Verjus – vive le vibe!
Lindsay und Michael Tusk sind in San Francisco schillernde Figuren am Gastro-Himmel. Neben dem dreifach besternten Quince – mit Küchenchef Tusk selbst am Herd – führen sie das ungezwungene italienische Cotogna und seit Kurzem das wiedereröffnete Verjus, ein französisches Bistro, das schon jetzt ein neuer Hotspot in der Stadt ist.
Das spürt man schon, sobald man sich dem Gebäude nähert. Als ich an diesem Dienstagabend ankomme, ist der Laden brechend voll – und ohrenbetäubend laut. Das ist im ersten Moment etwas erschreckend, aber nach ein paar Minuten ansteckend stimmungsvoll. Die heiteren Gespräche hallen von der rotlackierten Decke, die von der Pariser Weinbar Le Baron Rouge inspiriert ist.
Aber Achtung: Wer die auf einer beleuchteten Tafel oberhalb der Küchenzeile angebrachte Speisekarte, die konsequent Französisch gehalten ist, nicht versteht, dem müssen als Alternative die von der Kellnerin entgegengebrüllten Erläuterungen der Gerichte ausreichen. Mit beidem fühle ich mich wohl – und genieße die vibrierende Energie des Raumes.
Die Weinkarte ist erwartungsgemäß französisch geprägt und – auch das folgt meiner Erwartung für ein junges Bistrokonzept – auf „naturnahe“ Weine fokussiert. Nicht, was ein exzellenter 2023er Gevrey-Chambertin von der Domaine Fourrier (240 $ netto, ca. 240 €) nicht mühelos ausgleichen könnte.
Ich bestelle mich ein bisschen vor. Œufs Mentaiko (ca. 10 €), ein wenig zum Schmunzeln angerichtet, sind eine cremig-kühle Interpretation von Senfeiern, bei denen würziger Kabeljaurogen maritime Akzente setzt. (6,9/10)
Ein halbes Dutzend Austern (ca. 32 €) folgt – Saint Simon Oysters von der Ostküste Kanadas. Die kleine Form ist perfekt, sehr appetitlich, ihr Aroma jedoch überraschend verhalten; es fehlt mir geradezu der Geschmack nach Ozean, vielleicht sortenbedingt. Spaß macht das trotzdem alles. (6,5/10)
Ich wähle drei weitere Speisen. Wunderbar, dass sie ohne eine Anmerkung von mir gleichzeitig aufgetischt werden. Das zeigt, dass jemand versteht, wie meine Bestellung gemeint ist.
Ein scheinbar einfacher Frisée-Salat (ca. 16 €) macht alles richtig, mit einer kühlen Serviertemperatur und einer appetitlich säurebetonten Vinaigrette mit überraschenden Dill-Akzenten, die jedes einzelne Blatt saftig ummantelt. Gute Salate sind eine Seltenheit, sehr gute umso mehr. (7/10)
Boudin blanc kommt mit Prinzessbohnen und gebackenen Kartoffelspalten (ca. 24 €). Die weiße Wurst, bei der es auf eine präzise Zubereitung ankommt, überzeugt mit einem milden, »hellen« Geschmack; mit dem separat dazu servierten Senf lassen sich scharfe Akzente setzen. Zusammen mit den erdenden Begleitern erscheint das Gericht wie eine rustikal-kalifornische Neuinterpretation eines Bistroklassikers. Sehr gut! (7/10)
Auch die Schnecken mit Knoblauch (ca. 18 €), ein Tagesgericht, liefern, was man sich von Ihnen erhofft: Hitze, Saftigkeit, Würze. Auch das ist eine Nuance besser als man es erwarten würde. (6,9/10)
Und da ich erst seit wenigen Stunden in San Francisco bin und mich schon in einem Restaurant wiederfinde, für das sich die lange Reise bereits gelohnt hat, bestelle ich noch einen weiteren Gang: eine Bourride vom Seeteufel (ca. 34 €). Der südfranzösische Klassiker ist im Wesentlichen die sanftere Schwester der Bouillabaisse: nicht tomatenrot und kräftig, sondern hell, cremig und mild-elegant. Der Seeteufel ist heiß und saftig, dabei aber nicht »wässrig« (wie er einem manchmal begegnet), und eine feine Knoblauchnote rahmt das cremig-leichte Gericht elegant ein. Das ist so gut, dass ich über eine zweite Portion nachdenke, die Idee aber jetlagbedingt wieder verwerfe. (7/10)
Der französische Sommelier, mit dem ich sympathisiere, ignoriert danach gekonnt meinen Wunsch nach der Rechnung und serviert noch ein Pain perdu, doppelt in Butter pochiert, mit köstlicher, salzig-bittersüßer Karamellsauce und Vanilleeis. Das kommt direkt aus dem Desserthimmel. (8/10)
Das Verjus ist nur auf den ersten Blick ein einfaches Bistro. Es ist Lebensfreude pur, spielerisch leicht, sexy, lässig, laut und lebendig. Für so etwas würde ich um die Welt fliegen … und tue es auch. Gute Nacht, San Francisco, ich komme wieder, irgendwann, genau hierhin.
| Informationen zu diesem Besuch | |
|---|---|
| Restaurant: | Verjus (→ Website) |
| Chefs de Cuisine: | Christin Bourgeois & François Audier |
| Ort: | San Francisco, USA |
| Datum dieses Besuchs: | 21.10.2025 |
| Guide Michelin (California 2025): | Empfohlen |
| Meine Bewertung dieses Essens: | |
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