Tourniert: Casual California – Teil 3

Pittoreske Örtchen wie St. Helena, Calistoga und Yountville, ein entspannter Rhythmus, penibel gepflegte Straßen und Wege, Boutiquen, tasting rooms, Restaurants, überall freundliche Menschen und, last, but not least, die alles umgebenden Weingüter mit ihren oft beeindruckenden, manchmal auch überraschend schlichten Anwesen und hervorragenden Weinen: All das und noch viel mehr ist für mich das Napa Valley.

Napa selbst, die Hauptstadt der Region, ist dagegen zum Verweilen weniger zu empfehlen als eines der vielen renommierten Resorts in der ländlicheren Umgebung. Mein Favorit ist seit Jahren das Bardessono in Yountville, wenngleich ein inzwischen recht unpersönlicher Service und ein mäßiges Gastronomieangebot (siehe unten) die Entscheidung für folgende Besuche schwer macht. Die Konkurrenz ist größer geworden, zum Beispiel durch das brandneue Four Seasons Napa Valley. Wer es etwas Klassischer mag, zieht auch die Auberge du Soleil oder das Meadowood in Erwägung, Letzteres nach wie vor ohne das durch einen verheerenden Brand zerstörte Drei-Sterne-Restaurant.

Aber Genuss muss man hier im Napa Valley nie lange suchen, vor allem nicht in Yountville. Allein Thomas Keller betreibt hier neben der French Laundry noch diverse weitere Restaurants und eine Bäckerei. Von hervorragendem Gebäck über mexikanische Tacos und saftige Steaks bis zu weltberühmter Spitzengastronomie ist in dem verschlafenen kleinen Ort alles fußläufig zu erreichen. Es ist jedes Mal aufs Neue faszinierend und auch ein wenig surreal.

Im Rahmen einiger entspannter Tage zum Abschluss meiner Reise habe ich absichtlich wenige Verbindlichkeiten im Kalender. Neben spontanen Exkursionen in die Umgebung und zu manch einer Weinprobe, pendle ich hier etwas träge, bei knapp 40 Grad im Schatten, zwischen der Bouchon Bakery zum Frühstück, dem Innenhof des Bardessono zu kühlem Chardonnay und gleich zwei abendlichen Walk-ins im Bouchon Bistro direkt gegenüber. Unter anderem.

Inhalt:


Lucy (Bardessono), Yountville

Im Jahr 2012, erst drei Jahre nach der Eröffnung des Bardessono in Yountville, gab es schon einen Neustart für Konzept, Interieur und den Namen des Restaurants. Es heißt seitdem Lucy, benannt nach der italienischen Mitbesitzerin des Grundstücks vor knapp hundert Jahren.

Es gibt nur zwei Gründe, das Lucy überhaupt für ein Essen in Erwägung zu ziehen. Entweder, und das trifft bei mir zu, ist man Hotelgast und möchte an einem Abend einfach mal das Grundstück nicht verlassen und die magische Atmosphäre des Innenhofs genießen – oder man ist zu irgendeiner Firmenfeier eingeladen, das scheint es hier auch öfter zu geben.

Auch die Weinkarte ist für ein Restaurant in dieser Gegend eher schwach und bietet viele mediokre Flaschen und vereinzelte große Namen, aber ohne Tiefe und Konzept. Ein 2019er Cabernet Sauvignon von Joseph Phelps (185 $, ca. 185 €) bietet aber am Ende genau das, was ich heute Abend suche. Das Essen weniger.

Ein Ceviche mit (etwas trockenem) Heilbutt, (zu viel) Avocado, (zu viel) Koriander, und (zu vielen) hausgemachten Tortilla-Chips (18 $) lässt sich so nebenher wegsnacken; einige Scheiben von angebratenem Ahi-Thunfisch (23 $) von annehmbarer Qualität bietet beim nächsten Gericht ähnliche Proportionsprobleme. Das aus einem massigen Pflaume-Rettich-Chutney, knusprigen Wantan-Teig-Stücken, Kräutern und Mandeln bestehende Potpourri bleibt größtenteils auf dem Teller übrig. Das Gericht ist frappierend »deutsch« in seiner Anrichtweise und könnte genauso in einem gewöhnlichen Szenerestaurant in Hamburg serviert werden – eine ungewöhnliche Parallele für diese Region.

Ein Clubsteak mit Blattspinat ist trocken und kurz vor einer Beschwerde, aber bei dem trägen Service habe ich auch keine Lust, in einer halben Stunde noch mal dasselbe festzustellen. Ein bisschen Pasta »cacio e pepe« ist auch nur marginal besser, aber saftig, gut gewürzt und sättigend. Dies ist glücklicherweise das einzige wirklich enttäuschende Mahl auf meiner Reise – schade nur, dass es mit der zauberhaften Stimmung hier nicht mithält.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Lucy (→ Website)
Chef de Cuisine: Jim Leiken
Ort: Yountville, USA
Datum dieses Besuchs: 22.07.2022
Meine Bewertung dieses Essens: 6 (Was bedeutet das?)
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Bouchon, Yountville

Über diesen Bistro-Favoriten habe ich schon öfter geschrieben. Das Bouchon von Thomas Keller ist zweifellos eines der sympathischsten französischen Bistros überhaupt. Vor allem die kleine Terrasse hat es mir angetan, gut abgeschirmt von der Straße mit einer dichten Hecke – und von der abendlichen Frische mit gemütlichen Heizstrahlern.

Das Bistro war jahrelang mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet; zuletzt entfernte ihn der Guide wieder. Bei all der professionellen Routine, die hier bei der Zubereitung der diversen Bistro-Klassiker herrscht, ist eine solche Abstufung überraschend. Kaum denkbar, dass Thomas Keller hier auf einmal ein anderes Niveau zulässt. Plausibler ist eher die Annahme, dass man die berechtigte Frage, ob das Bistro überhaupt jemals einen klaren Stern verdient hat, nun erst einmal (neu) beantwortet hat.

All das ist für den Genuss hier unerheblich. Die auf dünnes Papier gedruckte, gefaltete Speisekarte lässt keine Fehltritte zu. Meinen ersten Abend hier beginne ich mit knusprig gebackenen Schweineohren mit Sauce Gribiche (15 $) und einem Salade niçoise mit überfrischen Tomaten, perfekt gekochtem Ei, knackigen Bohnen, Sardellen und einer gut abgeschmeckten Basilikum-Vinaigrette (16,50 $) – auf den Punkt, es fehlt aber etwas Salz. Auch ein paar Weinbergschnecken in Blätterteig mit Knoblauch-Petersilien-Butter machen kochend heiße, würzige Freude.

Eine Flasche Heitz Cellars »Lot C-91« Cabernet Sauvignon (250 $) passt zu meiner guten Laune, ich muss beim aufmerksamem Service aber Überzeugungsarbeit leisten, dass ich selbst nachschenken darf. Mir macht das in solch ungezwungenen Umgebungen mehr Spaß.

Mein zweiter Abend startet an selber Stelle mit einem Glas 2019er Rivers-Marie Chardonnay (21 $) von der Sonoma Coast, gefolgt von einer halben Flasche 2016er Amiral de Beychevelle (95 $), es darf heute mal Bordeaux sein.

Dazu gibt es Garnelen, vier Stück, eisgekühlt, saftig-zart und aromatisch (24 $) mit einigen Saucen, sowie einen Pâté de campagne mit Cornichons, eingelegten Radieschen und dem Baguette der Bouchon Bakery, ganz wunderbar.

Zu den Hauptgerichten, die ich mir nicht entgehen lasse, zählen eine Portion Moules-frites (30,50 $) mit hervorragenden Bouchot-Muscheln aus Maine, die in einer himmlisch duftenden Sauce mit Weißwein, Fischfond, Senf und Safran heiß nachgaren. Auch die hausgemachten Pommes frites sind makellos. Lediglich ein Gigot d’agneau (40 $), dünn aufgeschnitten, kommt zu kalt, zu kaubedürftig und mit einer aromatischen, aber deutlich zu knoblauchbetonten Ratatouille auf den Tisch.

Desserts holen alles wieder raus, z. B. in Form einer makellosen Crème brûlée (14,75 $) oder in Form von einigen Riesen-Macarons (4,75 $ pro Stück), wenn man sich bis zum nächsten Morgen nicht gedulden möchte. Vielleicht leuchtete hier diesmal wirklich kein glatter Stern – aber was soll’s? Das Bouchon bleibt eines meiner absoluten Herzenslokale.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Bouchon (→ Website)
Chef de Cuisine: Ryan King
Ort: Yountville, USA
Datum dieser Besuche: 23.07.2022 und 24.07.2022
Meine Bewertung dieser Essens: 6,9 (Was bedeutet das?) und 6,9 (Was bedeutet das?)
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The Cellarius Kitchen Experience, Napa

Eine Weinprobe beim renommierten Weingut Stag’s Leap mit einem Mittagessen zu kombinieren, erschien mir attraktiv genug, um dieses Ereignis im Voraus zu buchen. Bei der so genannten »Cellarius Kitchen Experience« steht Küchenchef Travis Westrope am Herd, der hier in der Gegend kein Unbekannter ist.

Westrope kochte jahrelang beim populären Italiener »Bottega«, gleich gegenüber der Bouchon-Filialen in der Washington Street. Hier auf dem Weingut findet er nun etwas mehr Ruhe.

Die »Experience« kostet 245 $ und beinhaltet ein viergängiges Mittagessen mit entsprechender Weinbegleitung sowie eine vorherige, kurzweilige Kellertour mit der Handvoll Teilnehmern.

Das Essen selbst findet in einem rustikal-eleganten Raum mit hohen Decken und einsehbarer Küche statt. Es ist von Anfang an eine etwas förmliche Angelegenheit, was jedoch nicht an den Gästen liegt. Wenn sich die Glastüren zur Küche öffnen, Küchenchef Westrope hinaustritt und bedächtig und ausführlich über den nächsten Gang referiert, während genau dieser bereits vor einem erkaltet, möchte ich eigentlich nur noch schnell zum Glas greifen.

Das Problem dabei: Der jeweils eingeschenkte Schluck ist so lächerlich mickrig, dass ich zunächst denke, es handele sich tatsächlich um einen Probeschluck. So habe ich eigentlich immer nur ein leeres Glas vor mir stehen. Aus gesetzlichen Gründen darf man hier leider auch keine Flasche erwerben und sich selbst einschenken. Es gibt eine lustige Szene in der Wein-Komödie Sideways, in der der Protagonist sich auf einem Weingut in einer ganz ähnlichen Situation befindet und, frustriert von den winzigen Probeschlucken, am Ende einfach den großen Spucknapf austrinkt. Ich fühle mich hier etwas daran erinnert, zum Glück ist kein Spucknapf in der Nähe.

Das Menü selbst ist auf ordentlichem französischem Bistro-Niveau – und auch nur dann wirklich der Rede wert.

Wenn Westrope davon abweicht, wird es etwas verspielt, wie z. B. mit dünn geschnittenen Apfel- und Birnenscheiben mit Pekannusspesto, Ziegenkäse und Lavendel. Das ist keinesfalls schlecht, aber in diesem Rahmen etwas unverständlich. Noch unverständlicher ist der nächste Gang, über den der Küchenchef so lange philosophiert – es geht um seine Jugend –, dass das Gericht erkaltet und der Lachs hoffnungslos durchgegart ist. Die Fruchtigkeit der vielen Himbeeren im Gericht passt zudem nicht besonders gut zum Fisch. Der Wein ist längst leer, und meine leicht genervten Blicke laufen ins Leere.

Auf den Punkt gebraten ist eine Jakobsmuschel auf Safran-Ristotto und Frühlingszwiebelöl, eine Kombination, deren Gelingen sicher ist, wenn die Qualität der Muschel so stimmt wie hier. Auch in Rotwein geschmorte Pfifferlinge mit Schmorgemüse und Fregola Sarda sind annehmbar. Eigentlich hätte es hier Wachtel gegeben, aber meine einzige Restriktion – Taube –, die ich damals bei der Reservierung angab, wurde hier etwas missverstanden. Sei es drum.

Stag’s Leap assoziiere ich daher auch weiterhin mit besonders guten Weinen anstatt mit besonders guter Küche. Aber ich werde wohl auch in flüssiger Hinsicht bis zu Hause warten müssen, um ein ordentliches Fläschchen zu öffnen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: The Cellarius Kitchen Experience (→ Website)
Chef de Cuisine: Travis Westrope
Ort: Yountville, USA
Datum dieses Besuchs: 24.07.2022
Meine Bewertung dieser Essens: 6,5 (Was bedeutet das?)
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