Erno’s Bistro – wie Gott in Frankfurt

Frankfurt steht für mich ungerechterweise als Synonym für lästiges Umsteigen auf Flugreisen – und kaum als Essensdestination. In ein Restaurant habe ich mich aber schon länger verguckt, zumindest aus der Ferne: Erno’s Bistro, nur richtig mit falschem Apostroph.

Besternte französische Bistro-Küche à la carte in charmanter Atmosphäre, sogar mit Terrasse, und dazu eine der eindrucksvollsten Weinkarten Deutschlands: Das ruft eigentlich so laut nach mir, dass ich kaum rechtfertigen kann, nicht schon früher hier eingekehrt zu sein. Immerhin hätte ich schon mein ganzes Leben lang Zeit dafür gehabt – das Restaurant existiert bereits seit 1974. 21 Jahre später übernahm der elsässische Sommelier Eric Huber das Restaurant des damals verstorbenen Gründers Ernst »Erno« Schmitt und führt es bis heute. Fest an seiner Seite sind seitdem auch Küchenchef Valéry Mathis und ein Michelin-Stern.

Ich komme an einem lauen Sommerabend an, was zur Konsequenz hat, dass das Leben heute draußen stattfindet. Die von Bepflanzung umsäumte und mit einer weit auskragenden Markise komplett überdachte Terrasse ist so gemütlich wie ein Kokon, dabei aber nicht rustikal: Die Tische sind fein eingedeckt, die Sessel bequem, die Beleuchtung stimmungsvoll. Ganz zu schweigen vom Personal, das die große Herausforderung meistert, locker, souverän und herzlich zu sein, ohne jegliche Spur von Förmlichkeit aufkommen zu lassen. Die ganze Situation hat kalifornisches Flair.

Mit der umfangreichen und geradezu spektakulären Weinkarte habe ich mich schon, wie üblich, im Voraus auseinandergesetzt und besonders mit einem 2013er Vosne-Romanée 1er Cru »Les Beaux Monts« von der Domaine Dujac (450 €) geliebäugelt. Meine Wahl lasse ich mir von Eric Huber absegnen – und gleich auch noch glasweise etwas Weißes empfehlen. Mit einem 2023er Bourgogne von der mir bisher nicht bekannten Domaine Jean-Philippe Fichet (25 €) trifft er ins Schwarze.

Den Weißwein im Glas – und auch schon einen Probeschluck des Pinot – hadere ich mit der Speisekarte, weil alles verlockend klingt. Mit tatkräftiger Unterstützung des Personals steht aber schließlich meine (vorläufige) Auswahl. Erst mal anfangen, ist die Devise. Ich lasse ein À-la-carte-Essen nach hinten meistens offen. Wer will schon am Anfang des Abends über das Ende sprechen?

Mit sechs Austern »Gillardeau No. 4« (48 €) starte ich in den Abend. Auch gute Austern sind kein Selbstläufer. Vom Einkauf über die Vorbereitung kann viel schiefgehen. Zu groß, zu warm, zu trocken, zu wässrig, zu alt, mit Splittern … Hier dagegen sitzt jedes Detail. Vor allem die perfekt ausgewählte, dezente Größe gefällt mir äußerst gut. Ich bevorzuge die pure Auster, probiere aber auch ein paar mit dem gut abgeschmeckten Schalotten-Essig. Ein absolutes Top-Produkt, perfekt präsentiert – und damit sogar noch etwas besser als sehr gut. (7,5/10)

Ein Trio an Amuse-Bouches erreicht danach den Tisch. Eine kalte Mini-Ratatouille hat so viel Geschmack wie ein Sommer in Südfrankreich, ein ebenfalls kühles, sehr präzise abgeschmecktes Zucchini-Süppchen mit Chorizo und Feta bleibt mediterran und würzig, aber nicht rustikal, und eine mit Krustentier und Curryschaum gefüllte Croustade mit Austernblatt lässt dann niemanden mehr zweifeln, dass man hier in einem Spitzenrestaurant sitzt. (Alle 7/10)

Danach fällt meine Wahl auf »souffliertes Bio-Ei Version 2025« (79 €), eine optisch an ein Dessert erinnernde Kreation, bei der Kaviar in die Eiweißmasse integriert wurde. Vermutlich wurde der Kaviar nach der Garung eingebracht, denn er ist noch kühl, als er beim Anschneiden aus dem Ei läuft. Das Ganze thront auf einem Lauchpüree und einem Spiegel aus flüssigem Eigelb. Das ist so süffig-cremig-köstlich wie man es sich vorstellt, aber das ganz große, sagen wir, Sonnora-esque Schlemmen bleibt aus, weil mir etwas Temperatur fehlt. Vor allem das Eigelb wird recht schnell fest, selbst an einem lauen Sommerabend. Aber keine Frage, man schlemmt hier wie ein König. (7/10)

Alle Zeichen stehen auf Genuss. Der Wein ist groß, die Stimmung gelöst – es ist schon jetzt ein Fest!

Aber apropos Sonnora: Der nächste Gang, ein Kartoffelrösti mit Rindertartar, Crème fraîche und Kaviar (79 €) lässt einen zwangsweise Vergleiche anstellen. Die charmant zwischen Bodenständigkeit und Opulenz wechselnde Speise begeistert auch hier mit der warm-krossen, fettigen Basis, dem kühlen Tartar als Kontrast und der verbindenden, säuerlich-frischen Crème fraîche – veredelt vom jodigen, nussigen Kaviar mit langem Abgang. Himmlisch. (8,5/10)

Dass ich heute besonders zu Speisen mit Kaviar tendiere, ist schlicht meiner heutigen Laune auf hemmungslosen Genuss geschuldet – befeuert von der angenehmen Atmosphäre. Dass man Kaviar hier gerne in pochierten Zubereitungen versteckt, zeigt auch ein Hechtkloß, serviert auf etwas Spinat in einer Weißweinsauce (49 €). Hier muss ich ob des enorm hohen Niveaus kurz innehalten. Der Kloß ist von federleichter Textur, präzise abgeschmeckt, nicht »kloßig«, sondern wolkig und frisch. Die Sauce bringt elegante, zitronige Säure ins Spiel, bleibt dabei aber üppig und belebt den Kaviar, statt ihn zu erschlagen. Der Spinat steuert grüne, erdige Noten bei, ohne je dominant zu werden. Alles ist im Gleichgewicht, nichts banal, nichts laut – und doch voller Spannung. Das ist klassisch-französische Aromatik auf höchstem Niveau, umgesetzt mit bemerkenswerter Finesse. Servierte man einen solchen Gang im Sonnora, um bei dieser Parallele zu bleiben, würde sich niemand wundern. (9/10)

Dass man auf diesem Niveau bleibt, ist kaum zu glauben. Wolfsbarsch, als »Roulade«, kommt getoppt mit marinierten rohen Crevetten, Kopfsalat, Spinat und Beurre blanc (79 €).  Erneut bedient man das süffig-appetitliche Geschmacksbild aus Butter, Säure und grüner Frische. Dass das nicht repetitiv wirkt (und ohnehin meiner Auswahl folgt), liegt hier an den expressiven maritimen Hauptdarstellern in Form des saftigen, warmen Wolfsbarschs und den kühlen, rohen Garnelen, die ausschließlich in dieser Spitzenqualität Genuss bereiten – sonst kann das schnell nach hinten losgehen. Selbst die scheinbar trivialen Salatspitzen mit der halben Kartoffel und etwas von der Sauce sind zum Reinlegen. Das ist absolute Spitzenküche. (9/10)

Ich habe auch noch Appetit – kein Wunder bei dem Genussniveau. Meine nächste Bestellung lautet auf Kalbstafelspitz mit Pfifferlingen, Grüne-Sauce-Sud und Gemüse-Kartoffel-Stroh (59 €). Der Tafelspitz wurde zart gegart – nicht geschmort –, sodass er noch etwas elastisch ist und das scharfe Laguiole-Messer mit nur geringem Kraftaufwand hindurchgleitet. Das Fleisch ist saftig und hat ein mildes Aroma, das von der Frische, Säure und den Kräuteraromen der regional verwurzelten Sauce spannungsvoll gekontert wird. Das Gemüse-Kartoffel-Stroh lockert alles auf und bringt mit Fett, Salz und Crunch etwas Tiefe. Exzellent. (8/10)

Ein Zitronensorbet »Gin & Tonic« (29 €) mit Wacholder-Limetten-Schaum und Yuzu-Abrieb begeistert danach mit einer köstlichen Balance zwischen floralen Zitrusaromen, Süße, Kühle und Cremigkeit. Auch diese Kreation könnte in den besten Häusern stehen – pardon, sie tut es ja auch. (8/10)

Und etwas Käse nehme ich auch noch (25 €). Er stammt, natürlich, vom renommierten Affineur Bernard Antony. Die Auswahl, die ich der Küche überlasse, enthält fantastische Klassiker – Époisses, Brin d’Amour, Coulommiers, Comté, Fourme d’Ambert –, alle bestens gereift und ideal temperiert.

Wirklich Schluss ist dann nach den Petits Fours, die ich nicht im Detail notiere. Am Gaumen vermengen sich Aromen von Pistazie, Kirsche, Mürbeteig, Schokolade, Vanille und Himbeere zu einem Abschluss zum Schwärmen. (7,9/10)

Das Verblüffendste an Erno’s Bistro ist es, dass man es trotz des hohen kulinarischen (und preislichen) Niveaus meistert, einen Rahmen zu schaffen, der so charmant ist, dass das »Bistro« im Namen nicht mal nach einem Euphemismus klingt. Hier wird wahrhaftige Spitzenküche geboten, die jeder in sein Herz schließen kann; hier wird eine Lässigkeit gelebt, die alle Hemmungen vor Sternerestaurants aufhebt. Das ist in Deutschland geradezu einzigartig.

Also: Wer noch nicht hier war, muss hin. Wer alter Hase ist, muss wiederkommen. Es ist nie zu spät.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Erno’s Bistro (→ Website)
Chef de Cuisine: Valéry Mathis
Ort: Frankfurt am Main, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 04.07.2025
Guide Michelin (Deutschland 2025): *
Meine Bewertung dieses Essens: 8 (Was bedeutet das?)
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