Intense – das Dorf und der Tresen
Fast genau vier Jahre nach meinem Besuch des Pop-up-Konzepts Intense at Dr. Bürklin-Wolf kehre ich zurück nach Wachenheim an der Weinstraße. An das Essen während der Pandemie erinnere ich mich lebhaft – kulinarisch wie atmosphärisch. Trotz aller Traumata von Lockdowns und föderalem Regelchaos blieb ein bestimmtes Gefühl bei mir haften. Wieder an einem gedeckten Tisch sitzen zu können – das fühlte sich an wie als Kind, wenn man ausnahmsweise länger aufbleiben durfte. Verwegen und kostbar.
Als ich damals das Popup besuchte, waren Benjamin Peifer und seine Frau Bettina gerade im Begriff, das Hauptrestaurant von Kallstadt nach Wachenheim umzuziehen. 2022 war es dann so weit. Die neue Location befindet sich in einem alten, zweigeschössigen Wohnhaus mit weiß verputzter Fassade. Die rote Michelin-Plakette, auf der seit neuestem zwei Sterne prangen, suche ich vergeblich. Stattdessen finde ich eine Klingel – der erste vage Hinweis auf die kosmopolitische Inspiration à la Frantzén, die in das neue Restaurant geflossen ist.
Zuerst wird man in einen Vorraum geführt, die »Guud Stubb’«, mit bequemen Sitzbänken und kleiner Vorbereitungsküche.
Eine sehr freundliche Mitarbeiterin fährt einen Aperitifwagen vor, der originelle Getränke bereithält, wie einen mit Yuzu aromatisierten Gintense-Tonic (15 €), auf den ich mich einlasse. Der erfrischt – bei schwüler Sommerhitze.
Erste Snacks werden an den Tisch gebracht. »Gequellde mit weißem Kees« beschreibt nach Pfälzer Mundart Kartoffeln mit Quark und zeigt sich hier in Form einer knusprigen Kartoffeltartelette mit Kräutern, Quark und Radieschen – saftig, frisch, leicht kühl, sehr gut (7/10).
Ein Macaron »Hommage an die Pfalz« aus präzise gearbeiteten Schichten von Forelle, Kartoffel und Sauerkraut setzt noch mal eine Schippe drauf und begeistert mit mundfüllenden Texturkontrasten und prägnanter Rettichschärfe. Diese Ausführung gefällt mir noch besser als die Version vor vier Jahren und rechtfertig daher eine Wiederholung (8/10).
Mit »Kerscheplotzer« folgt ein weiteres Fremdwort, das einen Pfälzer Kirschauflauf bezeichnet. Der ist hier interpretiert als Rote-Bete-Tartelette mit schmelziger Entenleber, dunkelaromatischer Kirsche und frischer Haselnuss – erneut hervorragend (8/10).
Auch »Dampfnudel un Woisoß« – inklusive handschriftlichem Rezept von Benjamin Peifers Großmutter – kommt mir bekannt vor. Den fluffigen, unten knusprigen, brötchenartigen Hefekloß stippt man hier in eine schaumige Sauce mit weißem Riesling – säurebetont und üppig (7/10).
Inzwischen habe ich auch in der Weinkarte stöbern können, die sich auf Regionen in Deutschland und Frankreich fokussiert. Ich wähle eine halbe Flasche Krug-Champagner (185 €) und einen 2019er Clos Rougeard »Le Clos« (250 €). Es kann also weitergehen.
Und das bedeutet einen kontrastreichen Szenewechsel. In der »Speisekammer«, einem stimmungsvoll beleuchteten, schwarz gefliesten Raum, wartet einer der Köche an einem massiven Küchenblock, um die Zutaten des Abends zu präsentieren. Ich mag dieses Konzept, weil es Produktnähe vermittelt.
In einem kleinen Schälchen gibt es Tamago tofu, eine mit Chawanmushi vergleichbare Zubereitung (ohne Tofu) aus gedämpftem Ei und Dashi, mit Stückchen aus der Hummerschere, Chorizo und Pfälzer Bohnen. Das ist angenehm lauwarm und herrlich würzig mit einer Vinaigrette mit schwarzem Knoblauch abgeschmeckt. (7,9/10)
Dann geht es in den eigentlichen Speisesaal – und ich könnte kaum erstaunter sein. Eine L-förmige Theke direkt an der Küche, weitere Sitzplätze in gemütlichen Separees, hochwertige Materialien, atmosphärische Beleuchtung: Man wähnt sich eher in New York oder Stockholm als in der Pfalz. Es ist bemerkenswert, was sich Peifer und seine Frau hier aufgebaut haben.
Mit dem Champagner im Glas, der zunächst leider nicht kalt genug ist, sehe in den nächsten Speisen des Überraschungsmenüs (250 €) entgegen.
Gang eins am Tresen ist eine mit Kaffeeöl und Holunderblütenessig aromatisierte Gazpacho, die nur den Fond des Schälchens bedeckt. Darauf entdeckt man hausgemachten Schinken, gelbe Paprika und Croutons aus Shokupan. Der kleine Gang balanciert zwischen einer von Holunderblüten und dem Schinken stammenden Süße, schnittiger Paprika-Säure, salziger Umami-Würze und kaffeebetonter Röstaromatik. Ein starker Auftakt. (8/10)
Gang zwei wird als aufwändig gearbeitetes Trio serviert. In allen drei Schälchen stehen Stachelmakrele und Kaviar im Vordergrund, begleitet von Gurke und salzig-säuerlich eingelegter Mirabelle (hier »Miraboshi« genannt, ein Wortspiel mit »Mirabelle« und »Umeboshi«, japanischer Salzpflaume). Eine der Kompositionen katapultiert mich mit elegantem Umami, frischem Wasabi und kühlem, säuerlich-süßem Sud direkt nach Japan; ein Sashimi zeigt die exzellente Qualität des Fischs; und eine Sushi-Rolle mit Koshihikari-Reis und Perilla rundet die Kurzreise nach Fernost ab. Besonders bemerkenswert ist eine Art authentisches »japanisches Mundgefühl«, das sich durch salzige, umamibetonte Noten, einschlägige Aromen und charakteristische Texturen entfaltet. Das hier ist keine trendige Fusionsküche, sondern eine respektvolle Verneigung gen Osten. Einzig die Portionsgrößen sind mir als Trio etwas zu wohlwollend. (7,9/10)
Eine »Karotte« entpuppt sich anschließend als mild geräucherte Forelle, die in Dashi gegarte Karottenstreifen umhüllt. Das Ganze ist auf einer mit Habanero akzentuierten Karottencreme mit knusprigen, gerösteten Shokupan-Bröseln gebettet. Feine Rauchnoten, leichte Süße, deutliche Schärfe: das macht alles Laune, trifft aber eher das Attribut »interessant« als ausufernd köstlich. (7/10)
Es folgt eine Variation von Aal. In einem Schälchen liegt der Fisch – »gegrillt wie in Kyoto«, demnach im Kabayaki-Stil ohne vorheriges Dämpfen – zusammen mit ebenfalls gegrillter Aubergine. Die Basis bildet ein Dashi aus geräuchertem Aal, gewürzt mit Lauchzwiebelöl und Yuzukoshō. Das schmeckt nach rauchigem Umami und tiefer Würze. Geriebener Rettich bringt dazu kühle Frische, marinierte Melone steuert Fruchtsäure und sanfte Schärfe bei. Es handelt sich hierbei um ein Gericht mit bemerkenswerter Balance und authentisch japanischem Charakter – so etwas habe ich in Deutschland noch nicht probiert. Ein kleines Beignet mit Aal liegt auch noch daneben; es ist für die Komposition nicht essenziell, aber willkommen. Insgesamt ist das herausragend. (8,9/10)
Mit bretonischem Hummer mit »Angry Lardo ›BLT‹« – der Name ist eine Reminiszenz an eine Gewürzmischung aus dem inzwischen geschlossenen Zweitrestaurant The Izakaya – wird das qualitativ exzellente Krustentier mit Speck, gegrilltem Romanasalat und Tomatenkompott serviert und ist mit einer Vanillemayonnaise, Beurre blanc und unreifen Erdbeeren abgerundet. Hier kommt viel (Gutes) zusammen: rauchige Würze vom Lardo, süffige Umami-Tiefe vom Tomatenkompott, zarte Bitternoten und Crunch vom gegrillten Salat – dazu die feine Vanillenote, die sich aber nicht aufdrängt, und die knackige Säure der unreifen Erdbeeren. Der Hummer bleibt dabei jederzeit klar im Mittelpunkt. Das macht Spaß und ist unbeschwert köstlich. (8/10)
Es bleibt maritim. Ein Stück vom Stör wurde in Erbsenmiso mariniert und gegrillt, dazu gesellen sich frühlingshafte Mitspieler wie Erbsen, Jalapeño und Lemonquat. Ein mit Aktivkohle gefärbter Hechtkloß in Form eines Stücks Holzkohle begleitet spielerisch den Fisch. Der bringt viel Eigenfett mit, was gut zur kräftigen Miso-Marinade passt; ich spüre aber auch schon ein wenig Sättigung. Die frischen Erbsen, der leichte Schärfeimpuls der Jalapeño und die Frische der Zitrusfrucht balancieren aber alles aus. Das ist sehr gut, aber letztlich hinterlässt der Fisch mit seiner von Natur aus fleischartigen Dichte einen etwas sperrigen Eindruck. Dennoch spannend. (7/10)
Mit Seezunge aus der Vendée – man verarbeitet hier absolute Spitzenprodukte – wird es wieder etwas klassischer. Das saftig gegrillte und mit Yuzukoshō gewürzte Stück ist auf dem Teller mit einer mit Geflügelfarce gefüllten Morchel, seidigem Kartoffelpüree und gegrilltem Spinat in einer Sauce riche angerichtet. Besonders kurzweilig ist hierbei der Kontrast zwischen japanisch fundierter Grilltechnik und einem französisch geprägten Geschmacksbild. Die Garungen sind alle exzellent, die Aromen verschwimmen aber ein wenig in der süffigen Opulenz – ganz zum Vorteil eines ungezwungenen Schlemmens. Dazu wird noch ein hervorragendes, hausgemachtes Sauerteigbrot serviert, und dann heißt es: fare la scarpetta. (7,5/10)
Mit entspanntem zeitlichen Abstand folgt dann eine Erfrischung. Für »Gintense ›Tokyo-Mule‹« wurde mit Yuzu-Gin aromatisiertes Eis nach Kakigori-Vorbild selbst geschabt und mit Yuzumarmelade und Ingwerbier kombiniert. Man isst das Ganze aus einer gefrorenen Eiskugel, was die Kreation optimal kühl hält. Das Ergebnis ist eine zitrisch-herbe Abkühlung mit fein integrierter Süße, leicht prickelnd, unglaublich präzise abgeschmeckt und optimal temperiert. Das ist schlicht und perfekt. (9/10)
Mit dem »Bienenstich ›Intense‹« greift man dann noch einmal in ein Regal, das für die meisten Küchen unerreichbar bleibt: das höchste. Fluffiger Brioche-Teig umhüllt hier ein cremiges Mandel-Nougat, getoppt von knuspriger Waffel und begleitet von einem Eis aus feinster Tahiti-Vanille – allein das ist schon ein Gedicht. Wenn dann noch der intensive tasmanische Honig in den Vordergrund tritt – pikant, intensiv süß, von feiner Säure ausbalanciert –, wähnt man sich im siebten Himmel. (10/10)
Zum Schluss begeistert eine Panna Cotta mit Lavendel, Sansho-Baiser, Rhabarber und Mieze-Schindler-Erdbeeren. Die ausufernd aromatischen Früchte sind in ihrem eigenen Sud serviert und entfalten eine fast parfümartige Präsenz, die durch die feine Lavendelnote noch verstärkt wird. Das ist sinnlich, klar und makellos – und wirkt vielleicht gerade deshalb fast zu direkt: zwar großartig, aber bewusst schlicht gehalten. (8,9/10)
Nach drei Stunden endet damit ein beeindruckendes Menü. Die Pralinen, die auch noch vorgesehen sind, lasse ich mir einpacken. Mit einem weltgewandten, in der Heimat verankerten Menü, einer zeitgemäßen Dramaturgie – von der Türklingel bis zum Tresen – und einer ästhetisch wie materiell überzeugenden Innenarchitektur zählt das Intense zu den kosmopolitischsten Restaurants Deutschlands. So etwas findet man nicht einmal in den Großstädten. Nur die vierzig Minuten, die ich auf ein Taxi warte, erinnern daran, dass hier der Fuchs dem Hasen gute Nacht sagt.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Intense (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Benjamin Peifer |
Ort: | Wachenheim an der Weinstraße, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 05.07.2025 |
Guide Michelin (Deutschland 2025): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens: | |
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