen internationalen Spitzenrestaurants kaum wegzudenkenden Zutaten. Dabei stellt ein Seeigel-Chawanmushi mit betonten Meeresaromen die Bühne für Abalone aus der Bucht von Monterey. Das Schneckentier mit mildem Geschmack und appetitlicher Textur wird von einer Nocke Kaluga-Kaviar und einer angegossenen Dashi-Beurre-blanc begleitet. Mit dem Dashi ist damit schon eine vierte maritime Geschmackskomponente hier im Spiel, von denen alle ineinandergreifen wie unterschiedliche Strömungen. Große Klasse. (8,9/10)

Das Servieren einer Brioche feuilletée als teigiger Zwischengang ist ein ansehnliches Intermezzo. Die selbstgemachte Butter wird, wie bei Alain Ducasse in Monaco, auf einem eigenen Servierwagen angerollt und von einem großen Kegel abgestrichen. Sie ergänzt üppig die Brioche, die selbst bereits mit Butter gesättigt ist. Etwas Meersalz dazu – und eine Serviette, die etwas abkann –, und fertig ist ein Brotgang, der einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Das Menü fährt fort mit behutsam, vielleicht sous-vide, gegarter Seezunge, zylindrisch geformt und in die fragile Membran einer Zucchiniblüte eingewickelt. Die Seezunge selbst ist saftig und sehr aromatisch, aber nur soeben lauwarm; beides könnte zu einer Vakuumgarung passen. Die geringe Temperatur setzt sich schließlich auch als kleines Manko des Gerichts heraus, das davon abgesehen –und unterstützt durch eine aromatische, leicht bittere Kopfsalatsauce, kleine Pfifferlinge und confierte Tomaten – das bisherige Spitzenniveau nur unterstreicht. (7,9/10)

Und auf dem oft anzutreffenden Konzept eines einzigen carnivoren Hauptgangs will das Manzke auch nicht sitzen bleiben. Es gibt stattdessen gleich zwei.

Nummer eins ist ein aus der Brust geschnittenes Stück Ente des renommierten Zulieferers Liberty Farms aus Sonoma. Das Fleisch mit goldbrauner Fettschicht und rosa Farbgebung offenbart neben saftiger Zartheit eine perfekte Garung zwischen (zu) blutig und (zu) durch. Tatsächlich ist diese eine Scheibe mit das beste Stück Ente, das ich je probiert habe. Es ist ein Stück, dass es sich wegen seiner durch den üppigen Schmelz gekennzeichneten Produktqualität leisten kann, gerade nicht rare serviert werden zu müssen, um Zartheit zu suggerieren, sondern etwas weiter gegart werden kann, ganz so, wie bei bestem japanischem Wagyu-Rind. Und dabei bleibt es nicht. Die augenzwinkernd schlicht als »Lebersauce« beschriebene Sauce ist in Wahrheit mit Foie Gras (»the f-word«) abgebunden, die man in Kalifornien inzwischen unter der Ladentheke handeln muss. Die Sauce hat eine samtweiche Textur und ein weihnachtliches Aroma, das perfekt zur Ente passt. Doch noch bevor man das Gericht in eine kühlere Jahreszeit verorten kann, erinnern ein Stück gegrillter Pfirsich in Ausnahmequalität, ein sehr aromatisches Rübchen und eine appetitlich säurebetonte Blaubeer-Gastrique daran, dass hier jeden Tag die Sonne scheint. Ein phänomenaler Gang. (10/10)

Auch der zweite Hauptgang begeistert vom Lesen der Zutaten im Menü über die schlichte Anrichtweise auf dem Teller bis zum Genuss am Gaumen. Es gibt Snake River Farms Wagyu Rib Eye Cap, also ein Stück aus dem Deckel des Entrecôte. Dieser oft vernachlässigte Zuschnitt zeichnet sich durch einen hohen Marmorierungsgrad, die daraus resultierende Zartheit und ein prononciertes Eigenaroma aus. In einer Sauce Périgourdine mit schwarzem Trüffel kommt das Fleisch klassisch wohlschmeckend zur Geltung, während ein zum Quader geschnittenes, buttriges pain perdu (Armer Ritter), ebenfalls mit einer dünnen Schicht schwarzen Trüffels, die klassische Opulenz untermauert. Eine Zwiebel, geschmort und gegrillt, begeistert dazu mit ihrer Süße und bissfesten Textur, während eine grüne Kräutercreme mit viel Petersilie frische, etwas herbe Abwechslung bietet. Es ist ein souveräner, hochklassiger Fleischgang mit bekanntem Geschmacksbild, fast schon eine Spur stereotyp. (8,5/10)

Was dann noch folgt ist eine Sequenz von Desserts, die mit die beste sein wird, die ich jemals irgendwo probiert habe. Fernab von neumodischen Experimenten am Ende eines Menüs, für die ich selten in der Stimmung bin, zielen die nächsten Speisen schlicht ins süße Herz von vermutlich jedem Esser.

Eine Crème brûlée mit verführerisch knuspriger Karamellkruste, himmlisch schaumiger Hojicha-Tee-Creme und einem Kern aus dem besten Erdbeereis ever bin ich einfach nur sprachlos; und nach einer Tasse heißer Schokolade mit Haselnuss – die beste flüssige Schokoladenzubereitung, die je durch meine Kehle geflossen ist – suche ich weiterhin nach Worten.

Auch mehrere Petits-fours – eine Praline mit einer surreal aromatischen Himbeere auf leichtem Schokoladenkeks; ein Salzkaramell mit Banane; Madeleines mit Earl Grey und Orange; und die beste einzelne Schokoladenpraline aller Zeiten – bringen meine Sprache nicht zurück. Eine heiß angegossene Infusion mit Zitronenverbene lullt mich dann noch mal in Wärme und abschließenden Genuss ein. Wenn man sich die Kreationen so ansieht, käme man nicht auf diese Idee, aber das war tatsächlich mit der beste Abschluss eines Menüs überhaupt. (Alles 10/10)

Dass sich die Manzkes einfach vorgenommen haben, in Los Angeles ein Restaurant der absoluten Spitzenklasse zu etablieren, ist eine Sache. Dass man so etwas dann auch umsetzen kann, ist ausschließlich auf das jahrzehntelange Wirken von Walter und Margarita Manzke auf gastronomisch anspruchsvollstem Niveau zurückzuführen. Zulieferer für die besten Zutaten aus aller Welt, Innenarchitekten für ein stimmungsvolles Ambiente, Köche auf Spitzenniveau (Chef de Cuisine Joe Garcia war zuvor in der French Laundry, die Sous-Chefs Vince Flores and Luca Dai Pra im Le Bernardin bzw. Somni), souveränes und charmantes Personal (Restaurantmanager Patrick Freitas wirkte früher im Jean-Georges) – all das lässt sich nicht einfach aus dem Boden stampfen.

Das Manzke, so jung noch nicht besternt, muss wohl nur noch etwas feinjustiert werden, um auch auf dem (Michelin-)Papier eine Reise wert zu sein. Es ist das schon jetzt. Und warum sehen die Restaurants in L.A. immer so verdammt schön aus, wenn man sich noch mal nach ihnen umdreht? Ich bin in einer anderen Welt. Ich bin im La La Land.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Manzke (→ Website)
Chef de Cuisine: Joe Garcia
Ort: Los Angeles, USA
Datum dieses Besuchs: 16.07.2022
Guide Michelin (California 2021): Noch nicht bewertet
Meine Bewertung dieses Essens: 8,9 (Was bedeutet das?)
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