Criss Studio – new kid in town

Von etwas so Spannendem hat man in Hamburg lange nicht mehr gehört: Zwei Köche und Gastronomen mit jamaikanischen bzw. polnischen Wurzeln, die noch vor wenigen Jahren in Lissabon mit ihren – mir zuvor nicht bekannten – Projekten BYWA Tasting Room und Yaad zwei gastronomische Hotspots führten, ziehen in die Freie und Hansestadt Hamburg und eröffnen Anfang dieses Jahres im Stadtteil Eimsbüttel ihr neues Restaurant, das vorab bereits, ebenfalls von mir unbemerkt, als Pop-up unter unterschiedlichen Namen durch die Stadt zog.

Man tritt souverän auf. Die Website und Social-Media-Beiträge sind so professionell, wie man es sich von manch anderer Gastronomie bei uns zulande wünschte, und könnten daher auch gut von einem kreativen Restaurant einer fernen Metropole stammen. Auch das »jamaikanisch-polnische« Menü ist mit 165 € preislich selbstsicher in Hamburgs Spitze platziert. Es ist, ebenfalls ganz weltstädtisch, im Voraus zu bezahlen.

Online findet man, wie längst üblich in der Gastro-Szene, nur überschwängliches Lob – das hilft nicht weiter, um sich vorab ein Bild zu machen. Also auf nach Eimsbüttel.

Das Restaurant befindet sich auf den Ausläufern des Areals eines Krankenhauses in einem villaartigen Gebäude. Dort befand sich früher ein Restaurant namens Santé, auch eine Unbekannte für mich. Kommt man mit dem Taxi an, ist man geneigt, auf ein lebhaft beleuchtetes Restaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite zuzulaufen. Das Criss, was in jamaikanischem Slang so etwas wie »cool« oder »neu« bedeutet, versteckt sich etwas.

Empfangen wird man von der Mutter des Küchenchefs Grant höchstpersönlich, was dem Ganzen eine familiäre Note verleiht. Man spricht Englisch, der Rest des Personals aber Deutsch. Interessanterweise blicke ich nur in neue Gesichter – in Hamburgs Restaurantlandschaft ist das selten.

Das Interieur ist mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Wechselnde Künstler dekorieren im Rahmen einer Art Residency die Wände; ein exotisch anmutender Baum ragt in eine offene Dachkonstruktion mit weißen Holzbalken hinein, die Karibikflair atmet. Im Hintergrund wirken die Küchenchefs Mateusz Żurek und Jahmarley Grant.

So schick und neu alles hier ist, wird schnell klar, dass man selbst für Stimmung sorgen muss: Es ist ziemlich leer, Musik säuselt undefinierbar im Hintergrund, und das Klappern von Besteck und Geschirr auf den harten Steintischen hallt durch den Raum.

Für mich eher ungewöhnlich starte ich den Abend mit einem Cocktail, in diesem Fall ein Jamaican Horse mit jamaikanischem Hempden Estate Rum, Pimento Dram und Limette (18 €). Der ist so gut abgeschmeckt, dass ich bereits damit liebäugle, den Abend später auch so zu beenden.

Das Weinkonzept hört auf low intervention, weswegen ich mich in der Karte nur mäßig gut zurechtfinde. Aber der Champagner »Chardonnay de la Côte des Bar« von Louise Brison (153 €), Jahrgang 2016, ist ein guter Treffer und begleitet die erste kulinarische Einstimmung, die jetzt den Tisch erreicht. Mit Ausnahme von dieser, werden die Gerichte des Menüs erst immer nach dem Verzehr erläutert. Das Menü offenbart aber stichpunktartige Hinweise auf die Hauptzutaten.

Eine etwas grobknusprige, leicht kühle Mohn-Croustade mit Schalottenmarmelade und eingelegten Äpfeln spielt zum Start gekonnt mit der Ambivalenz von Süße und Herzhaftigkeit. (6,9/10)

Der erste Menügang ist eine dekonstruierte jamaikanische Hühnerfußsuppe. Ein Schälchen enthält eine an Dashi erinnernde Bouillon mit einem Hühnchenknödel, daneben liegt ein Stück geschmolzener Kürbis mit gehobeltem Käse. Ob das Konzept einer Dekonstruktion kulinarisch stimmiger ist, als das Original »in richtig gut« zu erleben, fragt man sich angesichts der deutlich verhaltenen Aromen. Die Brühe ist am oberen Bereich der Salzgrenze, aber aromatisch blass; das Umami, das einem dort fehlt, findet man dann im Käse auf dem Spieß wieder, dazu etwas Süße im Kürbis. Außer diesen drei Grundgeschmacksrichtungen passiert hier nicht allzu viel. (6,5/10)

Es geht weiter mit einem Gerichte-Trio. Ein Pączek – eine Art Berliner – mit frittierten Krabben greift charmant polnische und norddeutsche Themen auf, ist aber ziemlich trocken und sehr massig. (6/10)

Eine wie ein Nigiri verarbeitete Rolle aus fermentierten und anderweitig verarbeiteten Gemüsen stellt dann einen Bezug zum Herbst in Polen dar, wie man später erläutert, und schmeckt sehr gut – frisch, würzig, »gemüsig«. (7/10)

Ebenfalls auf dem Tisch steht ein Rehtatar mit frittierten Kartoffelfäden. Das Fleisch ist zimmerwarm temperiert, was den zarten Schmelz gut zur Geltung bringt, während ein intensives Rosmarinaroma für einen ätherischen, waldigen Kontrast sorgt. Sehr gut. (7/10)

Ein 2023er Bakkanali Rosa aus der Toskana (86 €), den wir am Tisch auf gut Glück bestellen, ist nicht ganz nach meinem Geschmack, ganz im Gegensatz zu dem kurzerhand einfach parallel bestellten 2018er Barolo Castiglione von Vietti (124 €).

Als der nächste Gang den Tisch erreicht – erneut in drei Schälchen unterschiedlichen Inhalts – duftet alles nach deftiger, köstlicher Hausmannskost. Es gibt eine Art Eintopf mit Ochsenschwanz, Püree aus Limabohnen sowie Kohlrabi und Apfel in kleinen Stücken. Wärme, Säure, Salz und Umami: Ein solches Gericht ist pures Soulfood. Man hätte es allerdings nicht so abkühlen lassen, sondern Hitze zu einer zentralen Zutat machen sollen. Doch auch lauwarm ist das überzeugend. Dazu wird noch ein Schälchen (etwas zu trockener) Reis unter einem Cracker aus karamellisiertem Reis serviert. Reis passt gut zu dem Eintopf, doch die zu geringe Serviertemperatur macht sich auch hier bemerkbar. Fast übersehen hätte ich das dazu servierte Schälchen mit Tomatenwasser – erfrischend. Eigentlich sehr gut, aber technisch optimierbar. (6,9/10)

Eine Sache macht mich aber stutzig. Während man hier isst, die Gänge mal gut, selten auch mal sehr gut findet und alles reibungslos abläuft, fehlt dem Restaurant nicht nur eine lebendige, sondern überhaupt eine greifbare Atmosphäre. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man dieses Restaurant ganz anders, zum Beispiel als lebhaftes Tresenrestaurant hätte konzipieren sollen.

Aber meine Gedanken werden mit dem Servieren des nächsten Gerichts unterbrochen. Man erkennt Fisch mit lamellenartiger Struktur – ich denke zunächst an Rochen – in einer gelben Sauce und eine mir unbekannte, wachsartige gelbe Zutat, die ich optisch für eine Art Rogen halte. Doch es handelt sich um Akee, die Nationalfrucht von Jamaika, die dort zusammen mit Saltfish (getrocknetem, gesalzenem Kabeljau) ein beliebtes Gericht darstellt.

Auch auf diesem Teller findet man daher Kabeljau, nicht Rochen, nebst einer pochierten Auster als maritime Begleitung der Frucht. Man hat das Gericht zusätzlich mit einer prägnanten Schärfe ausgestattet, was zusammen mit der sonderbaren Frucht den exotischen Eindruck des Gerichts unterstreicht. Texturell hätte man hier vielleicht durch Kontraste etwas Spannung einbringen können, aber insgesamt ist das ein kraftvolles Gericht, das Tradition und Emotion transportiert. (7/10)

Als kleines Intermezzo vor dem Hauptgang wird ein »Buschtee« serviert. Zitronengras, Minze und Kaffernlimette sorgen für eine kräuterige Beruhigung des Gaumens.

Der letzte herzhafte Gang ist ein Gericht mit Reh. Zwei glasierte Filetstücke sind neben einer orangefarbenen, bananenförmigen Komponente angerichtet, die sich als eine Kombination von Bigos und Kimchi entpuppt – eine säurebetonte Begleitung. Beides ist (zu) lauwarm temperiert, das Reh von einer mürben, vermutlich von Sous-vide-Garung stammenden Textur. Es gibt separat noch eine Krokette mit Schmorfleisch, die leider erkaltet ist. Eigentlich ist das alles sehr gut, aber erneut handwerklich optimierbar, vor allem hinsichtlich Garung und Temperatur. (6,9/10)

Es folgen noch ein paar Süßspeisen. Eine sorgfältig verpackte Schokoladenpraline erfüllt alle Anforderungen an eine solche (6,5/10); danach greift eine entfernt an Dulce de leche erinnernde Karamellcreme die polnische Süßspeise Krówka auf, was so allein ausgelöffelt etwas monoton schmeckt (6/10).

Eine Kreation mit einer Pilz-Schokoladen-Ganache mit kandierten Austernpilzen ist im Anschluss süß, cremig, leicht umami – eine Nocke Kaviar lässt alles aufleben. Ganz gut. (6,5/10)

Mit einem dekonstruierten Apfelkuchen in Form einer Tartelette mit Gorgonzola-Eis und Apfelstücken schließt das Menü recht emotionslos ab. (6,5/10)

Interessant, ambitioniert, professionell: All das sind Attribute, die zu diesem Abend im Criss Studio passen – aber keine Gründe für eine Wiederholung. Die Länderküchen, die hier in sehr abstrakter Form referenziert werden, sind (mir) zu fremd, um die Parallelen spannend zu finden, und um spezielle Zutaten, für die man sich begeistern könnte – abgesehen von der exotischen Frucht –, geht es hier kaum. Dazu noch eine um jegliche Form von Spaß befreite Atmosphäre, und man will jetzt eigentlich noch woanders hingehen. Ich bestelle einfach noch mal den Cocktail vom Anfang. Der schmeckt nach purer Lebensfreude.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Criss Studio (→ Website)
Chefs de Cuisine: Mateusz A Żurek & Jahmarley Grant
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 27.09.2025
Guide Michelin (Deutschland 2025):
Meine Bewertung dieses Essens: 6,5 (Was bedeutet das?)
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