The French Laundry ‒ Randnotizen

Für meine kulinarische Prägung spielt Thomas Keller, einer der bedeutendsten Köche und Gastronomen Amerikas, eine entscheidende Rolle. Früh auf meinen kulinarischen Reisen – bereits 2010 – habe ich sein Flaggschiff The French Laundry in Yountville besucht, das seit 2007 drei Michelin-Sterne trägt.

Der Besuch damals hat mir die kalifornische Spitzenküche von Thomas Keller so tief ins Gedächtnis gebrannt wie nur wenige Restaurants. Französische Techniken kombiniert mit kalifornischen Produkten ergeben eine Küche von bemerkenswerter, sonnig-leichter Unbeschwertheit, die sich im Gedächtnis als ganz eigene Gattung einprägt.

Die Reservierung in der French Laundry ist selbst nach Jahrzehnten noch eine der schwierigsten weltweit. Die begehrten Plätze sind online in Sekundenbruchteilen ausverkauft. Nur wer das Glück sehr auf seiner Seite hat, kann die für das kleinste Menü fälligen 425 Dollar zzgl. Steuern loswerden. Meine Reservierung war dank eines Kontakts vor Ort diesmal einfacher.

Das Gebäude an der Washington Street im Genussdorf Yountville ist abends sehr atmosphärisch beleuchtet. Von außen sieht man kaum mehr als einige Silhouetten hinter den Fenstern im Obergeschoss – ein Anblick, der etwas Geheimnisvolles ausstrahlt und die Spannung noch erhöht.

Der Eingang befindet sich, etwas versteckt, an der rechten Seite des Gebäudes. Ich betrete es auch zum dritten Mal mit Ehrfurcht.

Wer zum ersten Mal hier ist, wird sich über das gedrungene Interieur wundern, das der Architektur des historischen Gebäudes geschuldet ist. Die Deckenhöhe ist niedrig, es gibt mehrere Speisezimmer über zwei Etagen; Gäste und Personal nehmen den meisten Raum ein.

Ich sitze heute Abend in einem angenehmen kleinen Nebenraum mit nur zwei weiteren Tischen. Die Atmosphäre ist aufmerksam, der Service warm und präsent. Heute ist ein besonderer Abend: Thomas Keller ist persönlich im Haus. Ich sehe ihn zum ersten Mal.

Aus der auf einem Tablet präsentierten Weinkarte werde ich zunächst bei den halben Flaschen fündig. Ein Chardonnay »Maritimo« des Weinguts Peay von der Sonoma Coast (105 $) schmeichelt mit leichter Cremigkeit, Brioche und Zitrusnoten. Meine Auswahl für einen Rotwein steht wenig später mit einem 2022er Pinot Noir »East Ridge« von Hirsch Vineyards (310 $) ebenfalls. Ich bleibe damit in der Region.

Das Lachs-Cornet ‒ einer von vielen Klassikern, die man hier erwarten darf ‒, präsentiert sich mit ausgeprägtem Geschmack nach dem buttrigen, krossen Teig, in dem die Zwiebel-Crème-fraîche und das üppige Lachstartar eingebracht sind. Klassisch ‒ und hervorragend wie eh und je. (8/10)

Zwei weitere Aperitif-Snacks kommen in Form eines hauchdünnen Teigkissens mit Austerfüllung ‒ unerwartet großartig, mit maritimer Frische und anregender Säure ‒ (8,9/10) sowie einem würfelförmigen Wagyu-Pâté, der geschmacklich an Würstchen erinnert ‒ mäßig spannend (7/10).

Der nächste Appetizer, eine warme Tomatensuppe mit knuspriger Teigeinlage und kleinen geschmolzenen Tomaten ist hinreißend. Die geballte Sonne des Gartens gegenüber steckt in diesem kleinen Schälchen. (9/10)

Kellers Oysters & Pearls gehören hier (wie auch im New Yorker Per Se) zum Pflichtprogramm – und bestätigen auch diesmal ihren Status als kulinarisches Meisterwerk. Die Kombination aus Regiis-Ova-Kaviar (Kellers eigene Marke), warmer, mundgerecht geschnittener Auster und der luftig-cremigen Schnittlauch-Sabayon mit Tapioka ist so präzise abgestimmt, dass jede Textur, jede Salznote sitzt. Das Gericht lässt sich immer wieder erneut bewundern. Ein Klassiker der Kulinarik. (10/10)

Es folgt ein weiterer Keller-Klassiker: Hen Egg Custard, serviert im Ei, eine seidig gestockte Mischung aus Sahne und Eigelb, überzogen mit einer tief aromatischen Demiglace und Périgord-Trüffel. Die Sauce haftet cremig an den Lippen, warm, dicht und vollkommen. Ein transparenter Kartoffelchip mit Schnittlauch steuert Knusprigkeit und Frische bei. Es ist eine Kreation, die viele Nachahmer hat ‒ doch die von Keller bleibt unerreicht. (10/10)

Das Menü fährt mit einem ‒ für kalifornische Verhältnisse ‒ ungewohnt verkopft anmutenden Teller fort. Es gibt Topinambur »Hash Brown« mit Radicchio, Granatapfelkernen sowie Dattel- und Aioli-Dressing. Säure, Wärme und Knusprigkeit ergeben zwar ein weitestgehend harmonisches Ensemble mit jedoch etwas zu hoch justierter Süße. Insgesamt wirkt der Gang im Rahmen von Kellers kulinarischem Kanon seltsam unfokussiert und aus dem Rahmen gefallen. (7/10)

Danach folgt spanischer Oktopus, der mit einer Avocado-Creme, eingelegten Radieschen und einer feurigen Guajillo-Béchamel weitere Rätsel aufwirft. Das knusprig gegrillte Tier macht in Kombination mit der von Säure und Milde flankierten Schärfe zwar Spaß, ist aber handwerklich und konzeptionell banal. (6,9/10)

Wo bleiben die fabelhaften Produkte aus der Region? Vielleicht klärt es der nächste Gang.

Doch weit gefehlt. Der dampfgegarte Heilbutt kommt aus Norwegen und der Matsutake-Pilz aus Oregon. Das hat zweifellos seine Berechtigung, denn die Qualitäten der beiden Zutaten sind so einwandfrei wie die cremig-schamuige Blanquette de poisson und das »Brokkoli-Konfetti«, das sie ziert. Doch am Ende hat man hier schlicht einen guten Fisch mit akkurat zubereiteter Sauce und Gemüsen. Das ist sehr gut, im Rahmen eines Restaurants mit Drei-Sterne-Anspruch wenig überzeugend. (7/10)

Die handgeschnittenen Tagliolini mit Parmesansauce und üppig portioniertem Alba-Trüffel ‒ ein Gericht, das hier mit atemberaubenden 220 $ als Zusatzoption auf der Karte steht und auf das ich freundlicherweise eingeladen werde ‒ sind danach ein Umami-Traum in Weiß, mit Aromen von Wald, feuchtem Erdboden und Terpentin.

Allerdings: Mir fehlt etwas Temperatur, zudem klebt die Pasta so stark zusammen, dass man sie für eine mundgerechte Portion von einer klumpigen Masse »abbeißen« muss. Das geschmacklich erwartungsgemäß grandiose Gericht erleidet durch dieses technische Problem spürbare Einbußen, aber der Genuss bleibt wegen der unglaublich aromatischen Trüffeln groß. (8/10)

Das folgende Erlebnis gleicht die bislang hinter meinen Erwartungen zurückbleibende kulinarische Performance aus: Der Meister persönlich, Thomas Keller, erscheint im Raum, plaudert ausgiebig mit einem offenkundigen Stammgast gegenüber – und stellt sich anschließend auch mir vor. Es entsteht ein lebendiger, angenehmer Austausch in kleiner Runde, und wenig später kündigt Keller an, für uns alle ein Spezialgericht zuzubereiten.

Es handelt sich um gebratene Foie Gras, deren Verkauf in Kalifornien zwar untersagt ist, in einer juristischen Grauzone jedoch als Geschenk serviert werden darf – wie hier nun der Fall. Kurz darauf liegt eine fingerdicke Tranche der Delikatesse vor mir auf dem Teller, makellos von Keller selbst gebraten. Mit Schnittlauch gewürzt und von einer aromatisch-glänzenden Demiglace begleitet, zeigt sich die Gänseleber als die vielleicht beste, die ich in gebratener Form je probiert habe: buttrig, sehr zart, hocharomatisch, mit feinen karamellartigen Röstnoten; der Jus dazu üppig und umamitief. Eine klare Referenz. (10/10)

Gerade vor dem Hintergrund solcher Erlebnisse erscheinen einige der heute servierten Speisen seltsam aus dem Rahmen gefallen. Ich vermute, dass sie nicht aus Kellers Feder stammen.

Nach dem erfreulichen Intermezzo fährt das Menü regulär mit einem Stück Poularde aus Pennsylvania fort, das mit Apfelbaumholz geräuchert wurde, darüber hinaus aber den Anschein macht, sous vide gegart zu sein. Das saftig-zarte Fleisch ist von einer Marsh Hen Mill Polenta mit Mangold und einem Kürbisjus begleitet. Die Qualität des Geflügels ist hervorragend, wobei die homogene, bissfeste Garung genauso überrascht wie der Geschmack von Wiener Würstchen, mit dem das Fleisch aromatisch eigentlich perfekt beschrieben ist. Das ist auf hohem Niveau »amüsant« ‒ und auch hervorragend. (8/10)

Mit einem Stück Lamm der renommierten Elysian Fields Farm ‒ ein Zulieferer für Lamm von überragender Qualität ‒ setzt das Menü auf einen Klassiker. Das Karreestück wird mit verschiedenen Gemüsen ‒ unter anderem einem erstaunlich saftigen, farcierten Rübchen sowie einer Art komprimiertem »Taler« aus Kohl ‒ sowie einem glänzenden Jus präsentiert. Das besonders appetitlich marmorierte Fleisch irritiert mich am Gaumen mit einer Konsistenz, die der der Poularde sehr ähnelt: kompakt, bissfest, aber auch »gummiartig homogen«, ohne die natürliche Faserigkeit klassischer Garmethoden. Gemüse und Jus sind makellos, aber in Summe ist das ‒ vor dem Hintergrund der sonst herausragenden Qualität des Lamms ‒ eher durchwachsen. (7,5/10)

Die Ironie will es, dass der nächste Gang Bayerischen Käse präsentiert: »Alp Blossom« der Käserei Kraus aus dem Allgäu. Der Käse ist saftig und floral, mit angedeuteten Nussaromen, die gut zu dem dazu kombinierten Pekannuss-Kuchen und der Ahornsauce passen. Sehr gut, nicht mehr, nicht weniger. (7/10)

Ein danach serviertes Dessert-Quartett bietet dann zum Abschluss noch mal Hochgenuss. Ein Zitronengras-Eis mit Ingwer-Gastrique ist herrlich säuerlich-frisch, kühl und aromatisch präzise ausbalanciert (9/10); ein cremiges Dessert mit Williams-Birne und Kardamom-Panacotta vereint klare Fruchtigkeit mit warmer, dezent exotischer Würze (9/10); und eine schaumige Schokoladen-Mousse mit Lychee-Gelee verbindet tiefe Kakaonoten mit leicht blumiger Frische (9/10). Mit einem himmlischen Cappuccino semifreddo endet das Menü mit einem weiteren Keller-Klassiker (9/10). Das war alles große Klasse.

Weitere Pralinen lasse ich mir einpacken.

Das Erlebnis heute Abend war auffällig zweigeteilt. Auf der einen Seite die grandiosen Klassiker von Thomas Keller, auf der anderen offenkundig neuere Kreationen, die mit Sicherheit nicht zu Klassikern werden. Die teils irritierende Garung von Geflügel und Fleisch kratzt ebenfalls an der schmucken Fassade dieses berühmten Restaurants.

So verlasse ich das Restaurant mit großer Bewunderung für Keller persönlich – aber mit der Hoffnung, dass sich seine Handschrift wieder stärker gegen die Randnotizen der jüngeren Küche durchsetzt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: The French Laundry (→ Website)
Chef de Cuisine: Ara Jo
Ort: Yountville, USA
Datum dieses Besuchs: 26.10.2025
Guide Michelin (California 2025): ***
Meine Bewertung dieses Essens: 8 (Was bedeutet das?)
Dieser Bericht in den sozialen Netzen: Facebook, Instagram