Tourniert: New York, London, Lancashire
Ein lässiger Lunch in einem New Yorker Klassiker, eine atmosphärische Weinbar in London – und ein Ein-Sterne-Restaurant als Anhängsel zum dreifach besternten Hauptrestaurant in Lancashire: Meine Passion für gutes Essen führt mich an die unterschiedlichsten Orte. Kompakt berichte ich in dieser Ausgabe von Tourniert über folgende Restaurants:
Le Bernardin, New York City
Noble Rot, London
The Barn, Aughton
Le Bernardin, New York
Wenn ich richtig gezählt habe (was ich nicht mit letzter Sicherheit behaupten kann), ist es mein neunter Besuch im Le Bernardin – auch wenn es sich wie der zwanzigste anfühlt. In Eric Riperts Seafood-Tempel stellt sich jedes Mal ein Gefühl von Vertrautheit ein, was zweifellos an der Konstanz liegt, die hier in jedem Aspekt abgeliefert wird.
Förmlicher, aber nie steifer Service, eine elegante, aber immer lebendige Atmosphäre und eine so produktfokussierte Speisekarte, wie sie nur in einer Weltmetropole wie New York existieren kann – all das, kombiniert mit dem legendären, stets herzlichen Weinservice von Aldo Sohm, manifestiert das Restaurant in Midtown Manhattan für mich als Pflichtbesuch in New York.
Zum Auftanken von Jod und Meeresumami geht es nach puren Austern (von den Hamptons Bays und Prince Edward Island) mit »Oyster-Uni« weiter, einem Gericht, das so schmeckt, als gurgle man mit Meerwasser und verschlucke dabei eine Alge. Klingt vermeidbar, ist aber grandios – wieder einmal. (9/10)
Meine Laune führt mich danach zu »Bluefin Tuna-Caviar«, einer Art dekonstruierten Sushi-Handrolle mit feinstem Thunfisch, Reis, krossem Noriblatt und Osietra-Kaviar. Was wie eine uninspirierte Ansammlung von Luxuszutaten klingt, schmeckt wie Sushi in Tokio – fesselnd und präzise. (10/10)
Ein Seeigel-Soufflé mit getoasteter Nori-Brioche schießt den Uni-Vogel noch mal ab: erneut viel Ozean, diesmal warm, cremig, verführerisch. (10/10)
Das ausgedehnte Mittagessen fährt unter anderem noch fort mit einem Duo aus Seehecht und Tintenfisch, kombiniert mit Sepia-Nudeln und Tintenfischsauce (9/10), gefolgt von tasmanischer Forelle mit Morcheln à la crème und Erbsen (9/10), beides zum Niederknien.
Irgendwann schaffe ich es noch mal, mittags und abends hier einzukehren – an einem Tag.
Noble Rot (Lamb’s Conduit), London
Am Ende ist es die in ohrenbetäubenden Lärm ausartende Lebhaftigkeit, die mich zuerst einen Platzwechsel erbitten und weniger später die Flucht ergreifen lässt. Dabei hatte alles so lässig begonnen, hier im Souterrain einer der bekanntesten Weinbars Londons. Drei Filialen gibt es inzwischen, die in der Lamb’s Conduit Street ist das Original.
Das Konzept ist einfach: gute Küche à la carte mit einer grandiosen Weinauswahl. Letzteres ist kein Wunder, denn das Restaurant gehört denselben Eigentümern wie das Nischen-Weinmagazin Noble Rot.
Zu offenem 2022er Meursault von der Domaine Roulot (48 £, ca. 56 €) und salzigem Vichy Catalan-Wasser starte ich mit ein paar tapasartigen Snacks wie Comté-Beignets mit Walnuss-Ketchup (ca. 3,50 €) – heiß, umami, köstlich (7/10) – oder Hühnerleber (ca. 18 €) mit erstaunlich gutem Sommertrüffel auf krossem Toast (7/10).
Ein 2022er Vosne-Romanée von der Domaine Mugneret-Gibourg (ca. 248 €) begleitet danach zuerst einen knackigen, bittersüßen Sommersalat mit Erbsen (ca. 12 €) und einen Teller mit fast transparentem Lardo vom Mangalica-Schwein mit piemonteser Haselnüssen (ca. 16 €). (Beides 6,9/10)
Der Hauptgang fällt dann deutlich rustikaler aus, mit einem großen Filetstück von gebratenem Steinbutt (ca. 51 €) auf einer noch größeren Menge Kartoffelpüree in einer Vin-Jaune-Sauce. Letztere ist sehr gut, der Steinbutt aber deutlich übergart – und die Portion so übertrieben groß, dass das Gericht plump wirkt. (6,5/10)
Einen sehr guten Paris-Brest (ca. 14 €) schaffe ich noch an einem anderen Platz weiter oben neben dem Ausgang (6,9/10), der sich für mich gerade so anfühlt wie ein erlösender Notausgang. Das ganze Konzept gefällt mir sehr, aber jetzt kann ich nur noch flüchten.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Noble Rot (Lamb’s Conduit) (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Áron Stigmon |
Ort: | London, Vereinigtes Königreich |
Datum dieses Besuchs: | 29.05.2025 |
Guide Michelin (GB/IRL 2025): | Empfohlen |
Meine Bewertung dieses Essens: | |
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The Barn, Aughton
Als wäre der Betrieb eines Drei-Sterne-Restaurants mit angeschlossenem Hotel nicht schon genug, gibt es auf dem beeindruckenden Anwesen des Moor Hall noch ein »einfaches« Restaurant: The Barn. In dem länglichen Backsteingebäude befindet sich auch die hauseigene Räucherei, und morgens wird hier Frühstück serviert – englisch, deftig, sehr gut.
Das Konzept mit einem Fine-Dining-Restaurant mit festem Menü und einer ungezwungeneren À-la-carte-Gastronomie ist geschickt – einerseits, um weitgereiste Gäste, wie mich, für mehrere Tage herzulocken, andererseits, um den Betrieb für Gäste aus der näheren Umgebung attraktiv zu machen. Mich reizt eine solche Kombination immer. Oft freue ich mich genauso auf das »Zweitrestaurant«.
The Barn tritt spürbar rustikaler auf als die Drei-Sterne-Schwester, was man am Interieur, dem Publikum und, etwas weniger deutlich, der Speisekarte ausmachen kann. Letztere gefällt mir davon am besten.
Zum Start gibt es ein paar Kleinigkeiten, z. B. hausgemachte Salami und ein – etwas teiglastiges – Küchlein mit gezupftem, fein maritimem Taschenkrebs (6,9/10). Die nächsten Einstimmung ist dann ein Knaller: Auster-Mousse mit Nori und Dilleis und Gurke – kühl, mild salzig, mit wachrüttelndem Frischekick und schelmischer Schärfe (7,5/10).
Die Gänge aus der Karte bleiben auf attestiertem Sterne-Niveau, z. B. mit Pilzen gefüllte Wachtelbrust, hochakkurat gebraten und mit Bärlauch serviert (22 £, ca. 26 €). Die Keule gibt es auch noch dazu. (7/10)
Nach sehr guter Makrele mit Buttermild Dill begeistert mich wenig später eine überfrische Jakobsmuschel mit Jalapeño, Radieschen und Gurke – ähnlich frisch und pikant wie zum Einstieg, aber mit feiner Süße von der Muschel. (7,5/10)
Da mir nach einem deftigen Ausklang ist, probiere ich noch geschmortes Sirloin vom Blue Grey-Beef mit knusprigen Kartoffeln, knusprigem Kohl mit Zwiebeln, Spinat, Béarnaise und einer Sauce von geräuchertem Knochenmark. Mit Rustikalität hat das hier nichts zu tun – jedes Detail ist höchst akkurat gearbeitet und von exzellenter Qualität. Gerade das Fleisch hätte jedoch heißer sein dürfen. (7/10)
Irgendwann, so ähnlich wie im Noble Rot, kippt die Atmosphäre hier ins Anstrengende – in der Luft liegt billiges Parfüm. Zum Glück ist mein Wein noch lange nicht leer, ein 2017er Pinot Noir »Machado« des Weinguts Brewer-Clifton aus Kalifornien (ca. 222 €). Ich nehme ihn mit an die Bar – dort, wo gestern alles begann.