Nisei – Davids Erbe

Nach dem n/naka in Los Angeles stürze ich mich in San Francisco auf das zweite japanisch-amerikanische Restaurant-Abenteuer dieser Reise. Das Nisei ist das erste eigene Restaurant von David Yoshimura. Der gebürtige Texaner und Sohn japanischer Einwanderer – »Nisei« bezeichnet genau letzteren Hintergrund – wirkte zuvor unter anderem in New York City (wd-50), in Tokio (Kagurazaka Ishikawa, Nihonryori Ryugin), im baskischen Asador Etxebarri sowie zuletzt im zweifach besternten Californios, das in drei Tagen auch auf meiner Agenda steht.

Das Interieur des Nisei dominieren Dunkelgrau und Schwarz bei heller Beleuchtung und einer Fensterfront zur Straße. Es wirkt ein bisschen so, als hätte man in einem Nachtclub das Licht angeschaltet, aber in einer hinteren Sofaecke mit Blick über das Geschehen ist es ganz gemütlich. An diesem Sonntagabend ist nicht allzu viel los, aber der gut gelaunte Service hebt von Anfang an die Stimmung. Die Reservierung über Tock erforderte eine Vorauszahlung des Menüs in Höhe von 184 $ zzgl. Steuern und Service, was am Ende auf 240,97 $ (ca. 240 €) hinausläuft. Die Reservierung ist bis zu zwei Tage im Voraus bei voller Rückzahlung stornierbar, was in vielen gehobenen Restaurants der USA keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Die kompakte Weinkarte setzt Schwerpunkte in Frankreich und Kalifornien. Ich starte den Abend mit einer Flasche 2019er Meursault 1er Cru »Les Cras« von der Domaine Joseph Voillot (220 $) und einer kleinen Karaffe Sake (»mana 1751 true vision«, 32 $) zu den ersten Snacks des Überraschungsmenüs.

Ein Kissen aus gepufftem Klebereis (Mochi) mit Kumquat schmeckt einigermaßen neutral, aber eine Salazar-Auster aus Washington mit knackigen, süßlichen Erbsen und »senfig«-scharfem Wasabi bringt Intensität und Spannung an den Gaumen. Ein Stück in Reiskleie fermentierte Wassermelonenrinde – das Verfahren nennt sich nukazuke – hat in etwa eine Textur wie geschmorter Schweinebauch und spielt geschmacklich auf sehr gelungene Weise mit Umami und Fruchtaromen. (7/10 für diesen Auftakt.)

Das eigentlich Menü beginnt dann gleich mit einem Upsell, zu dem ich mich dank des Verkaufsgeschicks des Personals habe überreden lassen, ohne den Preis zu erfragen. Ich habe heute Abend zwar durchaus Lust auf Kaviar, doch hätte ich gewusst, wie wirr die Kombination der edlen Störeier mit Bananen-Blinis schmeckt (die eigentlich keine Blinis sind, sondern so genannte Dorayaki), hätte ich mir die 90 $, die später auf der Rechnung stehen werden, lieber gespart. Natürlich ist das immer noch irgendwie sehr gut – die Blinis sind makellos gearbeitet, und der Kaviar ist, was er ist –, aber der Zweiklang Kaviar/Banane wirkt einfach zu forciert andersartig. Erst einige Tage später, im Californios, wird mir der Zusammenhang klarer (Details folgen). (7/10)

Der erste offizielle Gang des Menüs bringt Erlösung. Eine Art Fächer aus Noriblättern beinhaltet in seinen drei »Kammern« unterschiedliche Zubereitungen: gegrillten Mais mit zerriebenem Popcorn; Seeigel; fermentierte Blaubeeren. Bei dem Snack, den man als Ganzes verspeist, nimmt man zuerst die dominanten »Hafenbecken-Aromen« des Seeigels sowie dessen cremige Textur wahr, dazu die scharfkantigen, etwas klebrigen Noriblätter und deren passende Algenaromen. Zu dieser maritimen Geschmackswelt gesellt sich die Süße der restlichen Zubereitungen, die erstaunlich gut dazu passt und auch am längsten nachklingt. Ein eindrucksvoller Happen. (8/10)

Als nächstes folgt Hiyashi-jiru, eine kalt servierte Misosuppe mit Gurke und Okra. Zu der angenehm sommerlichen Suppe gibt es in einem separaten Schälchen so genannte Kuzu-Nudeln, die aus der sehr stärkehaltigen Kudzu-Pflanze hergestellt sind und optisch an Glasaale erinnern. Doch das Gericht bleibt vegetarisch. Frisch am Tisch geriebener kalifornischer Wasabi sorgt dazu für etwas Pepp. Das ist ein wenig kompliziert zu essen, aber in Summe eine stimmige Kreation rund um »grüne« Aromen. (7/10)

Der folgende Gang präsentiert eine dicke Tranche von kalifornischem Königslachs. Das Berühren des Stücks mit dem Besteck allein ist ausreichend, um dessen zarte, buttrige und saftige Konsistenz festzustellen. Zu der Üppigkeit des Fischs harmoniert eine zurückhaltend süße, dickliche Sauce aus Japanischer Pflaume (Ume), wenngleich ich – nach dem Kaviar – hoffe, dass Süße nicht zum Leitmotiv des gesamten Menüs wird. Weitere Komponenten wie eine frittierte Zucchiniblüte und rote Bete bieten weitere interessante Mitspieler, die das Gericht fast mediterran wirken lassen. Allem voran triumphiert hier aber das fabelhafte Hauptprodukt. (7/10)

Das Thema des nächsten Gangs wirkt noch etwas schlüssiger. In dünne Scheiben aufgeschnittene, gegarte Abalone wird hier mit zweierlei Zubereitungen von Tomate begleitet, einmal in Form von gedämpften Scheiben unterhalb der Abalone sowie, separat serviert, als fermentierte »Praline«. Der Umami-Geschmack der Tomatenzubereitungen ist unterschiedlich stark ausgeprägt und erlaubt abwechslungsreiche Kombinationen am Gaumen. Ein mit Olivenöl aromatisiertes Dashi sowie Knoblauchblüten bringen weitere Komplexität ins Spiel. Das ist ausgezeichnet. (7,5/10)

Farblich zum Interieur passend ist eine etwas eigentümlich anmutende Kreation von Kalbsbries, welches mit japanischem schwarzem Curry ummantelt ist. Im Gegensatz zu den beispielsweise aus Indien bekannten Gewürzmischungen sind japanische Currysaucen kaum scharf, recht dick gebunden und, wie hier, oft mit Tintenfischtinte eingefärbt. Zusammen mit einigen Morchelscheiben – man hätte die Pilze nach meinem Geschmack ruhig im Ganzen belassen können – schmeckt das fast Französisch, aber ein Stück kalter, eingelegter Kohl – säuerlich frisch, aber kein Kimchi – ordnet das Gericht in asiatische Gefilden ein. Sehr gut. (7/10)

Der letzte herzhafte Gang ist ein Gericht mit Lamm. Das prachtvoll marmorierte – und für Lamm auffällig große – Stück Karree stammt vom Zulieferer Emigh aus Dixon, etwa hundert Kilometer nordöstlich von San Francisco. Das buttrig zarte Stück ist rosa gegart und auf einem eigenen Teller in einem klassischen Lammjus angerichtet. Das Fleisch begleiten verschiedene Zubereitungen in jeweils eigenen Schälchen: mit Lammfett und Gewürzen (furikake) aromatisierter, erstaunlich »saftiger« Reis; eingelegtes Gemüse (tsukemono) mit knackiger Konsistenz; sowie eine gehaltvolle, mit Lammknochen gekochte Misosuppe mit Milchhaut (yuba) und Japanischen Frühlingszwiebeln (negi). Das ist Fleischgenuss auf besonders hohem Niveau. Erneut begeistert mich auch die Vielfalt an hervorragenden Zulieferern verschiedenster Nahrungsmittel hier in Kalifornien. (7,5/10)

Dabei könnte ich es jetzt eigentlich belassen, denn die Desserts überzeugen allesamt nicht. Eine Kreation um Pflaume, genauer: Flavorosa Pluot, eine Kreuzung aus Pflaume und Aprikose, roh, als Granité und »Segel«, zusammen serviert mit einem Amazake-Eis, ist zwar geschmacklich schlüssig, aber so absurd kalt, dass es schmerzhaft ist. (6,9/10)

Danach verwirrt ein japanischer Schwammkuchen vor allem mit diversen Klecksen, Tupfen und Kügelchen von Erdbeere, Banane und Marshmallow – ein sowohl für Kalifornien als auch für Japan äußerst untypischer Teller. Das schmeckt fruchtig, der Kuchen ist saftig und weich, aber ein Highlight ist das nicht. (6,9/10)

Die Petit-fours – fast alle irgendwie »muffig«, trocken und bitter – hätte ich dann zum Abschluss am liebsten gar nicht erst probiert. (6/10)

Schade, dass das Mahl am Ende noch so bergab ging. Dessen ungeachtet ist das Nisei zweifellos eine Bereicherung für japanophile Esser in San Francisco, wo japanische Restaurants ganz überwiegend Sushi-Restaurants sind. Am preislichen Niveau gemessen – immerhin wird man hier, alles zusammengerechnet, mit einer guten, aber nicht exzessiven Flasche Wein plus tax und tip zu zweit um die tausend Dollar los – spielt das Nisei bereits in der oberen Liga der Restaurants in San Francisco mit. Kulinarisch findet man das nicht auf dem Teller wieder. Ich wäre heilfroh, ein Restaurant wie das Nisei in meiner Nähe zu wissen, aber jetzt bin ich erst mal heilfroh über alle Pläne, die noch folgen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Nisei (→ Website)
Chef de Cuisine: David Yoshimura
Ort: San Francisco, USA
Datum dieses Besuchs: 17.07.2022
Guide Michelin (California 2021): Noch nicht bewertet
Meine Bewertung dieses Essens: 7 (Was bedeutet das?)
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