The Ritz Restaurant – Krawattenpflicht und Bügelfalten

Zwei Michelin-Sterne, klassische französische Küche, ein legendärer Speisesaal im Louis-seize-Stil – und natürlich die berüchtigte Krawattenpflicht für Herren: Dem The Ritz Restaurant in London eilt ein fast ehrfurchtgebietender Ruf voraus. Wenngleich mir, gerade mit Blick auf die Kleiderordnung, schnell klar wird: Eleganz kann man nicht erzwingen.

Als Hotelgast, der hier heute für eine (in Anbetracht des veralteten Standards unverschämt teure) Nacht eincheckt, empfinde ich das gesamte Hotel als wenig elegant, im Gegenteil: Man scheint in diesem Traditionshaus einer Idee von Luxus hinterherzulaufen, die längst überholt ist. Alles wirkt steif, übertrieben förmlich und ohne jene weltläufige Souveränität, die einem in vergleichbaren Grandhotels – sagen wir, in Paris – begegnet.

Der legendäre Speisesaal, den ich am Abend dann zum ersten Mal betrete, ist zweifellos imposant. Kronleuchter, opulentes Dekor, große Fenster und bestimmt sechs Meter hohe Decken machen Eindruck. Doch gerade die Größe und das Layout werden dem Raum ein Stück weit zum Verhängnis: Knapp zwanzig Tische stehen ohne jegliche raumtrennende Elemente in drei Reihen nebeneinander und wirken auf mich damit wie ein Bankett oder Hochzeitsessen auf einer Tanzfläche. Das wirkt eine Spur ungemütlich.

Ein weiteres Detail, das nach nörgelnder Restaurantkritik klingen mag, mir aber dennoch negativ auffällt: Die Tischdecken sind nicht gebügelt. Stattdessen durchziehen Falten das Tischtuch, fast so, als hätte man es hastig über den Tisch geworfen. Das wirkt nicht nur nachlässig, sondern mutet vor dem Hintergrund des strikten Dresscodes wie Doppelmoral an.

Ein Aperitif muss her. Aus der umfangreichen Weinkarte, die auch viele – teils recht hochpreisige – glasweise Optionen bereithält, wähle ich einen 2021er Chardonnay »Woolsey Road Vineyard« des kalifornischen Weinguts Ramey (42 £, ca. 50 €). Für danach fällt meine Wahl auf einen 2020er Nuits-Saint-Georges 1er Cru »Les Cailles« von der Domaine Henri Gouges (ca. 345 €). Der darf auch schon mal ins Glas, ein kleiner Probierschluck parallel zum Weißen. Die Temperatur des Pinots ist allerdings nicht ideal; die Flasche muss noch mal kurz aufs Eis. Der sehr nette, sehr junge Sommelier kümmert sich.

Neben verschiedenen feststehenden Menüs bietet das Restaurant auch eine À-la-carte-Auswahl an – für mich die einzige Option im Rahmen einer klassisch französisch ausgerichteten Küche. Ein Abschnitt der Karte (»Arts de la Table«) ist eigens Gerichten gewidmet, die an einem Beistelltisch fertig gestellt werden. Meine Wahl fällt aber auf andere Speisen.

Die Amuse-Bouches kommen so oder so, und zwar in Form eines Trios. Snack Nummer eins ist eine Sphäre aus Ragstone-Käse auf einem Sablé, getoppt mit etwas Basilikumcreme. Das schmeckt umami-käsig mit spannungsvollen Texturkontrasten – sehr gut (7/10). Ein ähnlich konzipierter Snack (Teig, Sphäre, Creme) setzt auf Entenleberparfait mit Kirschhülle auf einem – offenbar bewusst recht harten – Lebkuchenkräcker (7/10).

Der dritte Snack ist eine Interpretation von Coronation Chicken, ein britischer Klassiker mit Huhn und currygewürzter Mayonnaise. Diese Variante ist anspruchsvoller und beinhaltet ein etwas komplexer gewürztes Huhn in einem knusprigen Zuckerzylinder. Die Aromen sind deutlich »indisch« konnotiert und in eine sehr dominante Süße eingebettet. Durch die Raumtemperatur, bei der das Röllchen serviert wird, wirkt es etwas schwerer, als es eigentlich ist. Auch das ist sehr gut, aber nichts zum Staunen. (7/10)

Dann folgt auch direkt mein erster Gang. Gerade im Rahmen eines Essens à la carte mag ich es, wenn es ohne weitere Umschweife losgeht. (Wem nach mehr ist, kann ja mehr bestellen.)

Es gibt gebratene Wachtel: zwei zarte Bruststücke und eine Zubereitung mit Keule, angerichtet in einer glänzenden, viskosen Sauce, in der sich der ganze Speisesaal spiegelt (ca. 53 €). Einem derart gewissenhaft reduzierten Jus bin ich lange nicht begegnet – das ist klassisches Handwerk, das begeistert. Am Gaumen klebt die umamibetonte, samtige Sauce an den Lippen und schmeckt nach komprimiertem Huhn mit dunkelwürzigem Unterton und schnittiger Verjus-Säure. Das ist schon ein Erlebnis für sich, aber die zarten, perfekt auf den Punkt gegarten Stücke Wachtelbrust möchte ich dazu nicht vermissen. Die Keule, die mit gepufftem Quinoa ummantelt ist, bringt dagegen ein mild-getreidiges Aroma ein, das ich hier nicht ganz stimmig finde. Weitere Komponenten sind gut integriert, vor allem ein saftiges Stück Sellerie mit Kräutern und Tupfen von Haselnusscreme. Bei aller handwerklichen Exzellenz ist das Gericht auch ein wenig »linear«, in dem Sinn, dass nach der ersten Gabel im weitesten schon klar ist, was hier passiert. Das ist kein Manko an sich, aber ein unerwarteter Akzent, der die Komposition über das initiale Erlebnis hinaushebt, hätte gutgetan. Dennoch: ohne Umschweife hervorragend. (8/10)

Der zweite Gang ist einer der Klassiker des Ritz: »Langoustines à la nage« (ca. 65 €). Drei ausgelöste Kaisergranatschwänze, in gekrümmter Form serviert, wurden in Butter bissfest gegart und ruhen in einer dichten, buttrigen Kräuternage. Diese hat ein ausgeprägtes Estragon-Aroma, das von den anderen ätherischen Kräutern unterstrichen wird, und ist von geradezu schwerer Opulenz. Begleitende Gemüse und etwas Blumenkohlpüree sorgen dabei für Struktur und Frische und halten das Gericht in Balance. Qualitativ, geschmacklich und handwerklich ist das absolut hervorragend, nur die Üppigkeit wirkt etwas aus der Zeit gefallen. In Anbetracht der Umgebung ist das natürlich nur folgerichtig. (8/10)

Mir war heute Abend nach Lamm – das für den Hauptgang (ca. 77 €) stammt aus Suffolk. Zwei dicke, rosa gegarte Stücke aus dem Karree liegen hier in einem glänzenden, dunklen Lammjus. Der ist erneut bemerkenswert dicht und ausgestattet mit dem »Glanz, der das Auge erfreut«, wie Paul Bocuse sagen würde. Dazu gibt es grünen Spargel, ein Püree aus Roscoff-Zwiebeln und eine Minz-Emulsion, der klassisch englische Lamm-Akkord. Neben der exzellenten Sauce verrät der Teller bereits optisch weitere Details: So ist das Lamm zwar mit ansprechendem Fett ausgestattet, aber nicht im Fleisch selbst, sondern nur in Knochennähe als Überbleibsel eines nicht sehr sorgfältigen Pariervorgangs. Auch das Fleisch selbst sieht nicht saftig aus; es fehlt an Glanz, und die Haut ist gräulich. (Wer sehen will, wie man grandioses Lamm bereits optisch entlarvt, siehe z. B. hier, hier oder hier.)

Am Gaumen bestätigt sich alles. Das Fleisch ist zwar aromatisch, aber leicht trocken; die Sauce hingegen ist fast zu großartig für das nur mäßige Fleisch – ein seltener Fall von kulinarischem Ungleichgewicht in der falschen Richtung. Minze und Zwiebel bringen klassische Akzente ins Spiel, bleiben aber Begleitung. Der Spargel ist tadellos bissfest gegart, trägt aber nichts Entscheidendes bei. Insgesamt ist das ein Gericht mit vielen guten Elementen – aber das zentrale Stück, das Lamm selbst, fällt leider ab. Da allein die Sauce schon ein seltenes Erlebnis ist, kann man das durchaus noch »sehr gut« nennen, mehr aber nicht. (7/10)

Als Tableside-Spektakel – das muss jetzt noch sein – bestelle ich zum Abschluss noch Crêpes Suzette (ca. 72 € für zwei Personen). Flammen, Orangensaft, Grand Marnier: Die Zubereitung dauert knapp zehn Minuten und wird mit viel Routine und genau der richtigen Prise Theatralik zelebriert. Das Ergebnis kann sich sehen und schmecken lassen: Die fast pikante Bitterkeit des Orangenlikörs steht in perfekter Balance zu den karamellartigen Röstnoten. Mehr lässt sich aus diesem Klassiker kaum herausholen. Hervorragend. (8/10)

Ein paar Petit Fours – alle sehr gut, eine Haselnusspraline sogar fast großartig, aber zimmerwarm nicht optimal – beenden das Menü (7/10), das mich weder atmosphärisch noch handwerklich besonders beeindruckt hat.

Im Laufe der Jahre habe ich oft gehört, das Ritz sei mit nur einem Michelin-Stern, den es bis vor Kurzem noch trug, dramatisch unterbewertet gewesen. Dieses Mahl hat das nicht wirklich bestätigt. Und das nächste Mal, wenn man mir eine Krawattenpflicht auferlegt, verlange ich gebügelte Tischdecken.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: The Ritz Restaurant (→ Website)
Chef de Cuisine: John Williams
Ort: London, Vereinigtes Königreich
Datum dieses Besuchs: 01.06.2025
Guide Michelin (GB/IRL 2025): **
Meine Bewertung dieses Essens: 7,5 (Was bedeutet das?)
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