Press ‒ fair enough

Das Restaurant Press in St. Helena ist eine Institution im Napa Valley. Es hat auch eigentlich alles, um Appetit zu machen: einen Michelin-Stern, eine der umfangreichsten Weinkarten der Region, eine Website mit ansprechenden Fotos ‒ und sogar noch spontan einen Tisch an einem Freitagabend, an dem meine Pläne etwas ins Strudeln geraten waren.

An diesem selten kühlen Abend ist zwar nur noch ein Tisch auf der überdachten Terrasse zu bekommen, doch ich gehe davon aus, dass er nicht angeboten würde, wäre es dort wirklich unangenehm.

Ich irre mich. Der kalte Wind setzt sich sogar gegen den kraftvollen Heizstrahler durch. Zusammen mit dem insgesamt recht verlassen wirkenden Außenbereich schielt man etwas neidisch ins Innere ‒ aber auch nur etwas, denn der Saal wirkt in seiner Größe fast scheunenhaft. Es sind bestimmt hundert Gäste im Restaurant. Gemütlicher sieht es trotzdem aus. Ich platziere meinen Wunsch nach einer Umsetzung, sofern irgendwann möglich, beim Service, während ich das fünfgängige Menü ohne weitere Extras abnicke (175 $) und einen Wein bestelle.

Wegen des Umfangs der Weinkarte hatte ich bereits vorab etwas darin gestöbert. Mir ist heute nach dem Griff in ein etwas höheres Regal, daher hatte ich als eine Option einen 2013er Cabernet Sauvignon »Howell Mountain« des von mir sehr geschätzten Weinguts Dunn hier aus der Region herausgesucht. Der ist mit 625 $ allerdings maßlos überteuert, was ich erst hinterher feststelle. Meine Frage, ob der Wein genug Reife hätte, bestätigt der Sommelier ‒ ein wenig zu hastig für einen Wein dieser Preisklasse.

Mit dieser etwas zu bequemen Beratung ‒ und mit der Aussicht, ein komplettes Menü mit kaltem Wind im Nacken aushalten zu müssen, stehen die Weichen für einen gelungen Abend nicht optimal. Doch wenig später werden Plätze an der Bar frei. Nichts wie hin.

Der erste Schluck des Cabernets zeigt sich da, trotz Dekantierens, noch ziemlich verschlossen. Das wird sich im Laufe des Abends auch kaum ändern, sehr zu meiner Enttäuschung, da ich mit dem Sommelier genau dieses Thema adressiert hatte. Nach einer Konfrontation ist mir jetzt aber nicht – ich möchte nach einer Dreiviertelstunde des Wartens jetzt auch einfach mal mit dem Genießen beginnen.

Die Küche eröffnet mit einem leider nur lauwarmen Kürbissüppchen, das von einer kalten Sahnecreme obenauf unverständlicherweise noch weiter abgekühlt wird. Schmeckt solide nach Kürbis. (6/10)

Der zweite Gang thematisiert ebenfalls Kürbis (bald ist Halloween), in diesem Fall deutlich ansehnlicher präpariert. Stücke von eingelegtem und abgeflämmtem Kürbis sind sternförmig in einer Vinaigrette mit fermentiertem Pfeffer angerichtet. Das ebenfalls lauwarme Gericht ‒ hier ist die Temperatur nachvollziehbar ‒ schmeckt säurebetont und angenehm pikant, offenbart aber auch nichts allzu Begeisterndes vom Kürbis, eine Frucht mit ohnehin begrenztem Genusswert. (6,5/10)

Es geht weiter mit einer Variation von Meeresfrüchten. Geschmorte Abalone ist von guter Qualität, aber zu dünn geschnitten, was zu einem Verlust des kurzweiligen Kauvergnügens führt, das einem beispielsweise japanische Spitzenköche regelmäßig liefern. Heilbutt mit Rübchen schmeckt sonderbar stumpf und merkwürdig »weihnachtlich«; eine Seeigel-Panacotta mit Kaviar ist etwas besser. In der Summe wirkt es, als hätte man sich hier etwas übernommen. (Mit gutem Willen 6,9/10)

Drei mit Matsutake-Pilz gefüllte Ricotta-Gnudi und einigen Scheiben des edlen Pilzes zieren dann den nächsten Teller. Die Teigtaschen sind in einer Pilz-Essenz angerichtet, die waldig duftet, der es aber erneut an Temperatur fehlt. Durch die Qualität des Pilzes schmeckt das insgesamt recht gut, aber das Temperaturproblem ist nicht zu ignorieren. (6,9/10)

Für den nächsten Gang wechsle ich erneut den Platz. Die zwanglose Lebendigkeit an Bar und Tresen gefällt mir zwar, doch für dieses etwas formeller servierte Tasting-Menü ist der klassische Tisch letztlich die bequemere Wahl.

Wirklich besser wird das bislang eher maue Erlebnis dadurch nicht. Heilbutt aus Alaska wird als Ballotine mit (nicht wahrnehmbarem) Taschenkrebs, gegrillter Zwiebel und Schnittlauch in einer aufgeschäumten Sauce serviert. Das Gericht wirkt optisch fokussiert und ansprechend, kommt jedoch leider deutlich erkaltet an den Tisch ‒ nicht grenzwertig, sondern grob fahrlässig. Entgegen manchen Vorstellungen reklamiere ich Gerichte eher selten, doch einen derart grundlegenden technischen Fehler kann ich nicht übergehen, zumal die Zusammensetzung vielversprechend erscheint und ich zu diesem Zeitpunkt durchaus noch Appetit habe.

Der nächste Versuch erreicht dann wenig später den Tisch. Das Problem nun: Der Fisch ist trocken. Dass währenddessen immer wieder unterschiedliche Kellner im Vorbeigehen den 625-Dollar-Wein so unbedacht nachschenken wollen, als handelte es sich um Wasser, muss ich auch regulieren. Genau dafür gibt es eigentlich Sommeliers. Wie so oft, kümmere ich mich daher lieber selbst um den Wein ‒ da habe ich inzwischen eine kurze Lunte. Der Gang geht jedenfalls auch beim zweiten Mal zurück. Man fängt im Hintergrund schon an, zu tuscheln. (5/10)

Mit entsprechend gedämpfter Erwartung probiere ich noch den Hauptgang, wohl wissend, dass ich danach ohnehin abbrechen werde. Das Wagyu der renommierten Snake River Farms erscheint in zwei Schnitten: als Roastbeef und als Rippenstück. Dazu kommen Rote Bete, Pfifferlinge und ein klassischer Jus – ein Setup, bei dem man meinen könnte, dass wenig schiefgehen kann. Doch schon das erste, auffallend kaubedürftige Stück Roastbeef wirft die Frage auf, wie aus einem derart hochwertigen Tier ein so unglücklicher Schnitt auf den Teller gelangen kann. Das sichtbar marmorierte Rippenstück dagegen ist ausgezeichnet, ebenso die Sauce. Doch das bleibt lediglich ein Tropfen auf den lauwarmen Stein. Insgesamt ein sehr schwacher Gang. (6/10)

Nun eilt auch mal der Restaurantleiter an den Tisch, der sich der Misere nicht mehr entziehen kann. Ich erläutere alles sachlich und freundlich, von den dauerhaften Temperaturproblemen über den desolaten Weinservice bis zum zähenWagyu. Er reagiert auf die gastfreundlichste amerikanische Art und streicht das gesamte Menü von der Rechnung. Fair enough, wie man so schön sagt.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Press (→ Website)
Chef de Cuisine: Philip Tessier
Ort: St. Helena, USA
Datum dieses Besuchs: 24.10.2025
Guide Michelin (California 2025): *
Meine Bewertung dieses Essens: 6 (Was bedeutet das?)
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